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Geld Schönebecker Brückenstreit vor Gericht?

Die alte Elbbrücke in Schönebeck steht im Fokus. Nach Prüfung können zusätzliche Arbeiten zwischen 2,5 und 5 Millionen Euro zukommen.

Von Olaf Koch 02.10.2017, 01:01

Schönebeck l Bauingenieure und plastische Chirurgen haben etwas gemeinsam. Sie wissen: Irgendwann geht nichts mehr. Aus einer 80-Jährigen können sie keine 18-Jährige machen. Das trifft für den Schönheits-Chirurgen ebenso zu, der eine betagte Dame auf dem Operations-Tisch zu liegen hat, wie für den Bauingenieur, der eine alte Brücke instand setzen soll. Nach einer gewissen Zeit ist der Lebenszenit einfach überschritten. Da helfen weder Skalpelle, Spritzen oder neue Schweißnähte. Was gemacht werden muss, ist unwirtschaftlich.

So ungefähr skizziert sich ein skurriler Streit. Im Mittelpunkt steht die Ernst-Thälmann-Brücke. Die „alte Dame“, ein 585 Meter lange Stahlfachbrückenwerk, das die Elbe und die nordöstlichen Auen überspannt, hat die besten Jahre hinter sich. Im Jahr 1910 war Baubeginn, zwei Jahre später wurde die Überführung eingeweiht. Ende April 1945 wurde die Bogenbrücke über den Elbstrom gesprengt und Anfang der 1950er Jahre wieder aufgebaut. Unangetastet blieben die Vorlandsegmente.

Mit der neuen Ortsumfahrung der Bundesstraße 246 a wurde die alte Elbbrücke von einer Bundesstraße in eine Gemeindestraße umgewidmet und ging somit von Bund und Land an die Stadt über – mit Verpflichtungen, wie das Bundesfernstraßengesetz regelt: „Der bisherige Träger der Straßenbaulast hat dem neuen Träger der Straßenbaulast dafür einzustehen, dass er die Straße in dem durch die Verkehrsbedeutung gebotenen Umfang ordnungsgemäß unterhalten ... hat.“

An dieser Stelle gehen die Meinungen der Landesstraßenbaubehörde Sachsen-Anhalt, Regionalbereich Mitte (LSBB), und der Stadt weit auseinander. Während die LSBB in den vergangenen Jahren für rund eine Millionen Euro (und in den Jahren davor für einen zweistelligen Millionenbetrag) Reparaturen vorgenommen hat, sah sich die Stadt Schönebeck gleichzeitig veranlasst, noch während der Bauarbeiten – nämlich im November 2016 – eine Sonderprüfung der Flutbrücke sowie Bauwerksbesichtigungen der Strombrücke und der Brücke über die Müllerstraße von einer Ingenieurgesellschaft in Auftrag zu geben. „In deren Ergebnis wird eingeschätzt, dass die bislang beauftragten und durchgeführten rückständigen Unterhaltungsmaßnahmen nach Art und Umfang unzureichend sind“, ist in einem nichtöffentlichen Schreiben der Stadtverwaltung, das der Volksstimme vorliegt, zu lesen.

Der Landesstraßenbaubehörde wird von der Stadt vorgeworfen, Instandsetzungsmaßnahmen entweder gar nicht, mangelhaft oder nicht ausreichend ausgeführt zu haben. Insgesamt kommt der von der Stadt beauftragte Prüfer zu so einem Ergebnis, dass den Verantwortlichen der kalte Schweiß auf der Stirn gestanden haben muss: Die Prüfnote soll grundsätzlich so besorgniserregend gewesen sein, dass als nächster Schritt die Schließung der Brücke für den Fahrzeugverkehr unausweichlich sei.

Im Rathaus müssen in diesem Moment die Alarmglocken geschrillt haben. Der Prüfer kann seine Bewertungen sogar beziffern. Demnach könnten der Stadt Schönebeck durch die ihrer Meinung nach unzureichenden Unterhaltungsmaßnahmen ein zusätzlicher Aufwand in Höhe von 2,5 bis 5 Millionen Euro an der Brücke entstehen.

Akribisch sind alle Mängel aufgelistet. Dies hat die Landesstraßenbaubehörde zuletzt im Jahr 2014 ebenso gemacht und hat ein wesentlich besseres Ergebnis bekommen als zwei Jahre später die Stadt. Zwischen 2014 und 2016 muss die alte Elbbrücke also ziemlich gelitten haben.

Zur Wahrung ihrer Interessen hat die Stadt Schönebeck nun mit Ratsbeschluss eine Kanzlei beauftragt. Diese hat mit mehr als 20 Anwälten in der Bundeshauptstadt dort ihre zweitgrößte Sozietät. Tätigkeitsschwerpunkte sind unter anderem Verwaltungs- und Verfassungsrecht.

Ziel ist zunächst, mit dem Landesbauministerium eine außergerichtliche Einigung zu erreichen. Sollte dies in der Frist bis zum Jahresende nicht gelingen, will die Stadt gerichtliche Schritte einleiten. Doch allein der Fakt, dass die Stadt sich bereits jetzt auf einen Prozess vorbereitet, dürfte das Land als Nötigung empfinden. Sowohl Stadtverwaltung als auch das Ministerium wollten auf Anfragen der Volksstimme keine Stellungnahme zu dem Vorgang abgeben.

Um den Schaden auf der Thälmann-Brücke zu begrenzen, wäre ein erster Schritt eine Tonnagebegrenzung, dass wenigstens Laster die Umgehungsstraße nutzen. Sollte der Fall vor Gericht landen, könnte das auch eine Frage des Richters an die Stadt sein: Warum hat die eigentlich seit der Umwidmung noch keine entsprechenden Schilder aufgestellt?