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Flugzeugabschuss Ledermütze mit tragischer Geschichte

Der Schönebecker Jürgen A. Schulz hält eine Fliegermütze in Ehren, um die sich eine tragische Geschichte rankt.

Von Thomas Linßner 04.04.2017, 03:00

Barby l Jürgen Schulz staunt noch heute über den guten Erhaltungszustand der Mütze. Dem weichen Leder mit seinem Lammfellfutter sieht man die über 70 Jahre nicht an. „Offensichtlich war die Mütze noch nicht lange im Einsatz. Das Besatzungsmitglied wird sie erst kurz zuvor bekommen haben“, vermutet Schulz.

Ende der 1970er bekam er das Kleidungsstück von einem Kollegen, mit dem er zusammen im Schönebecker Sprengstoffwerk arbeitete. „Der hatte mitbekommen, dass ich mich sehr für Militärgeschichte interessiere“, erinnert sich Schulz. Der Kollege, der in der TKO tätig war, besaß auch eine gefütterte Flieger-Lederjacke und Lammfellstiefel. Sie gehörten zur Grundausstattung von US-Bomberbesatzungen, die in großer Höhe flogen, wo es naturgemäß kalt ist.

Den Namen seines mittlerweile verstorbenen Kollegen möchte Jürgen Schulz nicht nennen. Der sei zu Kriegsende gerade mal „um die 20 Jahre alt“ gewesen und hätte zu einem Wehrmachtskommando gehört, das im Raum Barby im Einsatz war.

Die Soldaten hätten die Überreste eines abgeschossenen US-Bombers sichern müssen, in dem auch tote Besatzungsmitglieder lagen. Jürgen Schulz’ Kollege berichtete davon, dass er bei diesem Einsatz Jacke, Stiefel und Mütze an sich nahm. Man darf mutmaßen, dass es sich um Uniformteile von ums Leben gekommenen Besatzungsmitgliedern handelte. Freilich eine Tat, die man der Ethik wegen nicht an die große Glocke hängte, die im Krieg aber Praxis war.

Das Schicksal dieser Besatzung rückte nach vielen Jahrzehnten 2015 zum ersten Mal in den Fokus der Öffentlichkeit. Der B 17-Bomber war 1944 bei Barby zerschellt; Mitarbeiter der US-amerikanischen Militärbehörde Defense POW/MIA Accounting Agency (DPAA) suchten in mehreren Wochen dauernden Grabungen nach Überresten (die Volksstimme berichtete).

Doch was weiß man über dieses tragische Ereignis? In Barby gibt es zwar noch einige Augenzeugen, die aber nur über das Wrack berichten können. Um so wertvoller sind die Unterlagen von Andreas Hirte, die Jürgen Schulz in einer Abschrift vorliegen. Hirte ist Mitglied der Magdeburger Fachgruppe für Militär- und Garnisonsgeschichte. Er recherchierte den Absturz des US-Bombers am 2. November 1944. Danach habe die 8. US-Air Force einen Angriff auf Öl-Raffinerien und Eisenbahnanlagen geflogen. Von England kommend teilte sich an jenem Donnerstag der Bomberstrom auf verschiedene Ziele. In zwei Wellen flogen rund 600 „Flying Fortress“ (B 17, Englisch: „fliegende Festungen“) auf Merseburg und Leuna zu. „Auch Wolfenbüttel, Halle, Bielefeld und das Ruhrgebiet standen auf dem Programm“, schreibt Andreas Hirte. Dabei sei es zu schweren Gefechten zwischen den Bombern, ihren Begleitjägern und deutschen Abwehrjägern gekommen. „Insgesamt verlor die 8. US-Air Force an diesem Tag 40 Bomber und 15 Jäger“, so Hirte. Einer davon sei der „Bomber Dear“ gewesen, den Pilot John Liekus flog. (Die Amerikaner gaben ihren Maschinen Spitznamen: „Bomber Dear“ bedeutet soviel wie verehrter oder treuer Bomber.)

Andreas Hirte steht ein Augenzeugenbericht zur Verfügung, der von Hubert F. Donohne, dem Besatzungsmitglied einer in der Nähe fliegenden Maschine, aufgeschrieben wurde. Danach sei der „Bomber Dear“ zwei Kilometer südwestlich von Barby abgestürzt, nachdem er mehrfach von deutschen Abfangjägern attackiert worden war. Hubert F. Donohne: „Das Flugzeug war komplett in Flammen. (...) Ich sah keine Fallschirme das Flugzeug verlassen.“

Von der neunköpfigen Besatzung hätten nur Co-Pilot Robert C. Wiser, Bombardier Robert C. Sambo und Heckschütze Bruno Lombardi überlebt, die in deutsche Gefangenschaft kamen. Die anderen sechs wurden auf dem Barbyer Friedhof beigesetzt, nach der Kapitulation Deutschlands aber im Sommer 1945 exhumiert. So findet man das Grab von Pilot John Liekus heute auf dem Arlington National Cemetery in Virginia (USA).

Aber offensichtlich waren nicht alle Sechs sofort tot. Unter den Besatzungsmitgliedern war der Second Lieutenant Allen D. Young, der am 5. November 1944, also drei Tage nach dem Abschuss, in Barby verstarb. Das ist auf einer der Volksstimme vorliegenden Karteikarte vermerkt. Die handschriftliche Randnotiz lautet: „Died 5. November 1944 at 12:30 o‘clock at Barby near Calbe“.