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Weltkulturerbe Ein Wettlauf mit der Zeit

Henry Ellert und André Gravert haben in Katar an der Restaurierung der Al Zubara Festung mitgearbeitet. Das Ziel: Der Weltkulturerbe-Status.

12.11.2015, 18:02

Al Zubara/Magdeburg l Dezember 2013, Katar, Festung Al Zubara: Die Restauratoren Henry Ellert und André Gravert arbeiten im Wüstenemirat an einem Prestigeprojekt. Plötzlich setzt ein Sandsturm ein. Der Wind erfasst jeden ungeschützten Winkel der Festung. Feine Sandkörner, schmerzhaft wie kleine Projektile, erfassen die beiden Männer. Von einem der Wehrtürme Al Zubaras eilen sie zu einem nahe gelegenen Flachbau inmitten des Ausgrabungsfeldes, welches das Fort umschließt. Als sie sicher sind, schnaufen die beiden Steinmetze durch.

Mehr zugesetzt hat der Sturm, den die Einheimischen „Schamal“ nennen, den ebenfalls in der Anlage tätigen Archäologen. Rund um die Festung legen sie Reste der verschütteten Stadt Al Zubara aus dem 18. Jahrhundert frei. Einige Ausgrabungen und ganze Wege sind durch den Sturm zugeweht. Eine Sisyphusarbeit. Nachdem der Sturm abgeklungen ist, wird die Militärfestung Al Zubara in ihrer gesamten Ausdehnung sichtbar. Vier Wehrtürme im arabischen Stil, über den Zinnen weht die Nationalflagge. Vor der Festung zeugt eine imposante Kanone von der militärischen Vergangenheit des 1938 erbauten Forts. Trutzen sollte die strategisch gut gelegene Festung den Angriffen von Nachbarstaat Bahrain. Vorher waren an identischer Stelle im 19. Jahrhundert bereits erbitterte Gefechte gegen die Perser ausgetragen worden. Al Zubara ist etwa 100 Kilometer von der Hauptstadt Doha entfernt. 2012 und 2013 haben Ellert und Gravert hier als Teil eines Expertenteams insgesamt zwölf Wochen gearbeitet.

November 2015, Magdeburger Dom: Der Schönebecker Ellert steht auf einem Gerüst im Kreuzgang des Magdeburger Doms. Bis Anfang nächsten Jahres wird er hier noch an Putzritzungen arbeiten, Korsette für Grabplatten herstellen und Fehlstellen ausbessern. Auch die heimischen Projekte betreibt er mit Herzblut. Ellert denkt gern an den Katar-Trip zurück: „Das war eine unheimlich intensive Erfahrung“, beschreibt er die Wochen vor fast genau zwei Jahren. Arbeitserfahrungen fernab der deutschen Heimat hat der Schönebecker einige gemacht.

Mehrere Wochen hat er beispielsweise in der sagenumwobenen Grabeskirche in Jerusalem, einem der bedeutendsten christlichen Pilgerorte, gearbeitet. „Das sind Erlebnisse, die stets Lust auf mehr machen. Ich habe Fernweh“, seufzt er. Warum also nicht noch häufiger ins Ausland? Ellert ist selbständiger Restaurator und muss ebenso seine heimischen Kunden bedienen. Zudem ist der Schönebecker verheiratet und Vater einer Tochter. „Da hat man gewisse Pflichten“, sagt der gelernte Steinmetz mit einem Schmunzeln.

Doch wie sind er und sein Kollege André Gravert eigentlich an den Job im Wüstenemirat gekommen? Ellert: „Durch Empfehlungen, das läuft in unserer Branche meist so. Deutsche Restauratoren genießen in Katar großes Ansehen.“ Auftraggeber war das Projekt Islamische Archäologie und Kulturerbe in Katar (QIAH), eine Kooperation zwischen der katarischen Museumsbehörde und der Universität Kopenhagen. Das ambitionierte Ziel: Das Fort sollte den Weltkulturerbe-Status der Vereinten Nationen verliehen bekommen.

Rückblende, Dezember 2013, Katar: In Al Zubara machen sich Archäologen, Bautrupp und Hilfsarbeiter nach überstandenem Sturm wieder ans Werk. Jetzt gilt es, die finalen Arbeiten vor der Abnahme durch die Abordnung der Vereinten Nationen zu erledigen. Druck für Ellert und seine Kollegen. „Wie bei jedem Bauvorhaben war am Schluss noch einiges zu tun“, entsinnt er sich. Die Hauptarbeiten sind glücklicherweise schon erledigt. Risse im Mauerwerk sind ausgebessert, die Zinnen mit frischem Mörtel befestigt. Um in Zukunft möglichst vielen Touristen eine sichere Begehung zu ermöglichen, hat das Bauteam Geländer angebracht, Treppen angelegt. Zuletzt gilt es, dem von Termiten zerfressenen Eingangsportal ein würdiges Antlitz zu verleihen. Bei der Restaurierung entdecken die Experten allerdings einen alten Schiffsmast im Mauerwerk. Anscheinend wollte man mit ihm in der Vergangenheit dem Eingang Stabilität verleihen. Sandstürme, Artefakte - allzu viele Überraschungen kann das Team nun nicht mehr gebrauchen.

November 2015, Magdeburger Dom: Noch einmal erinnert sich Ellert an die Zeit im rund 6000 Kilometer entfernten Wüstenemirat. „Die Freizeit haben wir meist in Doha verbracht, haben die Skyline bewundert, Souqs (überdachte Marktviertel, Anm. d. Red.) besucht“, sagt er. In Al Zubara war Ellert erschüttert über die Zustände der Unterbringung der nepalesischen Hilfsarbeiter: „Sie haben zusammengepfercht in kleinen Baracken gewohnt. Das war ähnlich wie beim Skandal um die Unterbringung der Arbeiter beim Bau der WM-Stadien“, so der Eindruck des Restaurators.

Er erinnert sich noch einmal an den „Tag der Wahrheit“ im Dezember vor zwei Jahren: Das Fort erstrahlt mittlerweile in neuem Glanz, die Delegation der Vereinten Nationen ist zufrieden. Fanfaren erklingen, die Kanone feuert Salven in die Luft. Als die begehrte Plakette, die den Weltkulturerbe-Status bestätigt, ausgegeben wird, ist die Arbeit der ausländischen Spezialisten erledigt. Etwas wehmütig seien sie gewesen, sagt der Schönebecker. Doch er und Gravert sind sich sicher: Der nächste Arbeitseinsatz im Ausland kommt bestimmt.