Israel Eine Frage der Schuld

60 Jahre Jugendaustausch: Der Schönebecker Philipp Körner nahm an einem zweiteiligen Deutsch-Israelischen-Jugendkongress teil.

Von Olaf Koch 08.01.2016, 02:06

Schönebeck/Tel Aviv l Selbstverständlich wurden auch kritischen Dinge angesprochen. Nicht alles, was in Deutschland läuft, ist so vorbildlich, dass dafür Goldmedaillen verliehen werden könnten. Auch in Israel selbst wird nicht alles, was auf politischer Ebene beschlossen wird, unkommentiert von den Menschen und außerhalb der Grenzen hingenommen. „Das ist doch logisch. Wir Jugendlichen in Deutschen und Israel sind jeweils in demokratischen Staaten aufgewachsen. Da ist es doch selbstredend, dass auch kritische Dinge angesprochen werden.“

Der das sagt, ist Philipp Körner. Der Schönebecker ist 24 Jahre jung, studiert Politik mit Nebenfach Wirtschaft, ist Stadtrat in der Elbestadt Schönebeck und interessiert sich für die Kultur, die Menschen und die Politik im Nahen Ostens. Körner nahm im Jahr 2015 an einem doppelten Jugendaustausch teil: Mitte Mai kamen 150 Jugendliche aus Israel nach Deutschland, sechs Monate später flogen ebenfalls 150 Deutsche nach Israel. Bei beiden Treffen kamen die gleichen Gruppen zusammen, um gemeinsam an Projekten zu arbeiten. Organisiert wurde der Austausch von ConAct und der Israel Youth Exchange Authority.

Aus der Geschichte heraus haben beide Staaten eine ganz besondere Beziehung zueinander. 70 Jahre nach Beendigung des Zweiten Weltkrieges und der Naziherrschaft wächst in dem Land im Nahen Osten die inzwischen dritte Generation heran. Fast in jeder Familie gibt es dennoch Holocaust-Opfer oder -Überlebende. Während die Alten diese Zeit verdrängen, nicht darüber reden wollen oder können und teilweise zusammenzucken, wenn sie plötzlich auf der Straße von Touristen die hart klingende deutsche Sprache hören, geht die Jugend von heute etwas freier, aber dennoch ernst an das unsägliche Thema heran.

Nicht mehr nur der Holocaust, der Krieg und die Faschisten sind bei den israelischen und deutschen Jugendlichen von heute im Fokus. Vielmehr richtet sich der Blick auf globale Dinge wie Umwelt und Nachhaltigkeit. „Es sind moderne Themen, die wir beim Deutsch-Israelischen-Jugendkongress besprochen haben“, machte Philipp Körner im Gespräch mit der Volksstimme deutlich.

Ein Beispiel: Das Deutschland von heute ist nicht das gleiche wie vor 50 Jahren. In der Zwischenzeit erlebte Deutschland ein starke Zuwanderung von Menschen aus Ländern mit verschiedenen Religionen. „Da haben wir beim Jugendaustausch einen wichtigen Ansatz gesehen: Wie können beispielsweise arabische und türkische Deutsche in solche Veranstaltungen mit Israel integriert werden?“, fragt Philipp Körner.

Die Beantwortung dieser Frage dürfte für die Israelis genauso schwierig sein wie für die Deutschen. Auch dieser kritische Punkt wurde beim Jugendkongress nicht ausgelassen. Aber versteht man Philipp Körner richtig, dann steht vor allem die Jugend des Landes einer Öffnung weitaus positiver gegenüber als der ältere Teil der Bevölkerung, der mit der Geschichte eben noch viel verwurzelter ist.

Was die junge Generation hier und da eint, ist ein demografischer Fakt: Viele Überlebende des Holocaustes gibt es nicht mehr, die über die schrecklichen Ereignisse des wohl dunkelsten Kapitels deutscher Geschichte aus eigenem Erleben berichten können. Umso wichtiger ist es, Gelegenheiten wahrzunehmen. In Yad Vashem („Gedenkstätte der Märtyrer und Helden des Staates Israel im Holocaust“, ist heute die bedeutendste Gedenkstätte, die an die nationalsozialistische Judenvernichtung erinnert und sie wissenschaftlich dokumentiert) traf der Schönebecker Philipp Körner gemeinsam mit den anderen Deutschen seiner Gruppe mehrere Überlebende. So unter anderem einen Mann, der mit offenen Worten davon berichtete, wie er als Kind das braune Deutschland erlebte. „Er ist als Kind von Tschechien nach London evakuiert worden. Die Familie wurde auseinander gerissen. Der Mann hat nicht nur seine Eltern verloren, sondern fast die ganze Familie. Lediglich der Onkel überlebte die schreckliche Zeit der Nationalsozialisten“, berichtet Philipp Körner. Er selbst, der schon mehrmals Holocaust-Überlebende getroffen hat, war wiederum tief bewegt von den Schilderungen. „Es geht einem immer wieder durch Mark und Bein.“ Der Mann emigrierte später und baute in Israel eine jüdische Gemeinde auf.

Am Ende ging fast jede Diskussion immer wieder auf eine Frage hinaus – nach der Schuld. „Haben wir heute noch Schuld?“, fragt Philipp Körner. Er weiß aus vielen Gesprächen, vor allem auch mit jungen Israelis, die diese Frage mit einem klaren Bekenntnis und einer Freisprechung beantworten: „Nein, ihr tragt keine Schuld mehr“, ist ein Satz, den der Schönebecker oft gehört hat. Aber frei von Schuld zu sein, heißt nicht, frei von Verantwortung zu sein. „Nur mit dem Wissen der Vergangenheit können wir unsere Zukunft gestalten.“

Yad Vashem ist für Philipp Körner ein nicht nur beeindruckender Platz, sondern auch ein sehr bewegender. „Man wird still, wenn man von Band die Namen vorgelesen bekommt, die während des Holocaustes ums Leben kamen. Oder ein Mahnmal sieht mit einem Eisenbahnwaggon auf Schienen, der über einem Abgrund schwebt ...“

Deutschland als Ort wo Israelis leben und feiern möchten, stehen heute bei den jungen Israelis ganz oben auf der Wunschliste. Vor allem die Metropolen Berlin, Hamburg, Köln und München gelten als liberale und weltoffene Städte. „Dort zu leben, ist der Traum vieler Jugendlicher“, erklärt Philipp Körner. Ein schönes Gefühl 70 Jahre nach Kriegsende.