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Christian Jung „Deichgraf“ geht in Rente

Christian Jung wurde jetzt aus seinem Arbeitsleben verabschiedet. 43 Jahre war der Schönebecker im Flussbereich Elbe tätig.

Von Olaf Koch 30.09.2015, 21:31

Schönebeck l Der „Deichgraf“ geht. Auf seiner Renten-App steht nun die Zahl null. Die App hatte sich der heute 65-Jährige vor einigen Jahren auf sein Smartphone heruntergeladen. Sie hatte – wie so manches bei Christian Jung – einen streitbaren Hintergrund. Auch Mittwoch, als der Flussbereichsleiter vor gut 120 Gästen im neuen Dienstgebäude des Landesbetriebes für Hochwasserschutz und Wasserwirtschaft in der Schönebecker Amtsbreite seine Abschiedsrede hält, blitzt zwischen den Zeilen immer wieder ein leichter Hauch Kritik hindurch. Freunde werden Politik und er am letzten Tag auch nicht mehr.

Mit Christian Jung geht ein Macher-Typ in den Ruhestand. Ein von einigen umstrittener Experte, der ein Fachwissen über Gräben, Deiche, Siele, Bäche und Flüsse der Region hat, wie kaum ein anderer. Christian Jung kennt Probleme und Zusammenhänge – Wissen, das sich der Schönebecker in den vergangenen 43 Jahren Tätigkeit im Flussbereich aneignen konnte.

„Ich wollte Bauer werden“, berichtet er in einem amüsanten Vortrag vor Freunden, Kollegen und Wegbegleitern im Beratungsraum des neugebauten Gebäudes. „Haus-Bauer. Doch die Studiengänge waren alle belegt. Frei war noch der Wasserbau, was mit Deichen, Häfen und Talsperren zu tun hatte. Das war auch nicht schlecht“, sagt Jung über seinen Einstieg in die berufliche Zukunft.

Nach dem Studium in Dresden kommt er im Jahr 1972 als junger Mann zurück nach Schönebeck. Seine erste große Aufgabe ist die Entschlammung des Adolf-Mittag-Sees in Magdeburg – die letzte seiner Karriere der Deichlückenschluss seiner Heimatstadt. Dazwischen erlebt Jung nicht nur viele Dienstherren, sondern auch unterschiedliche Uniformen. Die Aufgaben bleiben im Großen und Ganzen jedoch die gleichen, wenngleich sich die Rahmenbedingungen ändern.

Das größte Problem scheint Christian Jung, sowohl früher als auch heute, immer dann zu haben, wenn sich die Politik zu stark in die Aufgaben des Flussbereiches einmischt. Das war nicht nur zu DDR-Zeiten so, als die Wasserwirtschaft nicht vor geografischen Hintergründen strukturiert wird, sondern die politische Grenze des Bezirkes Magdeburg haben muss. Auch in der heutigen Zeit würden einige „kleine und große Fürsten“ ohne Fachwissen immer mal reinfunken.

In seinem Resümee gestern kann Christian Jung aber durchaus auf Ergebnisse verweisen, die seinesgleichen suchen. So haben er und seine Kollegen die beiden schwersten Hochwässer an Saale und Elbe gemeistert. Erst erreicht die Elbe 2002 einen Höchststand, dann 2013. „Dadurch ist nun die Deichsanierung in den Mittelpunkt gerückt“, macht der Flussbereichsleiter deutlich. „Nach dem Deichbau sind wir die erste Generation, die die Deiche anfasst und für die nächsten 100 bis 150 Jahre herrichtet.“

Nicht nur das, sondern mit Deichneubau und -lückenschluss müssen heutzutage auch touristische Anforderungen erfüllt werden. Wurden die Deichkontrollwege früher lediglich für den Hochwasserschutz genutzt, können heute auch Radfahrer das Deichsystem nutzen. Der sanfte Tourismus ist ein neues Merkmal.

Bei den (Neu)-Bauten nennt Christian Jung nicht nur die Schöpfwerke der Region, sondern auch das Pretziener Wehr, das er gestern in seinem Bildervortrag väterlich als „unser Kind“ betitelt. Das Pretziener Wehr hat unter der Führung von Jung nicht nur eine Komplettsanierung erfahren, es war seinen Worten nach ein Neubau.

Den letzten Arbeitstag nutzte der Flussbereichsleiter für eine nicht unbekannte Kritik. „Wir haben zu viele Flächen versiegelt. Wasser fließt schnell über die Flüsse ab, leider nicht langsam im Boden“, so der Flussbereichsleiter.

An seinen möglichen Nachfolger Ronald Günther – „möglichen“ deshalb, weil das Land wegen der Nachfolge noch keine Entscheidung getroffen hat – hat Jung versöhnliche Worte, die er wohl nicht jedem mit auf dem Weg gibt: „Ich bin nicht aus der Welt und habe mein Handy immer dabei.“