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Flüchtlinge Leben in der Ersatzfamilie

Seit 2015 sind vom Altmarkkreis 100 minderjährige Ausländer, die ohne Eltern nach Deutschland kamen, in Obhut genommen worden.

Von Antje Mewes 03.03.2017, 02:00

Salzwedel l Sie habe keinen Moment erlebt, in dem ihr junge männliche Migranten keinen Respekt erwiesen hätten, weil sie eine Frau ist, sagte Susann Meinecke, die in der Kreisverwaltung für die unbegleiteten minderjährigen Ausländer zuständig ist. Damit antwortete sie auf eine Frage von Jugendhilfeausschuss-Mitglied Konrad Fuchs. Meinecke hatte am Mittwoch in dem Gremium über die Aufnahme, Unterbringung und Betreuung der Kinder und Jugendlichen berichtet. 93 von ihnen sind männlich. Was Fuchs zu dieser Frage bewog.

Zudem wollte er wissen, was es mit der eingangs von Meinecke geschilderten Schummelei beim Alter auf sich habe, die auch zu Ablehnungen bei der Inobhutnahme führte. Die Verwaltungsmitarbeiterin berichtete, dass viele der Aufgenommenen keine oder nur unzureichende Papiere bei sich haben. Das ist zum einen für die Asylanträge ungünstig, aber dadurch ist auch das Alter nicht eindeutig nachweisbar. Deshalb seien in Zweifelsfällen Begutachtungen vorgenommen worden, die ergeben haben, dass einige Jugendliche älter als 18 Jahre waren.

Als Beispiel nannte sie zwei Marokkaner, die sich als 25 und 26 Jahre alt erwiesen und zurück in die Erstaufnahmeeinrichtung geschickt wurden. „Unter dem Dach der Jugendhilfe lebt es sich leichter“, begründete Meinecke, dass zum Alter falsche Angaben gemacht werden.

Bis auf vier Jungen und Mädchen, die in Pflegefamilien leben, sind alle in drei speziellen Einrichtungen in Gardelegen und Salzwedel untergebracht, die von verschiedenen Trägern der Jugendhilfe geführt werden. Auf eine dritte Frage von Fuchs erklärte Meinecke, was es mit den Pflichten und Rechten auf sich hat, die der Kreis mit der Inobhutnahme für die Minderjährigen vertritt. Die Pflichten seien im Prinzip die selben, wie sie auch von deutschen Kindern erwartet würden. So beispielsweise das Helfen im Haushalt, pünktlich aufzustehen, in der Schule mitzuarbeiten. Im Heim lebten sie wie in einer Ersatzfamilie. Hinzu komme für die Migranten, sich mit dem Land auseinanderzusetzen, in dem sie jetzt leben. Das verlaufe nicht immer reibungslos. Wie in anderen Familien auch, gebe es Versuche, sich vor den Aufgaben „zu drücken“.

2015 sind die meisten der jungen unbegleiteten Flüchtlinge aus Syrien gekommen. Oft waren sie in sogenannten Fluchtverbänden unterwegs, in denen sich Erwachsene um sie gekümmert haben. Da dies meist sehr fürsorglich erfolgte, sind diese Kinder und Jugendlichen, soweit möglich, bei ihren Bezugspersonen geblieben. Seit Anfang 2016 werden die unbegleiteten Minderjährigen mit einer Quote auf die Landkreise verteilt. Darunter auch Jungen und Mädchen aus Afghanistan, Pakistan, Eritrea, Gambia und weiteren Ländern. Sie haben zum Teil mit Gesundheitsproblemen zu kämpfen und sind aufgrund von Erlebnissen in ihren Heimatländern und auf der Flucht traumatisiert. Medizinische und psychologische Betreuung sei an der Tagesordnung, erklärte Susann Meinecke.

Alle besuchen inzwischen ihrem Alter entsprechende Schulen und erhalten Förderunterricht in deutscher Sprache, zusätzlich auch in den Heimen. Unter ihnen seien viele Analphabeten. „Aber sie lernen sehr schnell“, berichtete Meinecke. Deshalb stehen auch an der Sekundarschule für die Jugendlichen zunächst Fächer wie Lesen, Schreiben oder Rechnen im Vordergrund.

Mitunter hätten es die Erzieher mit notorischen Ausreißern zu tun. „Sie laufen weg und kommen wieder“, erzählte Meinecke im Ausschuss. Allerdings starte zuvor meist eine aufwändige Suchaktion, oft unter Beteiligung der Polizei. Gesprächsrunden, Aktionen wie Fahrradführerschein oder Drogenberatung sollen den jungen Menschen, die aus unterschiedlichen Kulturen und Religionsgemeinschaften stammen, helfen, sich in die deutsche Gesellschaft einzufügen.