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DDR-Musik Ost-Titel, wenn die älteren Herren kamen

Bernhard Schmidt aus Barby ist Hobby-Musiker. Der 56-Jährige erinnert sich gerne an die „Szene“ der 1970er und 1980er Jahre.

Von Thomas Linßner 09.12.2017, 07:00

Barby l „Was war das für eine Zeit, als jeden Sonntag im Rautenkranz eine Liveband spielte“, schaut Bernhard Schmidt versonnen aus dem Fenster seiner Wohnung, als finde er dort die Erklärung, warum das heute nicht mehr so ist. Der 56-Jährige kann sich noch gut an die Auftritte der Bands von damals erinnern. Die hatten Namen wie „Fortuna“, „Tornados“, „Die Unbekannten“ oder „Kometen“. „Die Sonntagsveranstaltungen hießen etwas altbacken ‚Jugendtanz‘ und gingen von 16 bis 21 Uhr“, erzählt der gebürtige Barbyer, der heute in Schönebeck wohnt. Danach fiel der Hammer. Nicht zuletzt deswegen, weil man tags darauf in die Schule oder zur Arbeit musste.

Unvergessen ist bis heute die damalige Wirtin des „Rautenkranz“, Elfriede Krimmling. Wenn es eine Schlägerei gab, brauchte die resolute, mürrische kleine Frau keine Polizei. „Sie regelte das mit einem Scheuerlappen. Und zwar einem nassen“, lacht Schmidt. Dieses unangenehme Textil bekamen die Streithähne um die Ohren gehauen, was eine unglaubliche Wirkung zeigte. Auch allzu heftige Knutschereien im Dunstkreis des Tresen wurden von Elfriede harsch unterbunden.

Bernhard Schmidt macht bis heute selbst Musik. Aktuell ist es die Barbyer Band „Musikexpress“, die vom derzeit laufenden Partyhit über Schlager bis hin zu Rocktiteln aufgestellt ist. „Ich kann mir nicht vorstellen, keine Musik zu machen“, gesteht der 56-Jährige. Seine ersten Schritte gelangen ihm in dieser Richtung bei seinen Großeltern, die in Barbys „Ostmarksiedlung“ wohnten. Dort wurde mit zwei Fingern das Klavier so lange traktiert, bis die Klimperei den Erwachsenen zum Halse heraus hing und sie Einhalt geboten. „Mit 12 habe ich meine erste Wanderklampfe bekommen“, erzählt Schmitti. Ein älterer Junge, der Faustballer Bodo Fengler, hatte ihm die ersten Harmonien gezeigt. „Ich konnte schon Heya Heya spielen, weil das nur zwei Griffe hatte.“ Wenig später bekam der 12-Jährige von einem Nachbarn ein altes Akkordeon geschenkt. „Ob du es glaubst oder nicht“, hebt er die Augenbrauen, „ich konnte von Anfang an mit dem Ding umgehen. Es war mir sehr vertraut.“ In der Schul-Aula machte Schmitti „heimlich“ auf den Tasten des schwarzen Flügels seine musikalischen Ausflüge. Hier hatte Musiklehrer Heinz Böse das Sagen, der von unqualifizierten Kinder-Klimpereien auf dem guten Stück allerdings wenig erbaut war. Der alte Musiklehrer hatte am Ende seiner Lehrer-Laufbahn allerdings nicht mehr die Kraft, sich gegen solche Undiszipliniertheiten durchzusetzen.

Folgerichtig kamen neben der Pubertät auch die ersten schülerbandmusikalischen Aktivitäten. „Da waren wir 14 und hatten im ‚Grünen Anker‘ unseren Proberaum“, erinnert sich Bernhard Schmidt. Neben Hartmut Reggelin, Frank Heise und Manfred Zielke war damals auch Lutz Wanka dabei, mit dem Schmitti heute noch im „Musikexpress“ zusammen spielt.

Es war die Zeit, als man als „Normalsterblicher“ weder an Texte noch Noten/Harmonien heran kam. „Ich saß stundenlang vor dem Tonband, habe die englischen Texte in Lautschrift abgeschrieben und versucht, die Harmonien nachzuvollziehen.“ Wenn man sich dieses „Englisch“ heute ansieht, bekommt man einen Lachkrampf, sagt Schmitti amüsiert. Bei öffentlichen Auftritten galt die Regel 60:40.

60 Prozent des Repertoires mussten aus der DDR oder den sozialistischen „Bruderländern“ stammen, der Rest durfte „West“ sein. Woran sich aber so gut wie keine Band hielt. Nur wenn plötzlich „ältere Herrschaften“ den Saal betraten, bemühte man sich, ein paar Ost-Titel zu spielen. In denen vermutete man nämlich AWA-Leute, die mit der heutigen GEMA vergleichbar wären. Nur ging es damals um Politik, heute ums Geld.

„Welchen Takt die Jugend wählt, ist ihr überlassen: Hauptsache sie bleibt taktvoll“, verkündete SED-Chef Walter Ulbricht auf dem 6. Parteitag der SED 1963. Dieser Kalauer kennzeichnet einen Umbruch in der Jugendpolitik.

Ein Jahr später erlag die ganze Welt dem Beatles-Fieber, und sogar in der DDR erschienen eine LP und zwei Singles von den Pilzköpfen. Ab dem Spätsommer 1965 setzten sich dann wieder die Hardliner innerhalb der SED durch. Aus dieser Zeit stammt die 60:40-Regelung, die allerdings in den 1970er und 80er Jahren nur noch wenig geahndet wurde.

Bernhard Schmidt trug im Laufe der Zeit eine ganze Reihe Fotos von Hobby-Bands der 1970er und 80er Jahre zusammen. Man sieht an den Instrumenten, wie kommerziell erfolgreich die Musiker waren. Wer genug Geld hatte, organisierte West-Instrumente oder Verstärker; wer nicht, musste sich mit Gitarren des VEB Musikinstrumentenbau Markneukirchen begnügen.

„Dennoch war es eine kreative Zeit: Die Musik war damals zu hundert Prozent handgemacht“, sagt Bernhard Schmidt.