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Beleidigung In Schönebeck als Schlampe beschimpft

Bei einem Spaziergang wird eine Frau mit Migrationshintergrund, die seit Jahrzehnten in Schönebeck wohnt, Opfer von Beleidigungen.

Von Emily Engels 27.11.2018, 00:01

Schönebeck l Es ist ein besonders goldener Herbstnachmittag, an dem Andrijana Hanika* (Name von der Redaktion geändert) auf die Salineinsel geht, um Fotos zu machen. Sie fotografiert eine Gruppe von Zugvögeln, die in der typischen V-Formation gen Süden fliegen. Sie lichtet die Elbe ab, die teils wilde Natur rund auf der Salineinsel. Das, was sie sieht, bezeichnet sie zurecht als „Idylle“.

Dass eine Gruppe Jugendlicher auf einer Bank und Mauer sitzt und laut Musik hört, kann sie zwar von weitem wahrnehmen, aus der Ruhe bringt es die Frau, die in der Zeitung unerkannt bleiben und zwischen 50 und 60 Jahre alt ist, jedoch nicht.

Sie geht stattdessen weiter ihren Weg durch den Park. Als sie sich den Jugendlichen nähert – es handelt sich um etwa zehn Mädchen und Jungen zwischen 13 und 18 Jahren – hört sie, dass die Musik, die sie hören, rechten Inhalt hat. „Es kamen Wörter vor, die in rechten Kreisen oft gängig sind“, sagt Andrijana Hanika, die beruflich lange mit der Integration von Ausländern – und somit nicht selten auch mit Rassismus – zu tun hatte.

Die Frau, die unter anderem teils osteuropäischer und teils jüdischer Herkunft ist, ignoriert die Jugendlichen, fotografiert mit ihrem Handy ein Motiv ein paar Meter von ihnen entfernt. Plötzlich hört sie die Jugendlichen rufen: „Bist du eine Schlampe?“ Immer wieder wiederholen sie die Beschimpfung, bezeichnen die Spaziergängerin als „Schlampe“. Andrijana Hanika hat dabei das Gefühl, dass die Jugendlichen dabei Begrifflichkeiten aus den Texten der Lieder zitieren, die sie hören. Denn auch hier wird mehrfach das Wort „Schlampe“ gebraucht – im Zusammenhang mit rassistischen Begrifflichkeiten.

Einer der Jugendlichen – der größte von allen, der laut Andrijana Hanika schwarz gekleidet ist – kommt auf sie zu. Die Frau ist wie gelähmt, als der Mann ihr an die Umhängetasche greift. In der Panik ruft sie: „Leg dich nicht mit mir an, ich kann Kampfkunst.“

Der junge Mann lässt von ihr ab und Andrijana Hanika geht nach Hause. Dort kann sie ihre Schlüssel nicht finden. Ohne weiter groß nachzudenken, geht sie zurück an den Ort des Geschehens: auf die Salineinsel.

Auf dem Weg dorthin und auf dem Platz ist vom Schlüssel keine Spur. Auch die Jugendlichen, die sie beleidigt haben, sind mittlerweile weg, stattdessen sitzt dort eine Gruppe jüngerer Jugendlicher. „Mein Handy war auch leer, deshalb habe ich die jungen Leute gebeten, mir ein Telefon auszuleihen, damit ich eine Freundin anrufen kann, die einen Ersatzschlüssel hat“, so die Frau. Sie erzählte den Jugendlichen auch knapp, was ihr passiert ist. „Die schienen die Gruppe zu kennen. Sie meinten: Ach, das war bestimmt der Manu*“, so das Opfer.

Andrijana Hanika verabredet sich mit ihrer Freundin vor ihrer Wohnung. Diese sagt ihr, dass sie so schnell wie möglich die Polizei über den Vorfall benachrichtigen soll.

Sie geht zur Wache in Schönebeck – und erstattet Anzeige. Zunächst will sie das tun, weil sie denkt, dass ihre Schlüssel gestohlen wurden. Doch die Polizisten in Schönebeck raten ihr, auch wegen der Beleidigungen Anzeige zu erstatten. „Erst dann, als ich bei der Polizei war, kam der Schock“, sagt die Frau.

Marco Kopitz, Sprecher vom Polizeirevier des Salzlandkreises, sagt, dass Anzeigen wegen Beleidigung in Schönebeck keine Seltenheit sind. „2017 gab es 27 angezeigte Beleidigungen auf sexueller Grundlage und 66 weitere Beleidigungsfälle, wegen denen die Opfer zur Polizei gegangen sind.“

Wie hoch die Geldbuße ist, kommt auf das Wort an. „Es fängt bei 300 Euro an. Wird beispielsweise ein Polizeibeamter – etwa mit dem Wort „Bullensau“ beleidigt, kann das auch schon mal 1700 Euro kosten“, so Marco Kopitz.

Meistens, so berichtet der Polizist weiter, passieren Beleidigungen im persönlichen Umfeld der Opfer. Dadurch seien die Aufklärungsquoten auch sehr hoch.

Auch Anrijana Hanika sieht eine Chance, dass ihr Fall aufgeklärt wird. Ihre Hoffnung: Dadurch, dass sie mit dem Handy eines der Jugendlichen ihre Freundin angerufen hat, kann die Polizei vielleicht über die Rufnummer ermitteln.

Doch selbst, wenn die Täter mit einer Geldstrafe büßen müssen, ist für die Frau, die seit Jahrzehnten in Schönebeck wohnt, einiges kaputt gegangen. „Ich fühle mich jetzt unsicher. Und traurig darüber, dass ich beleidigt werde dafür, dass ich anders aussehe, mich anders kleide.“

Ihren Schlüssel findet sie an dem Tag wieder – sie hatte ihn in ihrem Briefkasten stecken lassen. Doch da ist etwas, dass sie dafür für immer verloren hat: Die Unbesorgtheit, mit der sie zuvor auf ihren Spaziergängen gegangen ist. „Auf die Salineinsel traue ich mich seit dem Vorfall allein nicht mehr“, sagt sie. Dass Alltagsrassismus wieder zunimmt, das bereitet ihr große Sorgen.

Andrijana Hanika, die sich selbst keiner Nationalität zugehörig fühlt, sondern als „Weltmensch“ bezeichnet, sagt: „Kein Mensch hat das Recht, einen anderen Menschen – egal, wo er herkommt, wie er aussieht oder wie er sich kleidet – ‚Schlampe‘ zu nennen.“

* Namen von der Redaktion geändert.