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Stipendiaten Was kam nach Salzwedel?

Die Bleibe in Salzwedels Stipendiatenhaus ist eine von vielen Stationen in der Karriere mancher Künstler. Was kam danach?

01.06.2020, 02:00

Salzwedel l Abseits vom Salzwedeler Wohnungsmarkt gibt es ein Haus, bei dem sich der Einzug besonders schwierig gestaltet. Wer in das Künstler- und Stipendiatenhaus reinkommen will, muss sich erst für ein Stipendium qualifizieren, und selbst dann ist der Aufenthalt nur kurz. Fast 100 Künstler aus verschiedenen Bereichen sind dort schon untergekommen. Die Volksstimme hat sich den Lebenslauf ehemaliger Teilzeit-Salzwedeler angeschaut – und sich mit einigen direkt in Verbindung gesetzt.

Die Herkunft der Künstler reicht weit: Sachsen-Anhalt, andere Bundesländer, andere Länder oder weit entfernte Kontinente. Naho Kawabe aus Japan etwa kam 2008 nach Salzwedel. Damals war sie schon dauerhaft nach Deutschland gezogen. In ihrer Zeit hier recherchierte sie zum wohl berühmtesten Export der Hansestadt: Baumkuchen, der auch in Japan sehr beliebt sein soll – nicht umsonst ist „Baumkuchen“ ein deutsches Lehnwort in der Sprache.

Bis Kawabe in den Altmarkkreis zurückkam, dauerte es nicht lange. 2009 stellte sie zwei Projekte im Danneil-Museum vor: die Fotoserie „The Palms of Royan“ mit Aufnahmen aus der nach dem Zweiten Weltkrieg wieder aufgebauten Stadt Royan und die Videoarbeit „Der Weg I“ über die Flucht deutscher Emigranten. Heute lebt die freie Künstlerin in Hamburg und hat sich auf Kunstinstallationen spezialisiert. Ihr aktuelles Videoprojekt beschäftigt sich mit der Stadt Fukushima.

Andere Auslandsstipendiaten haben wir leider nicht erreicht. Dafür konnten wir einen ausmachen, der nicht aus dem Ausland kam, aber dort hinging: Klaus Stadtmüller, ein Autor, der zudem 1997 als erster Bewohner in das Haus zog – noch ohne Stipendium.

Auch Stadtmüller beschäftigte sich mit dem Baumkuchen – er recherchierte allerdings weniger und sinnierte mehr. In einem Prosatext mutmaßte er, wie die Spezialität denn nach Salzwedel gekommen sein könnte – als Gegenleistung für die Gastfreundschaft. Während des zweiwöchigen Aufenthalts schrieb er zudem an „schrulligen Minidramen“, wie er sie selbst beschreibt.

In der Zeit darauf arbeitete Stadtmüller hauptberuflich als Justitiar bei der Volkswagenstiftung in Hannover, schrieb aber nebenbei stets weiter. Von dort aus startete er 2002 eine jahrelange Länderreise über Kapstadt, Buenos Aires, Singapur und Südfrankreich, bevor er wieder im südafrikanischen Kapstadt landete. Dort schreibt er heute weiter (auch für Kinder) und baut nebenbei Computercollagen, die auch schon ausgestellt wurden.

Jörg Hamann aus Berlin war zunächst skeptisch, als er 2013 hierher kam. Dass er wegen einer gesperrten Eisenbahnbrücke viel mit dem Bus fahren musste, hätte diese Skepsis bei vielen vermutlich gestärkt, aber Hamann begann dadurch erst richtig, sich für die Gegend zu begeistern. So entstand auch sein Projekt „Neue Wanderungen durch die Altmark“, in dem er seine Eindrücke fotografisch und filmisch festhielt und später auch hier ausstellte. Seitdem kehrt er öfter in die Gegend zurück, um seinen „magischen Orten“ mal wieder einen Besuch abzustatten.

Auch bei Rita König hat die Altmark genug Eindruck hinterlassen, um ins kreative Schaffen einzufließen. Zwar hat ihre Arbeit hier 2016 nicht so recht funktioniert, weil der überarbeitete Roman „nach 100 Seiten nicht mehr wollte“. Dafür landen ihre Erfahrungen in einem Buch, das sie zwei Jahre später anfing: „Die 13. Fee“ baut auf Märchen auf und folgt zwei Figuren, von denen eine in der Altmark aufgewachsen ist – ein Stück ostdeutsche Geschichte ist also auch mit drin, so wie bei ihren beiden Romanen „Rot ist schön“ und „Fast schon ein ganzes Leben“. Die Altmark werde zwar nicht direkt erwähnt, sei aber für Kenner zuzuordnen, versicherte sie beim Volksstimme-Telefonat.

Ansonsten ist König wie viele freie Künstler „corona-gebeutelt“, da das Buchgewerbe lahmgelegt wurde und sie zwei geplante Stipendien verschieben musste – hinderlich, da sie unterwegs besser schreiben könne, ohne die Ablenkungen, die zu Hause drohen.

Komponist Steffen Wick sah in der ungewohnten Corona-Situation eine Chance, bisher vernachlässigte Projekte umzusetzen – etwa das Auftreiben von Raben für einen Musikvideodreh in Zeitlupe. Dieser ist für das Album „Piano Particles“ gedacht.

Während seiner Bleibe 2017 komponierte Wick am Orchesterwerk „Autobiography“, mit dessen Uraufführung er Glück hatte. Die fand nämlich im Februar statt, wenige Wochen bevor die meisten Musikveranstaltungen eingestellt wurden.

Drei der sechs Leute, die auf unsere Anfrage antworteten, haben sich aufs Schreiben spezialisiert. Wenig verwunderlich, war die Anfrage doch schriftlich, die Beantwortung lag ihnen also im Blut. Unser vorerst letzter Post-Salzwedel-Bericht stammt vom Autoren Jan Decker, der sowohl Theaterstücke, Hörspiele als auch Features schreibt. Und Bücher, wie das, das er 2018 hier anfing und 2022 herausbringen will. Ein anderes befindet sich grad kurz vor der Fertigstellung: „Mösers Rückkehr: Kurzer Roman eines langen Lebens“.

Das Buch handelt von Justus Möser, einer Persönlichkeit aus Deckers Heimatstadt Osnabrück. Vor seinem Tod trug Möser wesentlich zum deutschen Rechtssystem bei. Deckers Buch hat ihn nie sterben lassen und erzählt von seinem 300. Geburtstag.