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Bilanz Potenzial zur Integration

Michael Ziche, Landrat im Altmarkkreis Salzwedel, zieht Bilanz über die Flüchtlingsfrage und seine Wiederwahl.

Von Antje Mewes 09.01.2016, 02:00

Die Unterbringung der Flüchtlinge war sicherlich die größte Herausforderung im vergangenen Jahr. Wie sehen Sie das rückblickend?

Michael Ziche: Ja, und deshalb haben wir uns intensiv darauf eingestellt! So ist im Landkreis Anfang 2015 mit vielen Beteiligten im Ehren- und Hauptamt ein interner Flüchtlingsgipfel veranstaltet worden. Heute können wir feststellen, die Vorbereitung war gut und richtig, aber vom Ausmaß dessen, was uns dann das Jahr 2015 gebracht hat, hatten wir keine gefestigten Vorstellungen. Gerechnet wurde ja zu diesem Zeitpunkt landesweit mit 9000 Flüchtlingen. Letztlich waren es in ganz Sachsen-Anhalt etwa 40  000, von denen etwa 1100 zu uns in den Altmarkkreis kamen. Nur mal zum Vergleich: 2013 kamen nicht mal 100 Flüchtlinge zu uns. Ich kann feststellen, dass die Aufgabe der Unterbringung, Beratung und Betreuung von Flüchtlingen für 2015 gelungen ist. Hilfreich dafür war natürlich auch, dass über eine große Bereitschaft in der Bevölkerung sich ehrenamtliche Netzwerke etablierten, die bereits eine tolle Arbeit in Sachen Integration geleistet haben! Rückblickend kann ich sagen: Alles ist sehr solide und in großer Sachlichkeit abgelaufen. Wir sind auch von Anfang an sehr transparent mit dem Thema umgegangen. Es gab Informationsveranstaltungen in Salzwedel, Klötze, Liesten, Mieste und Apenburg. In anderen Orten wie Kalbe, Kuhfelde und in Gerstedt wurde individuell informiert. Mehrheitlich sind wir auf großen Zuspruch und viel Verständnis gestoßen, auch beim Tag der offenen Tür in der Kollwitz-Sporthalle, bevor die ersten Flüchtlinge dort untergebracht wurden. Gegen Ende des Jahres war aber zu spüren, dass Sorgen zunehmen und diese auch artikuliert werden.

Welche Sorgen bewegen die Menschen?

Jede Aufgabenerfüllung ist begrenzt durch vorhandene Ressourcen und Kräfte. Zu Recht mehren sich die Fragen der Öffentlichkeit, aber auch aus dem kommunalpolitischen Raum, wie lange wir das ohne Abstriche beim Bewältigen anderer wichtiger Kreisaufgaben noch leisten können. Über ein Nachsteuern bei der Finanzierung durch das Land ist sichergestellt, dass es vorerst zu keinen Einschnitten kommen wird. Natürlich gibt es auch berechtigte Sorgen um die öffentliche Sicherheit und Ordnung. Die Vorgänge in Köln zeigen ja, dass das keiner auf die leichte Schulter nehmen darf. In dieser Hinsicht muss auch die gesamte Härte des Rechtsstaates zur Aufklärung und Verfolgung solcher Vorgänge zum Einsatz kommen. Niemand hat das Recht, sich über unsere Werte und Gesetze hinweg zu setzen, oder aber er muss unser Land sofort verlassen. Aber es gibt bei uns eben diese Erfahrungen nicht. Kriminalität durch Flüchtlinge im Altmarkkreis Salzwedel ist nicht auffällig. Das ist sicherlich auch der gesamten gute Arbeit bei der Unterbringung und Integration von Flüchtlingen geschuldet. Deshalb habe ich großen Respekt vor den ehren- und hauptamtlichen Mitarbeitern, die sich um die Flüchtlinge kümmern und solche Aktivitäten anstoßen wie die des Künstlerstadtvereins Kalbe.

Wie wird es in der Flüchtlingsfrage Ihrer Ansicht nach 2016 weitergehen?

Ich denke, die Entwicklung wird 2016 ähnlich sein wie im Jahr zuvor, allerdings besser organisiert und flankiert von entsprechenden rechtlichen Vorgaben. Wichtig ist, dass die Verfahren unbedingt abgekürzt werden. In Sachsen-Anhalt soll eine Pilot-Erstaufnahmestelle eingerichtet werden, in der Mitarbeiter des Bundesamtes für Migration und Flüchtlinge arbeiten und die Verfahren sehr schnell abwickeln und zum Abschluss bringen. Das würde uns in der Fläche entlasten. Inzwischen macht es sich bemerkbar, dass Balkanstaaten zu sicheren Herkunftsländern erklärt wurden. Bis September kamen etwa ein Drittel der Flüchtlinge aus West-Balkanländern, jetzt sind es deutlich unter fünf Prozent.

Und welche Aufgaben stehen hinsichtlich der Integration der Menschen an?

Wichtig ist für die Flüchtlinge, dass sie Rechtssicherheit im Hinblick auf ihren Status bekommen. Die Prognosen gehen zwar davon aus, dass etwa ein Drittel davon hierbleibt. Aber wenn der Aufenthaltsstatus geklärt ist, können die Menschen fortziehen und viele machen das auch. Es ist doch natürlich, wenn sie sich umsehen, wo Verwandte leben. Ich gehe deshalb davon aus, dass die neuen Bundesländer und die Altmark nicht die bevorzugten Gebiete sein werden, in denen Flüchtlinge bleiben.

Wichtig ist aber auch, dass die Menschen, die dann hierbleiben, Arbeit finden.

Hinsichtlich unserer wirtschaftlichen Situation haben wir Potenzial zur Integration, vor allem in der Landwirtschaft und in der Gastronomie, aber auch in der Pflege und im Handwerk. Aber wir werden einen langen Atem brauchen und müssen die Menschen qualifizieren. Viele haben zwar keinen adäquaten Schulabschluss, aber den brauchen sie auch nicht unbedingt für eine Ausbildung. Was sie können, findet man auch in entsprechenden Praktika heraus, und dort kann man dann ansetzen. Ich finde es gut, wenn das Handwerk auf den bewährten Weg verweist, jemanden einfach mal zu testen. Im Arbeitsamtsbezirk der Altmark gibt es dazu bereits gut Beispiele. Wir wollen deshalb auch mit der Industrie- und Handelskammer und mit dem Handwerk Veranstaltungen organisieren, um solche Fragen zu klären. Denn ich kann mir einfach nicht vorstellen, dass die Menschen, die zu uns kommen, dauerhaft die sozialen Sicherungssysteme beanspruchen wollen.

Was bedeutet 2015 ganz persönlich für Sie?

2015 war ein erfolgreiches und sehr schönes Jahr. Dass ich im Februar wiedergewählt wurde, war ein großer Vertrauensbeweis der Menschen bei uns im Altmarkkreis. Da fühlt man sich in seiner Arbeit bestätigt und ich gehe deshalb auch mit Dankbarkeit und Demut an die weitere Arbeit als Landrat. Außerdem haben wir 2015 25 Jahre kommunale Selbstverwaltung gewürdigt. Rückblickend bin ich sehr dankbar dafür, dass ich diese Zeit an maßgeblichen Stellen mitgestalten durfte. Außerdem haben wir 25 Jahre Deutsche Einheit gefeiert, die ich nach wie vor als ein großes Geschenk der Geschichte ansehe, das maßgeblich durch mutige Menschen in der ehemaligen DDR erkämpft wurde. Ich erinnere mich gern an das Treffen mit den Menschen von hüben und drüben am 3. Oktober 2015 in Neuekrug/Reddigau und Diesdorf, wo gemeinsam gefeiert wurde. So viele Menschen sieht man ja sonst nicht in „Texas“.

Und was steht 2016 ganz oben auf Ihrer Agenda?

Natürlich die Flüchtlingsproblematik, mit der wir wohl in diesem Jahr in ähnlicher Form wie 2015 konfrontiert werden. Aber es wird stärker um die gesellschaftliche und berufliche Integration der Menschen, die bei uns Schutz suchen und auch ein Bleibeperspektive haben, gehen. Und dann steht die Entwicklung des ländlichen Raumes im Mittelpunkt, vor allem unter dem Gesichtspunkt des dafür zur Verfügung stehenden Geldes. Am 13. März wird der neue Landtag gewählt, da werden wir als kommunale Familie auch unsere Erwartungen an das Land formulieren. Als Präsident des Landkreistages Sachsen-Anhalt will ich mich hier im besonderem Maße in die Pflicht nehmen lassen. Ich setze natürlich 2016 auch wieder fest darauf, dass sich die Menschen in unserem Landkreis engagiert weiter für die Entwicklung unserer Region einbringen. Egal, an welcher Stelle sie Verantwortung tragen. Dafür bin ich im Übrigen auch sehr dankbar, weil nur so ein kommunales Gemeinwesen funktioniert.