1. Startseite
  2. >
  3. Lokal
  4. >
  5. Nachrichten Salzwedel
  6. >
  7. Protokoll einer Ablehnung

Kunsthaus-Förderung Protokoll einer Ablehnung

Die Zahlung von 450.000 Euro an das Kunsthaus geschah gegen den Willen des Salzwedeler Rates. Ein Minutenprotokoll.

Von Alexander Walter 06.02.2016, 00:01

Salzwedel l Es ist der 14. Dezember 2011. Der Salzwedeler Stadtrat berät über den neu eingeführten doppischen Haushalt. Thema ist auch das gerade erst vorgestellte Projekt Kunsthaus. Wegen der angespannten Haushaltslage erkundigen sich gleich mehrere Räte, ob städtisches Geld in das Projekt fließen soll und warnen vor möglichen Folgen.

0:50:57 (h/min/sek): Norbert Hundt, Fraktionschef der SPD erklärt, seine Fraktion könne Investitionen in das Kunsthaus ohne Konzept nicht zustimmen. „Wenn wir an der Stelle freimütig investieren, wird uns das irgendwann auf die Füße fallen“, warnt er.

1:02:35: Hundt hakt nach, erkundigt sich nach der Höhe der notwendigen Summe für die Sanierung des Kunsthaus-Gebäudes: „Wie groß soll der Eigenanteil der Stadt werden?“, fragt er Kämmerin Hella Jesper. Diese reagiert direkt: „Der Anteil der Stadt bleibt bei 0 Euro.“ Hundt fordert: Dann müsse das protokollarisch festgehalten werden. Oberbürgermeisterin Sabine Danicke wirft ein: „Richtig, genau, das kann man machen.“ Kämmerin Hella Jesper ergänzt unmissverständlich: „Wenn die Finanzierung nicht so gesichert ist, dass unser Anteil 0 Euro ist, können wir das nicht durchführen, weil das unser Haushaltsplan nicht hergeben würde.“ Hundt gibt sich zufrieden, antwortet: „Gut, das war so jetzt nicht zu erkennen.“

01:08:56: Christiane Lahne (SPD) greift das Thema auf. Mit Blick auf den Haushaltsposten „Stadtumbau Ost: Aufwertung“, unter den das Lyzeum fällt, will sie wissen: Was ist mit den dort aufgeführten Drittmitteln gemeint, wenn Land und Bund als Geldgeber schon explizit ausgewiesen sind? „Woher kommen die, das möchte ich ganz genau wissen“ (Anm. d. Red.: Im Programm Stadtumbau Ost übernehmen Bund und Land bei Aufwertungen jeweils ein Drittel der Kosten, der Rest muss von dritter Seite kommen, das kann eine Gemeinde, aber auch ein privater Investor sein. Im Fall des Kunsthauses sind 1,3 Millionen Euro eingeplant, 450.000 Euro sind Drittmittel.)

Hella Jesper antwortet, das sei schwierig zu beantworten, weil das nicht in der Verantwortung der Stadt liege. Die Antragsteller würden versuchen, Mittel etwa durch Spenden und Sponsoring aufzutreiben, um die fehlenden Gelder zu finanzieren. Deshalb könne die Stadt nicht sagen, das seien diese oder jene Gelder.

01:10:44: Hans-Jürgen Ostermann (SPD) wirft ein: „Ich denke, wir können uns das ganz einfach machen, dann schreiben wir statt Drittmittel Eigenmittel des Investors – um jede Irritation zu vermeiden.“ Hella Jesper antwortet: Das funktioniere nicht, weil Eigenmittel des Investors durch das Förderprogramm nicht erlaubt seien, Drittmittel schon.

01:11:23: Holger Lahne, ebenfalls SPD, erklärt: „Ich habe Angst, was ist, wenn die Drittmittel nicht zusammenkommen. Wer trägt dann die Kosten? Sind wir‘s vielleicht doch?“ Hella Jesper antwortet: „Dann findet das nicht statt, Herr Lahne.“ Sabine Danicke bekräftigt: „Dann findet das nicht statt.“ Die Kämmerin ergänzt: „Diese Finanzierung ist dann nicht gesichert, und dann kann das nicht von uns durchgeführt werden. Dann können keine Fördermittelbescheide an diese Antragsteller ausgegeben werden.“ Stadtratsvorsitzender Gerd Schönfeld ergänzt, genau deshalb sei der Haushaltsposten, wie von der Kämmerin dargelegt, mit einem Sperrvermerk versehen.

01:16:35: Karl-Heinz Reck, Freie Liste, hakt zum Begriff Drittmittel nach. „Drittmittel sind bei der Hochschule solche Mittel, die nicht aus öffentlichen Haushalten stammen. Ist der gleiche Begriff auch hier so zu verstehen?“ Oberbürgermeisterin Sabine Danicke antwortet mehrfach hintereinander: „Ja“. Reck: „Gut, danke.“

01:26:11: Norbert Hundt beantragt, einen Sperrvermerk auf den Haushaltsposten Stadtumbau Ost zu legen, der dort in schriftlicher Form bislang fehle. Im Fall des Kunsthauses beantragt Hundt, den Sperrvermerk so zu erweitern, dass die Auszahlung von Bundes- und Landesgeld erst erfolgt, wenn die Betreiber ein schlüssiges Konzept vorlegen können.

01:28:31: Sascha Gille, FDP (heute im Vorstand der Kunststiftung, die das Kunsthaus initiiert hat), wendet sich an Norbert Hundt: „Sie verlangen ein Konzept von einem privaten Investor, der in ein privates Grundstück 1,35 Millionen Euro investieren will? Diese Investition kostet die Stadt keinen Pfennig, ich versteh' den Antrag nicht, muss ich Ihnen sagen.“

01:30:02: Sabine Danicke erklärt mit Blick auf eine vorangegangene Sitzung: „Wir haben uns alle dazu bekannt, dieses Projekt, was baulich ist, mit zu unterstützen, nach unseren Möglichkeiten.“ Hundt wirft ein: „Nein!“ Danicke führt fort: „Betriebswirtschaftlich aber nicht.“

01:44:00: Der Stadtrat stimmt über den Antrag der SPD ab. 19 Räte sind für den erweiterten Sperrvermerk zum Lyzeum, zehn dagegen, vier enthalten sich. Damit ist der Antrag angenommen. Unter denen, die mit Nein stimmen, befinden sich Sabine Danicke und Sascha Gille. Gille reagiert mit dem Satz: „Das ist ja nicht zu fassen, wir blockieren 1,3 Millionen.“ Sabine Danicke bekräftigt: „Das ist nicht zu fassen.“

Zeitsprung: Am 29. Februar 2012 beschäftigt sich der Stadtrat erneut mit dem Kunsthaus. Initiator Dietrich von Gruben erhält dabei die Möglichkeit, das von mehreren Stadträten eingeforderte Konzept zum Kunsthaus am Ende, im nichtöffentlichen Teil der Sitzung, vorzustellen. Die FDP hatte zuvor zudem beantragt, den Sperrvermerk für die „über die Hansestadt Salzwedel auszureichenden Fördermittel aufzuheben“.

0:37:50: Arne Beckmann, Salzwedel Land, äußert sich zum Antrag der FDP, den Sperrvermerk für das Kunsthaus aufzuheben: „Wir werden dem Antrag dann zustimmen, wenn klar ist, dass der Stadt keine weiteren Aufwendungen entstehen. Bei einer verbesserten Haushaltslage kann erneut beraten werden“, sagt er. Beckmann beantragt anschließend, die von der FDP gewünschte Aufhebung des Sperrvermerks durch diese Passage zu erweitern. Stadtratsvorsitzender Gerd Schönfeld (Die Linke) wiederholt die geänderte Fassung: „Aufhebung des Sperrvermerkes für das Lyzeum, mit dem...“ Arne Beckmann hilft: „dass keine weiteren Aufwendungen für die Stadt entstehen. Bei einer verbesserten Haushaltslage kann erneut beraten werden.“ Wolfgang Kappler, Fraktionschef Salzwedel Land, ergänzt: „So ist es korrekt, ohne Summe.“

0:39:45: Der Stadtrat stimmt über den Antrag ab. 33 Räte stimmen dafür. Martin Schulz (Grüne) und Gerd Schönfeld (Die Linke) enthalten sich. Städtisches Fördergeld für die Sanierung der alten Mädchenschule ist damit, bis auf die Einschränkung einer erneuten Beratung bei besserer Haushaltslage, ausgeschlossen. Statt der möglichen 450.000 Euro Drittmittel gewährt der Stadtrat lediglich 50.000 Euro Anschubfinanzierung.

Die Reaktion: Nach der Sitzung äußert sich Kunsthaus-Initiator Dietrich von Gruben enttäuscht: „Den Beschluss muss ich noch verarbeiten“, sagt er gegenüber der Volksstimme. Zu welcher Entscheidung das führe, könne er zu diesem Zeitpunkt noch nicht sagen.

20. Dezember 2012: Ohne weitere Beratungen verschickt die Stadt einen von Sabine Danicke und der für Stadtumbau zuständigen Mitarbeiterin Ines Kahrens unterzeichneten Fördermittelbescheid an die inzwischen gegründete Kunststiftung Salzwedel. Darin informieren sie die Stiftung darüber, dass 300.000 Euro für das Kunsthaus bewilligt wurden. Bundes- und Landesmittel sind mit Anteilen von jeweils 150.000 Euro angegeben. „Die Bewilligung erfolgt unter der Bedingung, dass die Kunststiftung die erforderlichen Drittmittel (150.000 Euro, Anm. d. Redaktion) aufbringt“, heißt es im Schreiben.

28. Oktober 2013: Die Verwaltung sendet einen zweiten Bewilligungsbescheid an die Kunststiftung. Diesmal werden 700.000 Euro zugesagt, 350.000 Euro kommen jeweils von Bund und Land. Auch hier fügt die Verwaltung dem Brief den Satz hinzu: „Die Bewilligung erfolgt unter der Bedingung, dass die Kunststiftung die erforderlichen Drittmittel (in diesem Fall 350.000 Euro, Anm. d. Redaktion) aufbringt.“

3. Juli 2014: Die Stadt verschickt die letzten beiden Briefe an die Kunststiftung. Im ersten setzt sie die Fördermittelhöhe für den Bescheid vom 20. Dezember 2012 nachträglich auf 450 000 Euro hoch, im zweiten auf 1,05 Millionen. Statt der Aufsplittung in Bundes- und Landesmittel ist jetzt nur noch von Anteilsfinanzierung die Rede. Der Zusatz, dass die Stiftung Drittmittel selbst aufzubringen habe, fehlt ganz. Woher die Drittmittel in Höhe von zusammengefasst 450 000 Euro kommen, bleibt in den Briefen unklar.

Nachtrag: Fest steht: Sie kamen trotz des Sperrvermerks und ohne weitere Beratungen von der Stadt.

Salzwedels kommissarischer Bürgermeister Andreas Vogel bat die Kommunalaufsicht des Altmarkkreises deshalb bereits im November 2015 um Prüfung der Vorgänge. „Erläuterungen, aus denen ersichtlich wird, dass die Mittel für das Lyzeum verwendet werden sollten, finden sich in den Haushalten aus jetziger Sicht nicht“, sagte Vogel damals. Alle Stadträte, mit denen er gesprochen habe, hätten erklärt, nichts über die Zahlungen gewusst zu haben. Sabine Danicke hatte dagegen zuletzt bekräftigt, alles sei rechtmäßig zugegangen. Wie genau das funktioniert haben soll, erklärte die ehemalige Oberbürgermeisterin nicht.