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Im Jugendclub Asylbewerber berichten über ihr Schicksal

Der Jugendclub Young Generation ist zur Anlaufstelle für unzählige Kinder und Jugendliche vom Balkan und dem Nahen Osten geworden.

Von Thomas Schäfer 08.09.2015, 16:54

Schönebeck l Montagnachmittag um halb Fünf. Der Jugendclub Young Generation des Vereins Rückenwind scheint - wieder einmal - aus allen Nähten zu platzen. Über 100 Kinder und Jugendliche halten sich in den Räumlichkeiten auf. Sie kommen aus Deutschland, Albanien, Russland, Syrien, dem Kosovo und vielen anderen Ländern. Sie spielen, toben, lachen. Wohin man schaut, Kinder! Aus einem der hinteren Räume erklingt Musik. Es ist der Sportraum. Etwa 30 Kinder und Jugendliche aus aller Herren Länder haben sich hier versammelt. Sie sitzen eng beieinander und lauschen Amelina*. Die 15-jährige Albanierin singt für sie. Doch es ist kein Freudenfest, es ist ein Abschied. Abschied von Amit*.

Amit kommt seit vier Monaten in den Club. Er hat hier Freunde gefunden, sogar eine Freundin, mit der er geht. Der 15-Jährige muss Deutschland verlassen. Seine Familie wurde abgeschoben. Wie es weiter geht, er weiß es nicht. Amelina singt noch ein Lied. Tränen fließen. „Es ist hart“, sagt Beatrix Ziener, die Leiterin des Clubs. „Viele der ausländischen Jugendlichen haben sich in den Wochen und Monaten, die sie hier her kommen, wunderbar integriert. Dann zusehen zu müssen, dass sie Deutschland wieder verlassen müssen, das geht an die Substanz.“

Zwei der Jugendlichen, die als Paradebeispiel für Integration herhalten könnten, sind Amelina, die Sängerin, und ihr Bruder Daris*. Sie sind vor neun Monaten mit ihrer Familie aus Albanien geflohen. Daris geht in die Berufsschule, Amelina in die Maxim-Gorki-Schule. In den wenigen Monaten, die sie hier sind, haben sie außergewöhnlich gut Deutsch gelernt, so gut, dass man sich ohne Schwierigkeiten mit ihnen unterhalten kann.

„Wir hatten ein gutes Leben in Albanien“, erzählt Daris, „wir wären nie geflohen.“ Doch dann kam alles anders. Daris‘ und Amelinas Onkel wurde Zeuge eines Mordes. Er zeigte den Täter an, dieser wurde inhaftiert. Der Vater des Täters stand daraufhin unvermittelt im Haus der beiden und drohte mit Blutrache an der gesamten Familie, so Daris. In Albanien würde er sie überall finden, erzählt Daris weiter. Daher die Flucht nach Deutschland. „Wir haben Angst um unser Leben“, sagt Amelina. Sogar hier in Deutschland noch. Sie möchten ihre Namen nicht nennen und auch keine Fotos von sich machen lassen. Zu groß ist die Angst, gefunden zu werden.

Zurück nach Albanien möchten die beiden nicht. „Wir haben hier ein neues Leben und neue Freunde gefunden. Es gefällt uns in Deutschland“, sagt Amelina. „Aber wir wissen nicht, ob wir bleiben dürfen“, übernimmt ihr Bruder das Wort. „Doch eins weiß ich, wenn ich zurück nach Albanien muss, bin ich tot!“, sagt er. Dem 18-Jährigen rinnen die Tränen, er ringt mit der Fassung.

Die Familie flüchtete mit dem Schiff nach Italien, von dort aus ging es mit dem Flugzeug nach Deutschland. Sie wissen, dass es vielen Flüchtlingen bedeutend schlechter ergeht. „Wenn ich die Bilder im Fernsehen sehe, dann muss ich manchmal weinen“, sagt Amelina. „Wir sind gut hergekommen. Aber so viele gehen zu Fuß oder kommen mit kleinen Booten über das Mittelmeer. So viele sind schon ertrunken. Und wenn sie ankommen, haben sie nichts, außer ihrer Kleidung“, sagt sie bedrückt.

Wie regelrecht zerschunden manche Flüchtlinge in Deutschland ankommen, davon kann auch Beatrix Ziener berichten: „Vergangene Woche stand eine syrische Familie vor dem Club. Sie waren ganz frisch in Deutschland angekommen und hatten kurz Unterschlupf bei einer Familie gefunden, die unseren Club kennt. So kam der Kontakt zustande. Sie hatten wirklich nichts. Wir haben sie dann neu eingekleidet und mit Hygieneartikeln ausgestattet. Die beiden fünf- und siebenjährigen Kinder hatten nicht mal mehr Schuhe!“ Sie wurden bei der Flucht und den langen Fußmärschen völlig zerschlissen. Die Familie ist nun in der Zentralen Aufnahmestelle in Halberstadt untergebracht.

Aus Syrien kommt auch Nour Sharbatji. Sie und ihre Familie flüchteten vor sechs Monaten. „Wir haben in Damaskus gewohnt und waren mitten drin, mitten im Krieg“, erzählt Nour. Auch sie kann schon gut Deutsch sprechen, geht täglich zur Schule und engagiert sich im Jugendclub.

Durch den Krieg in Syrien hat sie ihre Cousine verloren. „Wir wollten nur noch weg, hatten Angst um unser Leben“, flüstert die 14-Jährige. Traurig wird sie auch auf die Frage, ob sie etwas vermisst. „Ja, ich vermisse Syrien, meine Freunde, mein Zuhause, die Schule.“ Sie möchte später auf alle Fälle zurück nach Syrien. „Wenn der Krieg vorbei ist.“

Ihr großer Traum ist es, später einmal Kinderärztin zu werden, in Syrien. Dafür lernt sie viel. Auch sie geht in die Maxim-Gorki-Schule. „Ich bin fast immer die Beste“, sagt sie nicht ohne Stolz. „In der Klasse bin ich freundlich aufgenommen worden. Wir sind alle wirklich sehr, sehr froh, dass wir nach Deutschland kommen konnten und sehr dankbar dafür.“ Aber ob sie bleiben dürfen oder wieder abgeschoben werden, das wissen sie und ihre Familie auch noch nicht.

Nour nimmt sich eine Gitarre und setzt sich in den großen Aufenthaltsraum im Young Generation. Sie spielt gerne, wenn auch noch nicht so gut. Aber das ist egal. Schnell versammelt sich eine kleine Traube an Zuhörern. Und für einen Augenblick können einige von ihnen vergessen, was hinter ihnen liegt...

* Namen von der Redaktion geändert