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Berufswahl Thüringer wollen „spicken“

Wie kann das Projekt „Tage in der Praxis“ dauerhaft für die Berufsorientierung etabliert werden? Darum ging es in Kuhfelde.

Von Uta Elste 23.11.2018, 17:40

Kuhfelde l Mehr Einblick in die Praxis, damit am Ende der Schulzeit nicht eine Ausbildungsentscheidung fällt, die sich bald darauf als falsch erweist: Dieses Ziel verfolgt das Projekt „Tage in der Praxis“- kurz TIP.

Im ersten Schulhalbjahr der 9. Klassen steht die Vorbereitung auf dem Programm: Theorie und erster fachpraktischer Unterricht, Kompetenzen und erste berufliche Vorstellungen werden ermittelt, parallel Firmen für die eigentlichen Tage in der Praxis akquiriert. Diese beginnen im zweiten Halbjahr: Alle zwei Wochen erhalten die Jugendlichen für jeweils einen Tag einen Einblick in die Arbeitswelt.

2014 startete die Berufsorientierung als Modellprojekt „Tage in der Produktion“. Der Nachfolger „Tage in der Praxis“ ist Teil des landesweiten Programms Regionales Übergangsmanagement (Rümsa), das durch den ESF-Fonds in Kooperation mit der Agentur für Arbeit und dem Altmarkkreis Salzwedel gefördert wird. Für die Laufzeit seit Mai 2017 bis September 2019 stehen etwa 500 000 Euro zur Verfügung.

235 Schüler aus der Lessing- und der Comenius-Ganztagsschule, den Sekundarschulen aus Beetzendorf und Dähre sowie den Förderschulen aus Salzwedel und Gardelegen werden ihre Praxistage in 179 Unternehmen in der westlichen Altmark verbringen, die wiederum 249 Praktikumsplätze zur Verfügung gestellt haben.

Die meisten Schüler (72) haben sich für Praxistage in einem Bau- oder Handwerksbetrieb entschieden, gefolgt vom Bereich Gesundheit/Pflege/Soziales (55). 47 Schüler orientieren sich im Bereich Verwaltung/Handel, 38 in den grünen Berufen.

Diese Art der Berufsorientierung lohnt sich offenbar. „Es gibt 30 Prozent Ausbildungszusagen“, freut sich Jutta Morr, Leiterin der Rümsa-Koordinierungsstelle beim Altmarkkreis. Und sie hat sich herumgesprochen: Zum Treffen in Kuhfelde kamen nicht nur Schüler, Lehrer, viele Eltern und Vertreter der beteiligten Unternehmen, sondern auch Gäste aus Thüringen. „Wir wollen hier mal spicken“, sagte Anke Schröpfer schmunzelnd, für Berufsorientierung zuständige Referentin im Erfurter Bildungsministerium. Auch in Thüringen sei rechtzeitige Berufsorientierung ein wichtiges Thema, um das sich bislang vor allem Bildungsträger kümmern. Für neue Ideen wird aus Thüringen auch über die Landesgrenze geschaut, um zu erfahren, wie die Schüler noch mehr Eindrücke aus der realen Arbeitswelt bekommen können.

Ebenso wichtig wie das Kennenlernen der Anforderungen in den einzelnen Berufen sei der Erwerb sozialer Kompetenzen. „Auch das muss den Jugendlichen vermittelt werden, wie man sich beispielsweise am Telefon meldet, oder dass man auch mal das Handy weglegt. Der ganz normale Knigge eben“, sagt Frauke Lenz, TIP-Projektleiterin beim Verein zur Förderung der beruflichen Bildung (VfB).

Für die Unternehmen, die die Praxistage ermöglichen, ist TIP eine gute Möglichkeit, Kontakt zu ihren potenziellen Auszubildenden aufzunehmen. Die Jugend im ländlichen Raum sei sehr mobil und ziehe in die Ballungsräume, so Birgit Herrmann, Pflegedienstleiterin im Salzwedeler Altmark-Klinikum. Aber angesichts des demografischen Wandels sei es sehr wichtig, Jugendliche für Pflegeberufe zu begeistern. Erfolge stimmen Birgit Herrmann optimistisch: Die ersten Interessenten konnten zur Bewerbung motiviert werden.

Die Fortsetzung von TIP sei beantragt, informiert VfB-Geschäftsführer Thomas Koberstein. Aus seiner Sicht sollte Berufsorientierung an allen Schulen in der Sekundarstufe I ein Thema sein - auch in den Gymnasien. Koberstein erinnert an eine Studienabbrecherquote von etwa 20 Prozent. „Wer sich für ein duales Studium entscheidet, sollte das Rüstzeug für die Tätigkeit in Firmen mitbringen.“