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Streetart Salzwedel: Verflixt & zugeklebt

Aufkleber gibt es in allen Formen und Farben. Zumeist steckt eine Botschaft dahinter und es wird auf gesellschaftliche Themen verwiesen.

Von Alexander Rekow 07.06.2020, 01:01

Salzwedel l „Love has no gender“, zu deutsch: Liebe kennt kein Geschlecht, prangt in Regenbogenfarben auf einem Verteilerkasten in der Neuperverstraße von Salzwedel. Wenige Meter weiter steht auf einem Sticker „Lieb doch, wen du willst.“ Es sind unter anderem Botschaften wie diese, die mit Aufklebern transportiert werden. Nun kann man die Nase rümpfen und sagen, dass das Sachbeschädigung ist. Andere aber sprechen von buntem Protest oder Kunst. Die Volksstimme ging in Salzwedel auf Spurensuche – zwischen Laternen, Mülleimern und Fallrohren.

Ein Gang durch die Burgstraße steht exemplarisch für einen Querschnitt der in Salzwedel geklebten Sticker. Auffällig dabei: Vorherrschend sind Aufkleber des 1. FC Magdeburg und seiner Fans.

„Was die Fußballszene betrifft, geht es oft darum, das Revier zu markieren“, erklärt Polizeikommissar Stefan Kurschel vom Polizeirevier in Salzwedel zum Hintergrund: „Die Nähe und Sympathie zum 1. FCM ist dabei im Altmarkkreis Salzwedel nicht unüblich.“ Es sind aber nicht nur Aufkleber des Clubs aus der Landeshauptstadt, die in der Hansestadt kleben. Auch Sticker von Hertha BSC, dem FC St. Pauli und dem Hamburger SV sind in größerer Zahl zu sehen. Mal nur das jeweilige Vereinslogo, mal mit markigen Sprüchen gegen den Rivalen. Zudem werden die Sticker von Fans anderer Vereine überklebt oder abgekratzt.

Neben den Stickern von Fußballvereinen sind in Salzwedel größtenteils politische Botschaften und dies vorwiegend aus dem linken Spektrum zu sehen. „Häufig geht mit politischen Aufklebern der Ausdruck von Meinungen einher“, erklärt Stefan Kurschel dazu.

Ob das Anbringen aber eine konstruktive Art der Teilnahme am politischen Willensprozess darstellt, bleibt für den Polizeikommissar fraglich. Fest aber steht, dass die Aufkleber nicht selten aktuelle gesellschaftliche Probleme thematisieren.

So wird zum Beispiel die radikale Politik von US-Präsident Donald Trump karikiert oder Feminismus gestärkt. Auffällig oft richten sich die Botschaften auch gegen rechte Strukturen. Dies geht so weit, dass sich selbst ein Kommunalpolitiker der AfD auf einem Aufkleber mit dem Wort „Jammerlappen“ wiederfindet.

Grundsätzlich sei das Kleben von Stickern keine neue Erscheinung in der Stadt, heißt es aus dem Salzwedeler Polizeirevier. Und häufig liege auch keine strafrechtliche Relevanz vor. „Strafrechtlich kommen durch das Anbringen von Aufklebern erfahrungsgemäß vor allem Delikte wie Sachbeschädigung oder das Verwenden von Kennzeichen verfassungswidriger Organisationen in Frage“, sagt Stefan Kurschel. Jedoch sei letzteres seltener festzustellen. Meistens würden zudem die Oberflächen, auf denen geklebt wird, nicht in ihrer Substanz zerstört und sich die Sticker rückstandsfrei entfernen lassen. „Auch das Erscheinungsbild wird durch Aufkleber nur selten in erheblichem Maße verändert, da sie im Gegensatz zu Graffiti eher kleiner und unscheinbarer sind.“ Erst die Masse verändere das Erscheinungsbild. Doch von Masse lässt sich in Salzwedel seltener sprechen, wenn der Vergleich zu Städten wie Berlin gezogen wird – wo gefühlt mehr Aufkleber kleben als Einwohner leben. Übrigens: In der Schreinerstraße im Berliner Stadtteil Friedrichshain gibt es das wohl weltweit erste Museum, welches sich mit der Stickerkultur auseinandersetzt. Das „Hatch Stickermuseum“ zeigt eine ständige Ausstellung von 5000 Stickern und Exponaten, die Ausschnitte aus Kultur, Kreativität, Werbemitteln, Kommerz und Straßenkunst widerspiegeln, heißt es.

Zurück nach Salzwedel. Die Polizei protokolliert die Aufkleber nicht, wie Stefan Kurschel sagt. Nur dann, wenn eine strafrechtliche Relevanz vorliege, würden die bunten Sticker fotografisch festgehalten und auch eine Strafanzeige gefertigt werden. Und das ist zum Beispiel der Fall, wenn Verkehrszeichen überklebt werden. „Dass neben Sachbeschädigung auch andere Straftaten in Frage kommen, zeigt ein aktuelles Beispiel, bei dem das Polizeirevier Salzwedel wegen des gefährlichen Eingriffs in den Straßenverkehr ermittelt.“ In Jübar wurden durch Unbekannte diverse Verkehrszeichen überklebt. Und dies in einer Größenordnung, dass diese teilweise unkenntlich gemacht wurden. „Werden durch Aufkleber vorfahrtsregelnde Verkehrszeichen unkenntlich gemacht, entsteht eine erhöhte Gefahr für das Aufkommen von Verkehrsunfällen, welche mitunter hohe Sachschäden oder, noch viel schlimmer, Personenschäden nach sich ziehen können“, mahnt der Polizeikommissar.

Dass Streetart – zu deutsch Straßenkunst – mit Aufklebern mehr als nur das bloße Kleben von Stickern bedeutet, zeigt, dass sich auch intensiver mit der Thematik beschäftigt wird. Beispielsweise an der Kunsthochschule in Halle. Zwar gebe es keine eigene Studienrichtung dazu, aber projektbezogen würden sich Sticker, deren Design und Botschaften in Studienarbeiten wiederfinden, sagt Brigitte Beiling, Internetredakteurin und zuständig für Presse- und Öffentlichkeitsarbeit an der Kunsthochschule.

Auch in der Wirtschaft und im Marketing anderer Bereiche wurde der Aufkleber als Werbeplattform längst erkannt. Selbst die Kirche und soziale Organisationen machen sich Sticker zunutze.

Recht pragmatisch geht die Salzwedeler Stadtverwaltung mit den kleinen Klebern um. „Auf Laternenpfosten und Verkehrszeichen angebrachte Aufkleber werden im Rahmen der Unterhaltung von Mitarbeitern der kommunalen Dienste entfernt“, heißt es dazu aus dem Rathaus, mit handelsüblichen Ceranfeldspachtel und entsprechendem Reinigungsmittel.

Abschließend bleibt die Frage: Ist das Kunst oder kann das weg? Und eben diese Frage lässt sich schwer beantworten.

Denn wie so oft liegt die Kunst im Auge des Betrachters. Und dass es sich dabei um Kunst handelt, zeigt, dass sich Museen und auch Kunsthochschulen damit beschäftigen.

Schließlich ist aus einem Phänomen, welches Anfang der 2000er Jahre in den Metropolen entstand, eine eigene Rubrik der Streetart geworden. Kreativ, politisch und vor allem bunt.

Zweifelsfrei wird in diesem Zusammenhang aber auch immer das Wort Sachbeschädigung eine Rolle spielen – und in Einzelfällen auch Straftaten wie das Bekleben von Verkehrszeichen.