1. Startseite
  2. >
  3. Lokal
  4. >
  5. Nachrichten Salzwedel
  6. >
  7. Erzieherinnen den Tränen nahe: Personalsorgen in Salzwedels Kitas

Kinderbetreuung Erzieherinnen den Tränen nahe: Personalsorgen in Salzwedels Kitas

Zu viele Kinder, zu wenige Erzieher: In Sachsen Anhalt fehlen Betreuungskräfte. Auch in Salzwedeler Kindertagesstätten ist die Personaldecke eng bemessen. Kritik gibt es in Richtung Politik.

Von Antje Mewes 28.07.2021, 01:45

Salzwedel - Mit Kindern arbeiten – ein Traumberuf für viele junge Leute. Im Kita-Alltag angekommen, folgt die Ernüchterung: „Die Arbeit am Kind kommt zu kurz, der bürokratische Aufwand ist viel zu hoch“, sagt Kathrin Klähn, Leiterin der bilingualen Kita Kinderhouse. Wenn eine Erzieherin sechs Stunden am Tag arbeitet, kann sie sich nur vier Stunden mit ihren Schützlingen beschäftigen. Da seien Vor- und Nachbereitung nicht eingerechnet. Der Anspruch, Elterngespräche zu führen und vorzubereiten, die Entwicklung der Kinder zu dokumentieren sei groß, aber es fehle die Zeit. „Leidtragende sind Kinder und Eltern“, so Klähn. Die Fachkräfte, die mit hoher Motivation in ihren Beruf starten, seien zunehmend frustriert und alles nur, weil der Betreuungsschlüssel, der im Kinderförderungsgesetz (Kifög) festgeschrieben ist, zu hoch sei. Das veranlasse qualifizierte gute Mitarbeiter dazu, sich umzuorientieren.

Während bei den Kindern Urlaubs- und Krankheitszeiten herausgerechnet würden, gelte eine Erzieherin im Betreuungsschlüssel als 100 Prozent anwesend. Das bilde in keiner weise die Realität ab, da ja jeder Mitarbeiter Urlaub erhalte oder krank werden könne, erklärt Kinderhouse-Geschäftsführer Thomas Wnuck.

Das „Gute-Kita-Gesetz“ in das hohe Erwartungen gesetzt worden seien, habe sich als „Gute-Eltern-Gesetz“ entpuppt. Die Entlastung der Eltern bei den Kita-Beiträgen hätte aus seiner Sicht lieber dazu genutzt werden sollen, um „die Rahmenbedingungen zu verbessern“. Wnuck: „Bei dem Gesetz sind völlig falsche Prioritäten gesetzt worden.“ Statt in die Qualität der Betreuung zu investieren, wurden fast ausschließlich die Eltern entlastet.

Ein rein politisch motiviertes Geschenk, findet auch die Kita-Leiterin. Deshalb ist sie Mitbegründerin des Kita-Fachkräfteverbandes auf Landesebene. Die aktuelle Politik sei nicht nur ein Problem für die Träger und Leitungen der Einrichtungen, sondern sorge für schlechte Arbeitsbedingungen und Fluktuation. Noch sei das Kinderhouse aber gut aufgestellt. „Im Mittelpunkt stehen bei uns die Kinder“, so Klähn.

Nach Lüchow verabschiedet

Ähnliches muss auch Christian Mehlicke erleben, der bei der Lebenshilfe die Kindertagesstätten verantwortet. Er erzählt ein Beispiel: Eine Erzieherin habe sich nach Lüchow verabschiedet. „Dort ist der Betreuungsschlüssel im Kindergartenbereich eins zu acht, statt bei uns eins zu zwölf“, sagt er. Zusätzlich gebe es wöchentlich vier Stunden für die Vor- und Nachbereitung, die in Sachsen-Anhalt überhaupt nicht berücksichtigt sei. Außerdem: eine 38-Stunden-Woche und mehr Geld. „Da kann ich nur gratulieren“, meint er sarkastisch.

Fachkräfte fehlen auch der Lebenshilfe mit ihren beiden Einrichtungen, in Salzwedel – davon eine integrativ. Quereinsteiger zu qualifizieren, wie vom Sozialministerium vorgeschlagen, sei schwierig, weil die Mitarbeiter nur an zwei Tagen in den Kitas mitarbeiten können. „Da wird es schwer, die Gruppen abzusichern“, sagt er. Auch aus seiner Sicht ist der Betreuungsschlüssel im Kifög viel zu hoch.

Mehlicke: „Das ist keine schöne Situation.“ Eltern seien in Sorge, weil es zu häufigem Personalwechsel komme. Zwar gelinge es, den Schlüssel zu erfüllen, aber die Arbeitsbelastung sei enorm und Erzieherinnen öfter „den Tränen nahe“.

Von einem Notstand will Doris Gensch, Leiterin des Kita-Eigenbetriebs der Hansestadt, nicht sprechen. „Noch können wir den Schlüssel einhalten“, sagt sie. Aber falls jemand eine Initiativbewerbung einreichen würde, hätte er gute Chancen, in einer der 13 Einrichtungen einen Erzieher-Job zu bekommen.

Der Eigenbetrieb habe rechtzeitig vorgesorgt und Stellen der über Altersteilzeit ausscheidenden Kollegen nachbesetzt. „Natürlich sind auch wir bemüht, neue Leute zu akquirieren“, sagt die Eigenbetriebsleiterin. Zudem setzte sie darauf, die Ausbildung vor Ort zu unterstützen, indem Praktika für die Fachklassen für Sozialpädagogik an der Berufsschule angeboten werden.

Ansprüche berücksichtigt

Ein zweiter Weg sei die berufsbegleitende Qualifikation für Kinderpfleger oder Sozialassistenten, die in den Kitas arbeiten. Erst vor kurzem habe ein junger Mann diesen Weg erfolgreich beschritten.

Da sich zumeist junge Frauen für den Beruf des Erziehers entscheiden, spiele die Familienplanung eine Rolle, so dass häufig Schwangerschafts- und Elternzeitvertretungen zu organisieren seien. Mit Arbeitszeitkonten und flexiblen Angeboten zur wöchentlichen Arbeitszeit, versuche der Eigenbetrieb, den Ansprüchen junger Leute entgegenzukommen. „30 bis 35 Stunden reichen ihnen“, hat sie festgestellt. Es sei eine Generationenfrage. Früher wurden Vollzeitjobs angestrebt – inzwischen gehe es eher um die Balance zwischen Arbeit und Freizeit.

Keine Sorgen hat die Volkssolidarität mit ihrer Salzwedeler Kita Rappelkiste. „Wir praktizieren seit vielen Jahren die berufsbegleitende Ausbildung“, sagt Personal-Verantwortliche Liane Sichting.