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Zeitzeugen gesucht Der französische Zwangsarbeiter

Alain Velle will in die Lebensgeschichte seines Großvaters eintauchen. Als Zwangsarbeiter kam dieser in die Altmark bei Salzwedel.

17.06.2018, 01:00

Salzwedel l Etwas holprig formuliert, aber gut verständlich: Am 30. April erreichte die Salzwedeler Stadtverwaltung ein Brief aus Frankreich – genau gesagt aus Saint-Georges-de-Commiers. Der Absender hatte sich sichtlich Mühe gegeben, das Schriftstück auf Deutsch zu verfassen. Alain Velle betont darin eine besondere Bitte. Es geht um die Lebensgeschichte seines Großvaters, der zwischen 1940 und 1945 in deutsche Kriegsgefangenschaft geriet.

„Ich heiße Alain Velle. Ich bin Franzose und ich wohne in der Nähe von Grenoble in den französischen Alpen“, beginnt der Brief des Enkelsohns. Velle berichtet darin, dass sein Großvater Antoine Seruch (geb. 1907) ihm in seiner Jugend vom Krieg erzählte. Der Senior verstarb jedoch schon 1988. Nun habe aber jüngst seine 82-Jährige Mutter ebenfalls von den Kriegserinnerungen ihres Vaters berichtet. Alain Velle begann mit eigenen Nachforschungen.

Antoine Seruch geriet 1940 in Nantes im Nordwesten Frankreichs in deutsche Gefangenschaft. Nur wenige Wochen hatte der Westfeldzug der Wehrmacht im Mai und Juni 1940 gedauert. Velle fand heraus, dass sein Großvater ins Stalag (Stammlager) XI A nach Altengrabow ins Jerichower Land kam. Unter N°860 wurde der damals 33-Jährige gezählt.

Zwischen 35.000 und 40.000 Kriegsgefangene aus vielen Nationen wurden dort durchschnittlich inhaftiert. Damit war Altengrabow eines der größten Gefangenenlager Mitteldeutschlands. Eine Ausstellung im Landtag in Magdeburg beschäftigt sich derzeit mit der Geschichte des sogenannten Mannschaftsstammlagers.

Die Gefangenen mussten in 1600 sogenannten Außenkommandos arbeiten. Antoine Seruch kam deshalb im Dezember 1940 zunächst nach Rustenbeck und ab März 1941 bis mindestens Februar 1942 nach Wistedt. „Er hatte, nach meinen Recherchen, in Bauernhöfen in Wistedt und in Rustenbeck gearbeitet“, wendet sich Alain Velle an die Stadt Salzwedel. „Er erzählte auch viel über die Kinder, die in den Bauernhöfen wohnten, wo er arbeitete“, berichtet Velle weiter.

Salzwedels Stadtarchivar Steffen Langusch nahm sich daraufhin der Geschichte des französischen Gefangenen, der zur Zwangsarbeit in die Altmark gebracht wurde, an. Denn sein Enkel Alain Velle formulierte in dem Brief die Bitte: „Ich möchte sehr gerne die Bauernhöfe in Wistedt und Rustenbeck (..) finden. Sogar auch wäre es wunderschön, Leute zu treffen, die er gekannt hat.“

Steffen Langusch recherchierte in einem Einwohnerbuch der Stadt und des Landkreises Salzwedel von 1939/40. Demnach gab es damals in Wistedt 184 Einwohner in 36 Haushalten und in Rustenbeck 92 Einwohner bei 18 Haushalten. Unter den Landwirten der Orte finden sich auch heute noch in der Region bekannte Namen wie Gromeyer, Heiser, Jürges, Neuling, Bierstedt oder Olms.

Der Stadtarchivar und der Enkel des Kriegsgefangenen stehen nun im regen E-Mail-Austausch, in dessen Verlauf der Wunsch des Franzosen weiter wuchs, einmal einen Hof in Rustenbeck oder Wi-stedt zu besuchen. Deshalb reifte die Idee, die bisherigen Recherchen in der Zeitung zu veröffentlichen. Dazu sendete Alain Velle auch ein Foto des Großvaters aus dem Jahr 1938.

Velle betont, dass er keine Ressentiments gegenüber Deutschland hege. „In den Geschichten erzählte mir mein Großvater immer, dass er, als er auf Bauernhöfen in Deutschland inhaftiert war, mit Respekt und Menschlichkeit behandelt wurde“, übersetzte Langusch die Worte des Franzosen.

Nun hoffen der Stadtarchivar und Alain Velle, dass sich jemand aus der Region an den französischen Zwangsarbeiter erinnert. Auf welchem Hof hat er gearbeitet? Für welche Tätigkeiten wurde der Gefangene eingesetzt? Wie war die Unterkunft und die Verpflegung des Franzosen geregelt? Wer dazu Erinnerungen hat, etwas aus Erzählungen seiner Eltern oder Großeltern weiß oder sogar noch Dokumente oder Bilder besitzt, wird gebeten, sich im Stadtarchiv, Ackerstraße 13, zu melden. Steffen Langusch ist unter Telefon 03901/889 84 53 oder via Mail an stadtarchiv@salzwedel.de erreichbar.