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Autos für Rennsport Überflieger auf vier Rädern

Vitaly Vavilov baut in Staßfurt an Autos für den Rennsport.

Von Daniel Wrüske 14.09.2017, 01:01

Staßfurt l Das Bild des typischen Autoschraubers erfüllt Vitaly Vavilov ganz und gar nicht. Statt Blaumann Hemd, der junge Mann wirkt mit seiner schwarz-gerahmten Brille eher wie ein Akademiker. Doch: „Autos haben es mir schon immer angetan“, sagt Vitaly Vavilov. Mit seiner Firma Scuderia V baut der 34-Jährige jetzt in Staßfurt ein Unternehmen auf, das seinesgleichen sucht. Vitaly und sein Team gestalten handelsübliche Autos so um, dass mit ihnen Rennen gefahren werden können. Das Debüt-Rennen im Sommer hat den ersten Riesenerfolg gebracht: den European Half-Mile Record. Während des „Race 1000“ auf dem Flughafen in Cochstedt, hier geht es darum, auf einer geraden Strecke von 804 Metern (eine halbe Meile) so schnell wie möglich zur Höchstgeschwindigkeit zu kommen, schaffte es ein dafür vorbereiteter Lamborghini Huracan auf eine Geschwindigkeit von 353 Kilometer in der Stunde in 13,5 Sekunden. Das gab es so noch nicht. Vater dieses Sieges ist auch Vitaly Vavilov.

Dass die Tüftelei einmal Vitalys Leben bestimmt, war zwar nicht von Anfang an klar, aber dennoch irgendwie folgerichtig. Er wächst in Moskau auf. Die Eltern wollen, dass der Junge etwas Anständiges lernt. Erfolgreich absolviert der Student die Uni und arbeitet als Anwalt. Doch schon viel früher, zu Schulzeiten, hingen die Poster von den Rennwagen über Vitalys Bett. Oft hat er stundenlang auf die Bilder geschaut und sich in Gedanken ausgemalt, wie es sein würde, ein solches Auto selbst zu fahren. Als Träume, vielleicht sogar Hirngespinste tut die Familie das zunächst ab, doch Vitaly bekommt den Gedanken nicht mehr aus dem Kopf. Wenn er abends in der Kanzlei den Laptop zuklappt, dann überlegt er sich, wie er sein erstes Auto, einen roten Nissan Silvia aufmotzen kann. In der heimischen Garage ersetzt er schwere durch leichtere Bauteile. Alles bekommt mehr Tempo und das Privatauto ist bald kaum noch als solches zu erkennen. Vitaly Vavilov fährt damit seit 2005 in seiner Freizeit Rennen. Immer besser, immer schneller. Gleichzeitig tüftelt er an den Autos.

Seine kleine Firma Red Star Motorsport entsteht. „Wir Russen können mehr als Wodka und Balalaika. Ich wollte jedem zeigen, dass wir High-End-Rennwagen bauen können.“ Bald werden renommierte Rennställe auf ihn aufmerksam. Sponsoren reißen sich um den Fahrer. Im ersten Rennjahr erhielt er mehr als zehn Sponsorverträgen, darunter den Titelsponsor Red Bull und wurde so der erste und einzige Red Bull Drifting Athlet in ganz Europa. Hierbei versucht der Fahrer, sein Fahrzeug zum Übersteuern zu bringen, während er die Kontrolle und ein hohes Fahrtempo beibehält. Bei diesen Fahrmanövern zeigen die gelenkten Vorderräder zur Kurvenaußenseite, die hinteren Räder haben einen höheren Schräglaufwinkel als die Vorderräder.

Der junge Mann muss sich entscheiden: heiße Fälle bei Gericht oder heißer Asphalt? Vitaly Vavilov folgt seinem Herzen und bleibt bei den Flitzern. Sein Leben gewinnt in doppelter Hinsicht Fahrt. Auf den Rennstrecken ist er gut. Aber er merkt, dass er mehr will. Neben der Formel 1 ist der Rennsport auch in den unteren Klassen perfekt organisiert. Jeder Rennstall setzt auf Fortschritt und Entwicklung. Er blickt den Technikern in den Teams über die Schulter, erinnert sich an seine Anfänge zurück. Immer wieder bringt er eigene Ideen ein, was gemacht werden könnte, um das Fahrverhalten der Fahrzeuge zu verbessern. Er entschließt sich schließlich, Fahren und Bauen zu verbinden, selbst in die Konstruktion zu gehen und verlässt seinen Rennstall, und bald auch sein Heimatland. Vitaly Vavilov geht nach Finnland, um mehr Rennfahrerfahrung und Wissen zu erwerben und in einer berühmten Motorsportfirma zu arbeiten.

Parallel zur Arbeit studiert er an der Universität der angewandten Wissenschaften jeden Abend International Business. „Praxis sollte immer mit Theorie einhergehen.” Für Kunden, Freizeitrennfahrer, tunt er die Autos für verschiedene Rennen. „Im Prinzip kann jedes Auto zum Rennwagen werden. Mein eigner, 17 Jahre alter Mitsubishi Evolution ist der beste Beweis“, sagt Vitaly Vavilov lächelnd. Er und sein Team tauschen Teile aus, an der Karosse, an Bremsen, Aufhängungen, am Motor. Das Auto wird komplett durchfrisiert. Plötzlich haben die Vehikel Motoren mit 1300 PS und mehr unter der Haube und bestehen fast komplett aus Carbon. „Hülle, Reifen, Motor, Bremsen – alles muss eine Einheit sein.“

Die Teile dafür bezieht Vitaly Vavilov von den einschlägigen Herstellern. „Was wir brauchen, kaufen wir ein.“ In jüngster Zeit geht er aber dazu über, selbst das Equipment zu entwickeln. „Was es nicht auf dem Markt gibt oder was wir besser können, basteln wir uns einfach selbst.“ Ein Freund mit einer eigenen Produktionsfirma in Finnland stellt dann alles nach Vitaly Vavilovs Vorstellungen her. Von der Idee im Kopf, über die Computersimulation, bis hin zu vielen Stunden der Prüfung auf einer Rennstrecke - bis das endgültige perfekte Produkt das Rennauto besser und schneller macht - für Vitaly Vavilov ist es wie Lebenselixier, über die noch so kleinsten Details nachzudenken und Lösungen dafür zu finden. Die Erfahrung als Rennfahrer und aus der Bastelgarage hat ihm geholfen. „Du kannst diesen Beruf nicht lernen“, sagt er. „Aber du musst wissen, was du willst und dafür technisch einen Weg finden.“

Manche Menschen, die ihre Autos zu Vitaly Vavilov bringen, sind keine Profis. Sie haben die Rennluft zu ihrem Hobby gemacht. „Unsere Kunden kommen zu uns und haben manchmal gar keine konkreten Vorstellungen, aber sie vertrauen uns und wir machen den Wagen so fertig, dass sie ihrer Freizeitbeschäftigung nachgehen können und alles funktioniert.“

Von Finnland ist Vitaly Vavilov mit Scuderia V vor einem Jahr in die Salzstadt gezogen. „Logisch!“, sagt er. „Staßfurt liegt in der Mitte von Europa. Wir haben hier die kurzen Wege zu den verschiedenen Rennstrecken.“ Die Motorsport Arena Oschersleben ist fast Nachbar, der Hockenheimring oder der Nürburgring sind nicht weit weg. Eine echte Mitte bilde die Bundesrepublik auch, wenn es um Technologien in der Automobilbranche geht. Außerdem sei das Klima hierzulande günstiger als in Skandinavien. „Wir können in Deutschland zehn bis elf Monate fahren. Das ging in Finnland nicht.“

Für Staßfurt hat Vitaly Vavilov große Pläne. Die Tuningwerkstatt ist nur einer. Er wird künftig hier auch seiner Leidenschaft nachgehen, die er selbst schon lange verfolgt, denn er will Fahrtraining geben. „Das Auto ist das eine, der richtige Fahrstil das andere.“ Geplant ist auch, dass von der Salzstadt aus Touren mit den Autos geplant werden. In Gruppen gibt es dann Ausflüge durch ganz Europa. Und im ehemaligen Opel-Autohaus an der Liethe wird ein „Auto-Hotel“ entstehen. „Wir haben die Fahrzeuge dann das gesamte Jahr hier stehen, pflegen sie, bereiten sie speziell für die Renen vor und bauen sie wieder zurück.“ Im Salzland hat Vitaly Vavilov sich von Anfang an heimisch gefühlt. Die Wirtschaftsförderung der Stadt hat ihn bei allem Bürokratischen geholfen, große Unterstützung gab es auch von der Industrie- und Handelskammer Magdeburg.

Eine offizielle Eröffnung für Scuderia V gab es in Staßfurt noch nicht. Noch laufen die Vorbereitungen, und genug zu tun gab es mit den Rennen im Sommer auch. Der temporeiche Rekord auf dem Cochstedter Airportgelände ist allerdings ein verheißungsvoller Auftakt.