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Gastronomie Geteilte Sicht auf Mindestlohn

Die Gewerkschaft sieht den Mindestlohn als Erfolgsmodell. Auch Salzwedler Gastronomen befürchten höhere Preise und Schließungen.

Von Antje Mewes 01.03.2017, 02:00

Salzwedel l Seit Januar beträgt der Mindestlohn in Deutschland 8,84 Euro pro Stunde und ist damit erstmals seit seiner Einführung vor zwei Jahren gestiegen – um 34 Cent. „Vom Schreckgespenst Mindestlohn spricht keiner mehr“, sagt Holger Willem, Geschäftsführer der NGG Magdeburg. „Auch Arbeitgeber, die vor dem gesetzlichen Mindestlohn als ‚Job-Killer‘ und ‚Konjunktur-Bremse‘ gewarnt haben, sind in der Realität angekommen und kleinlaut geworden“, ergänzt er. Inzwischen werde der Mindestlohn von den Arbeitgebern akzeptiert. Willem: „Er hat sich bewährt und dazu beigetragen, die ruinöse Dumpinglohnspirale nach unten zu stoppen.“

Ein weiterer Vorteil seien mehr Jobs in der Branche. Gerade Hotels, Pensionen, Restaurants und Gaststätten hätten in der Mindestlohn-Phase mehr Personal eingestellt. Das gelte auch für den Altmarkkreis, in dem vor einem halben Jahr rund 660 Menschen mit einem sozialversicherungspflichtigen Beschäftigungsverhältnis in der Gastronomie gearbeitet hätten. Im Vergleich zu 2014 mache das für den Landkreis ein Plus von gut vier Prozent aus. So habe es eine Studie ergeben, die die Gewerkschaft in Auftrag gegeben hatte.

Dehoga-Landespräsident Michael Schmidt sieht das differenzierter. Der Mindestlohn habe eventuell einige sozialversicherungspflichtige Anstellungen mehr gebracht, aber dafür seien viele geringfügige Beschäftigungsverhältnisse und Zweit-Jobs weggefallen, mit denen die Betriebe Spitzenzeiten beispielsweise an Wochenenden oder in der Hochsaison abgefangen hätten. Das sei nun wegen des Arbeitszeitgesetzes wesentlich schwieriger. Die Wochenarbeitszeit sei bei Vollbeschäftigung schnell erreicht und überschritten. „Aus meiner Sicht ist es sinnvoll, Arbeitszeit an Lebensphasen flexibel anzupassen“, erklärte Schmidt. Als Beispiel nannte er, dass es Mitarbeiter gebe, die gern drei Tage in der Woche frei hätten und dafür beispielsweise am Wochenende auch länger arbeiten würden, das sei nicht möglich. Die EU gebe lediglich maximal 48 Wochenstunden vor, aber nicht wie viele an einem Tag. Deutschland sei mit seiner Gesetzgebung vorgeprescht, zulasten der Branche.

Für Willem ist beim Mindestlohn noch „deutlich Luft nach oben“. Der NGG-Geschäftsführer spricht sich für eine rasche Anhebung „Richtung zehn Euro pro Stunde – und dann weiter“ aus. Alles unter einem Stundenlohn von 11,50 Euro bedeute später Altersarmut.

„Betriebswirtschaftlich gesehen ist das eine Herausforderung“, kontert der Dehoga-Präsident. Die Frage sei, ob die Gäste bereit sind, für die Dienstleistung mehr zu zahlen. Kostendeckend zu kalkulieren bedeute, den Aufwand umzulegen. „Mehr Lohn bedeutet, dass die Preise steigen“, sagt Schmidt.

Die Kreis-Dehoga-Vorsitzende und Hotel-Inhaberin in Salzwedel, Annette Wnuck von Lipinski, betätigt diesen Fakt. Sie habe die Preise nicht erhöht, aber das sei „schwer abzufangen“. „Was am Ende überbleibt ist weniger, große Sprünge können wir nicht machen“, schätzt sie ein.

Michael Schmidt führt ins Feld, dass viele Gastronomie-Betreiber selbst mehr arbeiten, um über die „Runden zu kommen“. Das sei zum Teil gesundheitsgefährdend, schätzt er ein. Weitere Folgen seien kürzere Öffnungszeiten und Schließungen, gerade in der Fläche. Dabei spiele Demografie eine Rolle, aber auch der Drang junger Menschen, in die Ballungsgebiete zu ziehen. Gerade auf dem Land sei es schwierig, Nachfolger und auch Personal zu finden.

Infografik: Mindestlöhne weltweit | Statista Mehr Statistiken finden Sie bei Statista