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Muttermord Täter war „nicht böse“ auf sein Opfer

Er hat seine betagte Mutter gepflegt und dann getötet. Ob es Mord war oder ein minderschweres Delikt, muss nun ermittelt werden.

Von Gesine Biermann 16.04.2020, 01:01

Stendal/Arendsee l Der Tatvorwurf wiegt schwer. Im November hatte ein Rentner aus einem kleinen Dorf im Altmarkkreis Salzwedel seine Mutter mit einem Kissen im Schlaf erstickt. Die Sache hat er eingeräumt. Schon als er am Tattag selbst die Polizei anruft. Zum Motiv schweigt er sich aus.

Auch am 15. April spricht er kaum, verfolgt die Verhandlung mit gesenktem Blick. Zwei Zeugen sollen aussagen. Beide sind mit ihm verwandt. Beide hatten viel mit ihm zu tun – aber doch irgendwie nicht. Denn offensichtlich war der Angeklagte in der Familie kaum wahrgenommen worden. „Wir haben nebeneinander her gelebt“, sagt ein Verwandter, der auf demselben Grundstück wohnt, und auf die Frage von Richter Ulrich Galler, ob er sich für ihn interessiert habe, sagt: „Nicht wirklich.“

Und auch die Schwester des Angeklagten, die zudem Nebenklägerin ist, schildert das Verhältnis zum Bruder als kaum existent. Man habe sich gesehen, aber kaum geredet und wenn, dann nur über die Pflege der Mutter. Für die hatte der Angeklagte in den letzten Jahren nämlich in erheblichem Umfang gesorgt, hatte sich um Frühstück, Abwasch und Einkäufe gekümmert, ihr mittags das Essen aus dem Gasthaus geholt und auch saubergemacht.

Allerdings meist „nicht sehr ordentlich“, wie seine Schwester betont. Dafür habe sie ihn dann auch schon mal getadelt. Und wenn er mal wieder nicht einkaufen fahren wollte, „weil er keine Lust hatte“, dann habe sie mit ihm schimpfen müssen. Erst dann habe er sich ins Auto gesetzt.

Beide Zeugen berichten zudem von einer Ohrfeige, die der damals 63-Jährige kurze Zeit vor der Tat noch von der Mutter bekam. „Zu Recht“, wie der erste Zeuge findet. „Das hätte sie viel öfter machen sollen.“ „Warum?“, will Richterin Julia Rogalski völlig überrascht wissen. „Weil er immer rumgebrabbelt hat“, lautet die Antwort.

Zudem hätte er zu Hause nie was getan und sich immer alles bezahlen lassen. Aber er hätte doch einiges getan für die Mutter, hält die Richterin dagegen. „Waren Sie denn damit nicht zufrieden?“ Das sei ihm „egal gewesen“, sagt der Zeuge. Außerdem habe sich der Angeklagte zuvor auch schon „20 Jahre durchfüttern lassen“, habe seit der Wende nicht gearbeitet.

Auf die Nachfrage, ob der Beschuldigte jemals gelobt wurde, antworten beide Familienmitglieder mit einem Nein. Selbst von der Mutter nicht. Auch persönliche Gespräche oder gar eine Umarmung habe es nie gegeben. Darüber habe sich der Angeklagte aber auch nie beschwert ...

Mit seinem Sachverständigengutachten versucht Gerichtspsychiater Dr. Mohammad-Zoalfikard Hasan gestern ein bisschen Licht in die Sache zu bringen. Mehrere Tage lang hatte er den Angeklagten untersucht, bescheinigt ihm eine durchschnittliche Intelligenz, wenn auch mit leichten kognitiven Einschränkungen. Er sei allerdings sehr „verschlossen, distanziert, misstrauisch und in seiner Ausdrucksfähigkeit eher unbeholfen“.

Von seiner Familie habe sich der Angeklagte „zurückgewiesen, vernachlässigt, nicht beachtet und verdrängt gefühlt“, skizziert der Experte. „Keiner war ihm böse, aber es nahm ihn auch keiner wahr.“

Den Tattag hätte der Angeklagte auf Nachfrage in kurzen Worten so beschrieben: Er sei gegen halb sieben wach geworden, hätte etwas später nach der Mutter geschaut. Die habe „geschlafen und gejapst“. Ihr Stöhnen im Schlaf habe er plötzlich nicht mehr ertragen können. Er sei ins Wohnzimmer gegangen, habe ein Kissen genommen und es ihr aufs Gesicht gedrückt. Gegenwehr habe sie nicht geleistet.

Nach eigener Aussage sei der Sohn „nicht auf seine Mutter böse gewesen“, betont Hasan, „aber auf alle anderen“. „Er habe „den Dreck wegräumen und saubermachen dürfen“ und keiner hätte sich je bei ihm bedankt oder gefragt, ob er das schafft.

Nach der Tat habe er mit dem Auto eigentlich in den Wald fahren und sich umbringen wollen. Doch dann sei die Ausfahrt zugeparkt gewesen ...

Am Ende geht Hasan noch einmal auf die Tat ein. Denn einiges, aber längst nicht alles spreche für eine Affekthandlung. So sei die Vorgeschichte typisch dafür, ebenso wie der Fakt, dass diese Tat so gar nicht zu seinem Wesen passe. Allerdings fehle für einen Affekt der eindeutige Auslöser, der komplexe Tatablauf und auch seine klare Erinnerung an die Tötung sprächen dagegen.

Die Entscheidung, wie die Tat zu bewerten ist, muss nun das Gericht treffen. Für den 16. April werden die Plädoyers erwartet.