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Friedhofsbesuch Das Mausoleum derer von Diesing in Biere

Das Mausoleum der Familie Diesing bemerkenswerteste Grabdenkmal in Biere. Für die Volksstimme wurde es geöffnet.

Von Thomas Linßner 08.12.2016, 00:01

Biere l „Wir müssen mal gucken, wo der Gemeindearbeiter ist. Der hat den Schlüssel“, lässt Ordnungsamtsleiter Georg Skorsetz seinen Blick über den Friedhof schweifen. Wir stehen zusammen mit Elli Schulze vor dem Mausoleum der Familie Diesing. Skorsetz hat die 86-Jährige her gebeten, weil sie sich mit der Heimatgeschichte auskennt.

Ehe der Mann mit dem Schlüssel da ist, erzählt Georg Skorsetz aus der Perspektive des Verwaltungsmitarbeiters, was er weiß über den „Diesing Tempel“. „Das Dach war Anfang der 1990er vollkommen durch und damit undicht“, berichtet der 62-Jährige. Die Sanierung sei allerhöchste Eisenbahn gewesen. „Wir haben 200 000 Euro aus der Dorferneuerung bewilligt bekommen und das Gebäude damit gerettet.“

Skorsetz verrät, dass es für die Kinder des Dorfes eine Mutprobe war, in der benachbarten Gruft von Dr. Schulze einzusteigen und die Sargdeckel hochzuheben. Darin sei ein Glasfenster eingelassen, durch das man die sterblichen Überreste sehen konnte.

„Mutprobe?“ Zu DDR-Zeiten hatte man es offensichtlich nicht so mit der Pietät auf Friedhöfen. Weil es keine Nachkommen mehr gab und Leute wie Diesing und Dr. Schulze als „Großagrarier und Kapitalisten“ galten, waren die Verwaltungen in Sachen Verschlusssicherheit offenbar nachlässig. So wurde beispielsweise in Barby das Oppen-Grabmal in den 1980er Jahren geplündert. Jugendliche, die sich coolerweise als „Gruftis“ empfanden, nahmen die Schädel mit nach Hause und stellten sie schwarz lackiert auf den Schrank.

Aber wie war das mit den Diesings in Biere, die nicht zu den Ärmsten gezählt haben dürften, bei so einem Grabtempel?

Elli Schulze weiß auch nicht so recht, wann das Gebäude gebaut wurde, wann die Diesings in der Börde ausstarben. Auch im Internet findet man nichts. Fest steht nur, dass vier Särge in der Gruft stehen. Darin sollen die Eltern und zwei ihrer Töchter ruhen.

„Die Familie Diesing hat markante Spuren ihrer einstigen Existenz in Biere hinterlassen. Auf dem Friedhof steht das Mausoleum der Familie A.W. Diesing. Ein Monumentalbau im Stile des Klassizismus aus der Gründerzeit. Das Dach des Portals wird von vier Meter hohen Granitsäulen getragen, die eine polierte Oberfläche haben. Die Halle über der Gruft ist mit einer großen Kuppel überdeckt, deren goldene Sterne auf blauem Grund den Himmel darstellen. Zur Gruft führt eine eiserne Wendeltreppe hinunter.“ So beschreibt Nachkomme Walter Diesing 1988 die Grablege seiner Vorfahren, dessen Eltern laut Elli Schulze Helene (1894-1920) und Wilhelm (1891-1938) Diesing waren.

Endlich ist der Gemeindearbeiter mit dem Schlüssel da. Die große Eichentür lässt sich unproblematisch öffnen. Durch ein rundes Fenster in der Kuppel scheint ein wenig Licht hinein. Es reicht aus, um sich im überirdischen Bereich zu orientieren. Hier lagern derzeit Friedhofsbänke, die mit Planen abgedeckt sind. Alles ziemlich unspektakulär, denke ich.

Doch dann kommt eine Treppe zum Vorschein, die in die Tiefe führt. Es ist stockdunkel da unten. „Warte, ich besorge eine Taschenlampe“, stiefelt Georg Skorsetz wieder hoch. Elli Schulze wartet geduldig.

Endlich gibt die kleine LED-Lampe den Blick in das Innere der Gruft frei.

Es stehen zwei größere Holzsärge neben einem kleineren, die vermutlich mit Zink oder Blei ausgeschlagen sind. Im rechten Winkel dazu steht ebenfalls ein kleinerer Sarg. Es ist offensichtlich: Die Eltern mit ihren Kindern.

Wann sind sie gestorben? Und vor allem wann und warum die Kinder, die der Sargform nach schon Erwachsene waren. Elli Schulze, die sich nach eigenem Bekunden „leider viel zu spät“ mit der Ortsgeschichte zu beschäftigen begann, weiß es auch nicht.

Für einen fünften Sarg wäre kein Platz gewesen. Wilhelm Diesing ließ das Mausoleum zu Lebzeiten erbauen. Um die Särge in die Tiefe zu lassen, wurde ein Fahrstuhl eingebaut, dessen Plattform mittels Zahnstangengetriebe per Hand bewegt wird. Vermutlich geschah das 1938 zum letzten Mal, als Wilhelm Diesing verstarb. Wie Elli Schulze erzählt, erlebte er die Enteignung 1945 seiner Landwirtschaft nicht mehr.

Auch diese Gruft soll nach dem Krieg „geplündert“ worden sein. Äußerliche Einwirkungen stumpfer Gewalt findet man an den Särgen nicht. Offenbar ließen sie sich leicht öffnen.

Außer dem Mausoleum erinnert in der Ortsmitte von Biere ein Haus an die Diesings, das der Volksmund „Spittel“ nennt. Es ist die Emilie-Diesing-Stiftung von 1905. Darüber weiß Elli Schulze Bescheid: „Frau Oberamtmann Emilie Diesing war Mitbesitzerin der Zuckerfabrik und besaß 120 Hektar Acker.“ Zur Errichtung des Altenheims schenkte sie der Gemeinde 59 000 Goldmark. Ihr Mann, Jonas-Wilhelm, vermachte der Gemeinde 1907 in seinem Testament weitere 50 000 Mark.

Wer mehr über die Geschichte des Diesing-Mausoleums weiß, bitte (03 92 98) 26 227 anrufen oder eine E-Mail an: thomas.linssner@t-online.de