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Theater Vom Nummernboy und „IA“

Märchen gehören irgendwie zum Leben, nicht nur in der Kindheit. Birte Giese aus Kemnitz bei Salzwedel hat schon neun auf die Bühne gebracht.

09.10.2019, 12:33

Kemnitz l „Eigentlich ist Marlies Ahrens aus Dähre daran schuld, dass ich damit angefangen habe“, erinnert sich Birte Giese an den Beginn ihrer „Märchen-Liebe“. Diese habe zu jener Zeit die Kita Waldfrüchtchen geleitet und gesagt, dass die Eltern auch mal was zur Weihnachtsfeier für ihre Kinder spielen könnten. Birte Giese, eine der Muttis, fand die Idee gut. „Auf dem Parkplatz haben wir kurz drüber gequatscht und alles festgemacht“, blickt sie auf das Jahr 2006 zurück.

Das Drehbuch für „Hänsel und Gretel“ habe sie beim Friseur geschrieben, unter der Haube sitzend. Das Dauergrinsen sei auch den anderen Kunden aufgefallen, erinnert sich die Kemnitzerin schmunzelnd. Die Aufführung gab es im „Deutschen Haus“ Dähre.

Fürs zweite Märchen ein Jahr später wurde ins Dorfgemeinschaftshaus Bonese umgezogen. Doch nicht nur die Kita-Kinder konnten sich an „Frau Holle“ erfreuen, sondern auch die Besucher des Freilichtmuseums Diesdorf. „Wir haben im Winkelstedter Hallenhaus gespielt. Da passte die Geschichte richtig gut hin“, sagt Birte Giese.

Bei der dritten Auflage, als Schneewittchen im Mittelpunkt stand, gab‘s die zweite Aufführung im Kulturhaus Langenapel. Das ist auch heute noch das Domizil von „Birtes Theatercrew“. Die Zwerge, so erinnert sie sich, hätten „echtes Wasser“ in fünf Schüsseln gehabt, mit denen sie die Kinder in der ersten Reihe bespritzt haben. „In den anderen beiden sind Styroporkugeln gewesen, die die ,Zwerge‘ dann ins Publikum kippten. Das war ein Gekreische, weil jeder dachte, es regnet jetzt“, erzählt sie.

Birte Giese erinnert sich auch an den fehlenden Vorhang in Langenapel. Also baute sie für die Umbauzeiten einen „Nummernboy“ ins Stück ein: Tobias Elfert meisterte die Aufgabe souverän.

Bei „Aschenputtel“ begannen die Tiere zu leben. So flatterten die Tauben durch den Saal. „Ehemalige Waldfrüchtchen-Kinder standen als Weihnachtswichtel zum ersten Mal auf der Bühne“, erzählt Birte Giese. Sie halfen fleißig beim Schuhputzen: Schließlich wurde am Nikolaustag gespielt. „Dieses Stück sollte mein Märchen-Abschied sein. Denn meine Kinder wechselten zur Schule“, sagt Birte Giese.

Ein trauriger Anlass ließ das fünfte Stück entstehen: Flora, das Voltigierpferd der Kinder der Voltigier- und Reitsportgemeinschaft Gieseritz, war kurz nach der Fuchsjagd verstorben. Woher Geld für ein neues nehmen? Die Kemnitzerin schlug vor, wenn sie Mitspieler findet, zu einer Aufführung einzuladen und Geld für den Tier-Kauf zu sammeln. „Ende September habe ich Leute zusammengetrommelt, die zum Großteil noch nicht mitgespielt haben. Aber es hat alles funktioniert“, ist sie heute noch stolz auf das „Tischlein deck dich“. Übrigens war dies die Schauspielpremiere für Ina Behrens aus Wallstawe mit einem „riesigen“ Text: Sie hatte „IA“ zu sagen.

„Dornröschen“ war eine personelle Herausforderung. Denn es wurden nicht nur zwölf gute und eine böse Fee benötigt, sondern auch weitere Mitspieler. Während zuvor Erwachsene die Sprechrollen übernahmen, spielten jetzt auch Kinder mit, die Text lernen mussten. Birte Giese erfüllte sich einen Herzenswunsch: Erstmals wurde auf der Bühne getanzt. „Sabrina Sonnenberg hat uns beim Einstudieren unterstützt“, ist die Kemnitzerin dankbar.

„Ein Banker in Spitzenhöschen“, diese Formulierung ist vom „Gestiefelten Kater“ in Erinnerung geblieben. Dort wird dem jüngsten Müllerssohn die Kleidung beim Baden gestohlen. Diesen spielte Alf Elfert, der Bankkaufmann, der dem Wasser nur leicht bekleidet entstieg. Bei diesem Stück sei auch das schauspielerische Talent von Karsten Gäbel aus Langenapel entdeckt worden, der als König daherkam, verrät Birte Giese.

Spendierte Brautkleider und ein gespraytes Schlossbild, das erinnert unter anderem an „Die zertanzten Schuhe“. Vieles davon befindet sich im Fundus der Theatercrew und wird gern wieder genutzt. Aber auch das gab es schon: Der Stick mit der Musik war kurz vor der Premiere weg. Also musste eine Nachtschicht her, um alles neu zusammenzustellen. Nach der Aufführung tauchte der Datenträger wieder auf.

„Grimms Märchen sind zeitlos und passen prima in die Weihnachtszeit“, meint Birte Giese. Sie mag das authentische Laienspiel, will die Handlung nicht verfälschen. Aber die Kemnitzerin nimmt es sich heraus, Bezüge zur Region herzustellen, was die Stücke auflockert. Und sie überlegt genau, welche Rolle mit wem besetzt werden könnte. Da vertraut sie ihrem Bauchgefühl. Kulisse und Kleidung – da ist viel Kreativität gefragt.

„Es ist schon cool, dass jetzt viele Junge mit dabei sind. Die Mischung macht es“, meint Birte Giese. Das Theaterspiel verbinde Generationen, trage dazu bei, sich gegenseitig zu akzeptieren und anzunehmen. Der Nachrichtendienst WhatsApp sei eine prima Sache, um sich rasch zu verständigen. „Vor 13 Jahren habe ich noch Telefonnummern zusammengetragen, bin mit dem Rad von Mitspieler zu Mitspieler gefahren“, blickt sie zurück.

Das Zuschauen soll nicht nur Freude bringen, sondern auch helfen. Spenden gingen bereits an „Weihnachten im Schuhkarton“ und verschiedene Vereine, die sich um den Nachwuchs kümmern.

Beim Drehbuchschreiben macht nun auch Tochter Annika mit. Sie scheint etwas vom Talent ihrer Mutter geerbt zu haben: Denn mit Viertklässlern der Jenny-Marx-Grundschule Salzwedel, an der sie ein Praktikum macht, bereitet sie gerade ein Weihnachtsschauspiel vor – selbst geschrieben.