Homeschooling Die Alleingelassenen

Beim Thema Hausunterricht liegen die Nerven im Altmarkkreis Salzwedel teils blank: Von Bildungschaos ist die Rede.

Von Alexander Rekow 19.01.2021, 09:25

Altmarkkreis l Distanzunterricht, Homeschooling, Lernen zu Hause: Für viele Eltern wie Kinder beginnt hier der Stress. Und ob Grund-, Sekundarschule oder Gymnasium, die Probleme scheinen oftmals die gleichen und hinterlassen überforderte Schüler und genervte Eltern. Neben zahlreichen Anrufen mit Beschwerden erreichten die Volksstimme auch einige Schreiben von Müttern und Vätern.

„Ich habe den Eindruck, je besser digitale Möglichkeiten genutzt werden, desto größer ist auch der Erfolg“, schreibt eine Leserin, die namentlich nicht genannt werden möchte und deren Nichte die Grundschule Kuhfelde besucht. Zum ersten Lockdown im März 2020 habe ihre Nichte gut strukturierte Arbeitspläne bekommen. Problem: Es habe die Anleitung der Lehrerin gefehlt, „die ich dann übernehmen musste, so gut es eben geht“. Besagte Hilfe und die eigene Arbeit im Homeoffice seien mehr als stressig gewesen. Dann sei der Hausunterricht digitalisiert worden. „Es gibt eine passwortgeschützte Pinnwand im Internet, auf der für jedes Fach eine Spalte zu finden ist mit den einzelnen Aufgaben und klaren Anweisungen für die Woche.“ Damit klappe der Unterricht in den eigenen vier Wänden wesentlich besser. „Mein Eindruck ist aber auch, dass alles mit dem Lehrer steht oder fällt und dass viele damit vielleicht auch alleingelassen wurden“, schreibt sie weiter.

Von einer anderen Klasse wisse sie, dass die Schüler ihr Material weiter als Kopie bekämen, inklusive Anleitungen, aber die Grundschüler die Aufgaben nicht bewältigen können. „Es muss ein Erwachsener dabei sitzen, der hilft und anleitet, was sicher nicht in jedem Haushalt so möglich ist.“ Zudem seien es teils so viele Aufgaben, dass sie nicht zu schaffen seien.

„Wegen eines schwierigen Impfstartes herrscht helle Aufregung. Dabei ist das Bildungschaos eine viel größere Katastrophe, die unsere Politik und Verwaltung gerade zu verantworten hat“, ärgert sich Frank Platte, der sich fragt, warum die hiesigen Schulen so unterschiedlich „(un)vorbereitet“ in diesen Lockdown gegangen sind. Seinem Empfinden nach sei das Beetzendorfer Gymnasium mit dem Moodle-System (Anm. Red.: ein Lern-Managment-System) als Kommunikationsplattform gut aufgestellt. Auch das Jahngymnasium in Salzwedel zeigte sich damit bereits in der Vergangenheit relativ zufrieden.

Dass in Grund- und Sekundarschulen die Plattform WhatsApp mit seinen Datenschutzlecks die wichtigste Bildungsplattform bilde, bestürzte Frank Platte. „Und dass einige Lehrer die Kinder, wenn überhaupt, dann auch noch unkoordiniert mit Aufgaben zuwerfen, die von teils vollbeschäftigten Eltern nur mit hohem Managementaufwand kindgerecht organisierbar sind, ist ein humanes und ökonomisches Desaster und zugleich Armutszeugnis unseres rückständigen sogenannten Bildungssystems.“ Trotz aller teils harten Kritik zolle er jenen Lehrkäften seien Respekt, die dieser Tage mit hohem persönlichen Engagement für ihre Schüler da seien. Denn auch diese habe er im Altmarkkreis schon gesehen.

Handschriftliche Aufgaben von Lehrern, darüber ärgert sich ein Großvater in Pretzier, der mit seinem Enkel die Hausaufgaben erledigt. Sein Problem: Die Zettel würden teils lieblos geschrieben, ohne Form, obwohl das gerade für Grundschüler und ihr Schreibbild von Bedeutung sei. „Kann das nicht per Mail geschickt werden, am Computer erstellt?“, fragt er sich mit Blick auf die digitale Welt. Er sei zudem darüber verärgert, dass es keinen einheitlichen Weg in den Schulen des Landes gebe. Eine digitale Vereinheitlichung sei aus seiner Sicht zwingend angebracht.

„Die aktuelle Schulschließung sind in Anbetracht der aktuellen Zahlen richtig und wichtig. Es wurde jedoch nach dem ersten Lockdown bundespolitisch versäumt, sich auf erneute Schulschließungen vorzubereiten. Dies zeigt sich auf mehreren Ebenen“, formuliert es Cathleen Hoffmann, deren Tochter die Grundschule Stephan Praetorius in Salzwedel besucht. Eltern würden mit den Herausforderungen des Homesschooling alleingelassen. Wie Mütter und Väter neben einem Vollzeitjob die schulische Betreuung ihrer Sprösslinge stemmen sollen, habe auf bundespolitischer Ebene keine Relevanz. In den Schulen hätte es in den vergangenen Monaten eine digitale Offensive geben müssen. Medienpädagogische Schulungen für Lehrer, technische Infrastrukur in Schulen und zuhause und Konzepte für Schulkinder im Lockdown würden der Mutter fehlen.

„Viele Schulkinder sind jetzt allein gelassen, sie sitzen allein mit ihren Hausaufgaben, haben keine Lehrkraft, an die sie sich bei Fragen direkt wenden können und haben keinen Austausch mit ihren Mitschülern.“

Dass es beim Thema Homeschooling Probleme gibt, sieht auch Mirko Wolff vom Vorstand des Kreiselternrats: „Insgesamt ist festzustellen, dass es in einer Vielzahl der Elternhäuser Verunsicherungen über die adäquate Begleitung ihrer schulpflichtigen Kinder gibt.“ Problematisch betracht Wolff, dass alle bisher geltenden Unterstützungsangebote nur für Kinder bis zwölf Jahre gilt. „Diesen Ansatz halten wir für falsch und zu kurz gegriffen.“ Es brauche kein weiteres wochenlanges Klagen über die unzureichende Ausstattung von Personal an Schulen, sondern transparente Regelungen, wie es weitergehen soll. Dies sei unabdingbar, damit Eltern Beruf und Betreuung ihrer Kinder besser vereinbaren können.

„Bei aller Kritik und offenen Fragen geht es der Mehrheit der Eltern nicht um eine schnelle Öffnung der Schulen, sondern eben um die Beantwortung der offenen Fragen und einen transparenten und nachvollziehbaren Umgang mit den Begleiterscheinungen, welche aus den aktuellen Schulschließungen resultieren“, so Wolff.