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Brauchtum Eine Schönebecker Hutzenstube

Sie wird weltweit exportiert, in víelen Wohnzimmern steht sie zu Weihnachten: die erzgebirgische Handwerkskunst. Auch in Schönebeck..

25.12.2018, 07:00

Schönebeck l Eine „Hutzenstube“, das ist ein Begriff aus dem vogtländisch-erzgebirgischen Raum. Ursprünglich war es ein Arbeitsraum von Klöpplerinnen, Frauen, die mit einer traditionell-erzgebirgischen Technik, Spitze herstellen. Um Heizkosten zu sparen, trafen sich die Frauen im Winter gemeinsam bei Nachbarinnen. Dabei sangen sie, und so entstand das erzgebirgische Mundartlied.

„Das war noch eine echte Kommunikation“, so Renate Gehrmann-Kohns. Einige davon anzustimmen, das weiß die gebürtige Zwickauerin, die in Königswalde im Erzgebirge aufgewachsen ist. Inzwischen, ja, schon längst, wie sie sagt, ist ihre Heimat Schönebeck geworden. Als Lehrerin kam sie zu DDR-Zeiten nach Sachsen-Anhalt. „Zunächst nach Welsleben“, das sei jedoch nicht ihr Dorf gewesen. Ein bisschen mürrisch seien ihr damals die Menschen vorgekommen. Sie hatte das Erzgebirge vermisst. Damals war draußen immer richtiger Winter“, so die 82-Jährige. „Hier war dagegen alles grün und alles flach.“ Verbessert hätte sich die Situation erst, nachdem sie nach Schönebeck versetzt wurde. „Und inzwischen möchte ich auch gar nicht mehr zurück“, so Kohns.

Doch jedes Jahr, zur Weihnachtszeit, verwandelt sie ihre Mietswohnung in der Martin-Luther-Straße in Schönebeck in eine Hutzenstube.

Denn wenn Erzgebirgler ihre Wohnung dekorieren, dann stellen sie nicht nur einzelne Pyramiden, Räuchermännchen, und Nussknacker zur Dekoration ins Wohnzimmer, sondern wie bei Gehrmann-Kohns dominieren sie den Raum.

Ein selbsgebastelter Rodelhügel leuchtet grün neben dem Fenster auf einem eigenen Tisch. Auf dem Fensterbrett steht der Schwippbogen, ein in ganz Deutschland beliebtes Dekorationselement.

Und rechts neben dem Fernseher gibt es ein ganz besonders Heer - das der Räuchermännla, wie man sie im Erzgebirge nennt. Räuchermännchen, auf Hochdeutsch. Ich kann beides fließend, denn meine Kindheit habe ich ebenfalls im Vor-Erzgebirge, in Grüna, das heute ein Teil von Chemnitz ist, verbracht. Meine Freizeit im Grundschulalter verbrachte ich dort im Folklore-Hof, wo ich selbst das Klöppeln lernte.

Wie man sie auch nennt, Räuchermännchen oder Räuchermannla, mit einem von ihnen hat die Liebe zur erzgebirgischen Kunst bei Kohns einst angefangen. Als kleines Mädchen erhielt sie eine der Figuren, die nicht nur der Dekoration dienen, sondern die, wenn man eine Kerze hineinstellt, den Raum beispielsweie in Tannen- oder Bachblütenduft hüllen. Er war ein Geschenk ihrer Mutter. Und es sei Liebe auf den ersten Blick gewesen.

„Man hat ja damals kaum welche bekommen“, erklärt die 82-Jährige. So waren die „Gründungsmitglieder“ ihrer ersten Sammlung allesamt Erbstücke ihrer Mutter und Großmutter. „Vor allem in den 70er-Jahren hat sich das Stück für Stück angesammelt“, so Kohns.

Ich kenne ebenso die Tradition, zur Adventszeit nicht einmal eben die Wohnung umzudekorieren, sondern einen kleinen Umzug zu veranstalten, mit Kisten, die das ganze Jahr in Dachboden oder Keller liegen und so den Raum in eine Hutzenstube zu verwandeln. „Wenn im Radio zum zweiten Advent gefragt wird, ob man seine Wohnung bereits umdekoriert hat, muss ich laut lachen. Lange vorher habe ich bereits alles vorbereitet“, sagt die Erzgebirglerin Kohns zu mir.

„Mutti hat immer mal wieder etwas dazu gekauft. Inzwischen hat sie auch jemand anderen mit ihrem Hobby angesteckt: ihren Mann, Volker Gehrmann. Er ist aus Barby, „aber inzwischen hat sie mich voll in ihren Bann gezogen“, so der 62-Jährige. Die beiden sind seit 16 Jahren zusammen, jedoch erst seit zweineinhalb Jahren verheiratet. Den Antrag hat er ihr im Urlaub im Erzgebirge gemacht und vor lauter Begeisterung haben sie dort auch geheiratet. In den Urlaub fahren sie jedes Jahr hin.

„Ich bin seitdem Erzgebirgsfan“, sagt Gehrmann. Er selbst hat auch eine Lieblingsfigur unter den Räuchermännchen: Den Karl Stülpner, der auch der Robin Hood des Erzgebirges genannt wird. Der legendäre Wilderer soll ebenso wie sein berühmtes britisches Vorbild von den Reichen für die Armen gestohlen hat. Anhand der Räuchermännchen erzählt er seinen Enkeln gern diese, wie er sie nennt „kleine Jungs-Geschichte“.

Renate Gerhmann-Kohns dagegen möchte keinen eindeutigen Favoriten küren. Sie mag neben ihren Räuchermännchen und Nussknackern auch die Engel, die auf einer Wolke aus Holz ein Orchester mimen.

Diese kommen mir mehr als bekannt vor. In Grüna baute mein Opa, zu Lebzeiten sehr handwerklich begabt, diese Engel und diese Wolken nach. Als ich das Kohns erzähle, ist sie begeistert: „Würde er noch leben, ich hätte gleich eine Bestellung aufgegeben.“