Amtsgericht Gebrochener Finger

Vor dem Amtsgericht in Schönebeck ist ein Fall verhandelt worden, bei dem es um einen türkischen Handkuss geht.

Von Bernd Kaufholz 04.07.2016, 23:01

Schönebeck l Der Prozess endete mit einem großen Knall. Hervorgerufen durch den heftigen Schlag von Richter Eike Bruns auf den Tisch vor ihm. Und einem schmetternden: „Sind Sie ruhig! Raus!“ Damit war die Hauptverhandlung für den Geschädigten, der zuvor als Zeuge in eigener Sache ausgesagt hatte, noch vor dem Ende der Urteilsbegründung Geschichte. Die Erläuterungen zum Freispruch des Angeklagten musste sich Andreas G. (53), der aufgrund von Zwischenrufen bereits verwarnt worden war („Wenn sie noch mal dazwischen quatschen, schmeiße ich Sie raus!“), im Anschluss von seiner Lebensgefährtin berichten lassen.

Die Staatsanwaltschaft hatte eine gute Stunde zuvor den türkischen Dönerverkäufer Osman G. (29) angeklagt, Andreas G. am 2. Oktober 2015 gegen 17.35 Uhr während einer körperlichen Auseinandersetzung vor einem Dönerimbiss im Altkreis Schönebeck den kleinen Finger der linken Hand mehrfach gebrochen zu haben: vorsätzliche Körperverletzung.

Während der Beweisaufnahme hatten der Angeklagte und das mutmaßliche Opfer den Vorfall allerdings grundlegend anders geschildert. Waren sich die Streitparteien bezüglich der Ausgangssituation noch relativ einig, schob bei der Frage, wer „angefangen“ hatte, einer dem anderen den Schwarzen Peter zu.

Am Tattag hatten Katharina B. (26) und ihr neuer Lebensgefährte, Andreas G., dem Kindsvater Osman G. die gemeinsame fünf Jahre alte Tochter gebracht. Mehr als eine Stunde zu spät. Ab diesem Zeitpunkt driften die Aussagen diametral auseinander. Andreas G.: „Der Vater der Kleinen hatte darauf bestanden, dass er seine Tochter nur zu der vom Vormundschaftsgericht festgelegten Zeit nimmt. Daraufhin habe ich gesagt: Komm, wir gehen wieder, der Vati will dich nicht.“ Das sei der Grund für den Wutanfall des Angeklagten gewesen. Dieser habe ihn an den Hals gefasst. Er sei zu Boden gefallen. Und im weiteren Verlauf der Rangelei habe ihm Osman G. den Finger gebrochen.

Osman G. seinerseits sprach einen „kulturellen Hintergrund“ an. Meine Tochter hat mich mit einem Handkuss begrüßt. Das ist als Beweis der Ehrerbietung gegenüber dem Vater in der Türkei so üblich. Die Mutter meiner Tochter und ihr neuer Partner wollten das nicht. Das haben sie schon mehrfach deutlich gemacht. Herr G. schubste mich und hat versucht, mich zu schlagen und zu treten. Dabei ist er gestürzt.“

Zum Schluss stand es 2:1. Zwei Zeugen (Bruder und Cousin) bestätigten die Version des Angeklagten, eine Zeugin (die Freundin des Geschädigten) die andere.

Für Strafrichter Bruns ein klassisches „in dubio pro reo“ (im Zweifel für den Angeklagten). Freispruch. Denn die Frage, von wem der Vorfall ausgegangen ist, sei nicht mehr aufzuklären. „Für eine Version spricht eben so viel wie für die andere.“

Der Mutter gab der Richter mit auf den Weg: „Sie haben das gemeinsame Umgangsrecht. Da müssen sie auch akzeptieren, dass der Kindsvater aus einem anderen Kulturkreis kommt. Ein Handkuss hat nichts mit dem Überstülpen einer anderen Religion zu tun. Klären sie solche Fragen künftig mit ihrem Ex-Partner in Ruhe und nicht auf dem Rücken ihrer Tochter.“ Und an den neuen Lebenspartner gerichtet: „Sie müssen sich aus solchen Dingen komplett heraushalten. Sie haben mit der Erziehung des Kindes nichts zu tun.“

Die Staatsanwaltschaft hatte eine Geldstrafe in Höhe von 300 Euro gefordert, der Verteidiger Freispruch.