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Wissenschaft Arendseer arbeitet in der Arktis

Drei Monate am Stück, sieben Tage die Woche mit extremen Wetterbedingungen: Der Arendseer Andreas Bäcker hat einiges erlebt.

Von Christian Ziems 22.11.2020, 00:00

Arendsee / Arktis / Antarktis l Eine der größten Arktis-Expeditionen aller Zeiten und ein Altmärker ist als Matrose mittendrin: Internationale Wissenschaftler machten sich im September 2019 mit dem deutschen Forschungsschiff „Polarstern“ auf den Weg zum Nordpol. Dies geht nicht ohne Besatzung. Der gebürtige Seehäuser Andreas Bäcker wuchs in Arendsee auf, hält dem Luftkurort weiterhin die Treue und ist mehrere Monate im Jahr auf dem Forschungsschiff tätig.

Er erlebte die jüngste Tour, bei der die Polarstern mit einer 1,5 mal drei Kilometer großen Eisscholle vorangetrieben wurde und die für ein starkes Medienecho sorgte, hautnah mit. Andreas Bäcker weiß aus eigener Erfahrung, wie sich der Alltag im Eis anfühlt. „Die drei Monate Dunkelheit waren für mich eine der größten Herausforderungen“, erzählt der Seestädter. Für einen gewissen Rhythmus sorgt das Drei-Wachen-System. Gearbeitet wird rund um die Uhr, jedes Besatzungsmitglied jeweils acht Stunden. Und das sieben Tage die Woche. Nach etwa drei Monaten gibt es drei Monate Landurlaub. Wobei dann natürlich nicht einfach ins Auto oder die Bahn gestiegen werden kann.

Bei der jüngsten Expedition holte ein russischer Eisbrecher die Besatzung ab und hatte die Ablösung dabei. Die Heimreise nach Arendsee kann so schon mal Tage oder Wochen dauern.

Die Polarstern selbst ist auch ein Eisbrecher und wird vom Alfred-Wegener-Institut für Polar- und Meeresforschung betrieben. Baujahr 1982 wurde sie speziell für die Erforschung der Polarmeere ausgerüstet. Nicht nur die Konstruktion ist verstärkt, auch die Motoren haben genügend Kraft. Bei Fahrten ins Eis spielt natürlich der Sicherheitsgedanke eine Rolle. Andreas Bäcker kennt die Praxis. Wenn zum Beispiel ein Eisfeld „nur“ mit der Kraft von zwei oder drei der insgesamt vier Maschinen durchbrochen werden kann, gibt es im Ernstfall für die Rückfahrt immer noch Reserve und die Möglichkeit, mehr Energie aufbringen zu können. Maximal 20.000 Pferdestärken stehen zur Verfügung.

Ein Hauptarbeitsplatz des Arendseers ist das Deck. Alle dort Tätigkeiten ausführen zu können, gehört zu seinem Beruf. Ein Detail aus dem Alltag: Ein Wissenschaftler möchte mit einem mitgebrachten Spezialgerät Daten in einer Tiefe von 3.000 Metern sammeln. Andreas Bäcker und seine Kollegen sind dann gefragt. Ihnen obliegt es, die Konstruktion heil auf den Meeresgrund sowie wieder hinauf zu bringen.

Auch Instandsetzungsarbeiten stehen im Mittelpunkt, wobei das im Volksmund bekannte „Rostkloppen“ aufgrund der Temperaturen von bis zu minus 40 Grad nicht möglich ist. Dafür müssen immer wieder Schnee und Eis entfernt werden. Zur technischen Ausrüstung der Polarstern gehören neben Kran, Winden und Gabelstapler auch Hubschrauber. Diese werden bei Erkundungsflügen eingesetzt. Wichtig für den Kapitän beim Festlegen der Route durch das Eis.

Er kann natürlich auch auf Satelitten-Bilder zurückgreifen und bekommt Hilfe vom Deutschen Wetterdienst. Zwei Meteorologen sind bei Reisen mit an Bord. Sie liefern und werten aktuelle Daten aus. Auf dem Schiff ist Platz für 42 Besatzungsmitglieder und 60 Wissenschaftler. „Allein kann man nichts bewegen“, verweist Andreas Bäcker auf ein funktionierendes Team. Trotz der Enge bleibt ein Stück Privatsphäre. Die Besatzung hat Einzelkabinen mit Bad, die Frauen und Männer aus dem Wissenschaftsbereich teilen sich zu zweit je eine Unterkunft.

Der Arendseer weiß, wovon er spricht und kann auf jahrzehntelange Erfahrung verweisen. Die ersten Handgriffe lernte er beim Segelclub auf der „Blauen Perle“. In seiner Freizeit segelt der Altmärker immer noch gerne und unterstützt den Regattaverein. Zum Beispiel beim Segelkurs der Ganztags- und Gemeinschaftsschule „Theodor Fontane“. Den Jugendlichen kann er von seiner Seefahrer-Karriere berichteten. Die Ideen, diesen Weg einzuschlagen, entwickelte sich früh. Ein Schul-Ausflug zu einem Traditionsschiff in Rostock brachte für ihn den Gedanken näher, den Beruf des Matrosen zu ergreifen.

Der heute 56-Jährige absolvierte eine Lehre zum Matrosen. Er heuerte schließlich bei der Handelsflotte der DDR (Deutsche Seereederei) an. Seine Reisen führten in unzählige Länder. Besonders in Erinnerung geblieben sind ihm das moderne Hongkong und die Armut in Indonesien.

Nach der Wende standen berufliche Veränderungen an, die Deutsche Seerederei gab es nicht mehr. 1996 kam das Angebot, auf der Polarstern zu arbeiten. Der Arendseer bereute diese Entscheidung nie und möchte den Job bis zur Rente machen. Voraussetzung dafür ist die Gesundheit. Vor Reisen stehen intensive Tests an. An Bord selbst sind ein Arzt und eine Krankenschwester. Schnell mal in eine Klinik geht nicht, denn auch Hubschrauberflüge sind vom Wetter abhängig sowie von der Reichweite her begrenzt. Kompliziert und planungsintensiv ist die gesamte Versorgung. Drei Mahlzeiten pro Tag werden angeboten, ein Supermarkt ist nie in der Nähe.

Derzeit kommt die Corona-Gefahr noch hinzu. Bevor es für Andreas Bäcker im Januar wieder zurück auf die Polarstern geht, die derzeit in einem Trockendock in Bremerhaven gewartet wird, geht, muss er sich in Quarantäne begeben. Und zwar aus Gründen der Sicherheit. Erst dann darf er an Bord. Die nächste Reise führt ihn die Antarktis. Es gilt Versorgungsgüter für die permanent besetzte Neumayer-Forschungsstation zu transportieren. Der Arendseer wird daran mitwirken und ist gespannt auf die nächsten Herausforderungen.