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Geschichte Außergewöhnlicher Schönebecker

Das Heimaträtsel brachte die Volksstimme bei der Recherche bis in die USA. In dem gezeigten Haus lebte früher unter anderem Wolfgang Happ.

Von Olaf Koch 05.11.2016, 02:07

Bad Salzelmen l Es sind manchmal die Geschichten hinter den Geschichten. So wie in diesem Fall: Am Telefon der Volksstimme meldete sich in dieser Woche auch Renate Häntschel (geb. Menzel). Sie berichtete, dass sie genau weiß, wo das Haus steht – nämlich in der Tolbergstraße Ecke Parkstraße. „Ich habe dort 55 Jahre gewohnt“, so die Leserin.

Was sie dann erzählte, ließ den Redakteur am Ende des Telefons hellhörig werden. Der Vater von Renate Häntschel kaufte nämlich der jüdischen Familie Happ das Haus kurz vor der Machtübernahme Hitlers ab. Die Happs spürten, dass die Zeit – gelinde gesagt – unruhig werden würde.

Recherchen haben ergeben, dass Rechtsanwalt Dr. Martin Happ und seine Ehefrau Sophie deportiert und im Konzentrationslager Auschwitz ermordet wurden. Ihre Kinder, Wera und Wolfgang Happ, brachten sie zuvor nach England in Sicherheit. Dort starb Wera Happ an Krebs. Ihr Bruder Wolfgang aber legte später eine Karriere in den Vereinigen Staaten hin wie wohl kaum ein anderer Schönebecker.

Der Sohn des jüdischen Rechtsanwaltes diente von 1941 bis zum Kriegsende in der US-Armee und begann ein Studium der Physik und der technischen Wissenschaften. Wie aus dem „Magdeburger Biografischen Lexikon“ hervorgeht, studierte Wolfgang Happ an der Harvard-Universität (1945 bis 1947), der Bosten-Universität in Massachusetts (1947 bis 49) und absolvierte ergänzende Studien.

Im Jahr 1953 wurde der Schönebecker alleiniger Inhaber eines US-Patents für ein Hochleistungstransistor-Radio. „Von 1954 bis 1958 arbeitete er unter Leitung von William B. Shockley, der im Jahr 1956 den Physik-Nobelpreis bekam und als Erfinder des Transistors gilt, an der Entwicklung neuer elektronischer Bauteile“, schreiben der inzwischen verstorbene Historiker Günter Kuntze und Britta Meldau vom Schönebecker Stadtarchiv.

Schon das ist für den Schönebecker Wolfgang Happ bemerkenswert, der als Kind die Schule in der Elbestadt besuchte. Doch das Patent war nur der Anfang einer steilen Karriere: Anschließend war Happ bis 1962 als Direktor eines Unternehmens Lockheed-Raketentechnik tätig. Auf dem Weg ins Weltall und zum Mond suchten die Amerikaner fähige Köpfe und stießen auf den Schönebecker Wolfgang Happ: Er wechselte zur National Aeronautics and Space Administration (NASA), der US-Raumfahrtbehörde, und leitete danach als einer der Direktoren innerhalb der NASA mehrere Projekte auf dem Gebiet der elektronischen Forschung.

Sein wissenschaftlicher Wirkungskreis umfasste den gesamten amerikanischen Kontinent, und so wurde er nach Aussagen von Quellen von Günter Kuntze und Britta Meldau als erster amerikanischer Staatsbürger im Jahr 1978 als offizielles Mitglied in die Nationale Akademie für Technische Wissenschaften in Mexiko gewählt.

Wolfgang Happ lehrte im Zeitraum von 1962 bis 1985 an verschiedenen amerikanischen Universitäten und setzte schließlich seine berufliche Arbeit im US-Verteidigungsministerium (Sitz ist bis heute das Pentagon in der US-Hauptstadt Washington D.C.) fort.

Die Nationale Akademie für das Ingenieur-Wesen nahm ihn als Mitglied auf. In der Fachliteratur behandelte Wolfgang Happ kontinuierlich Kernfragen aus seinen Fachgebieten. Er verfasste rund 200 wissenschaftliche Publikationen, die in den USA, Lateinamerika, Westeuropa und im ehemaligen sowjetischen Machtbereich veröffentlicht wurden.

Im Jahre 1993, nach dem Ende des Kalten Krieges, ging für Wolfgang Happ in langgehegter Traum in Erfüllung: Er reiste mit seiner Ehefrau Yvonne in seine Heimatstadt Schönebeck. Die Volksstimme nahm diesen außergewöhnlichen Termin eines wirklich außergewöhnlichen Menschens damals im Oktober 1993 wahr und berichtete darüber. Auf die Frage des Reporters nach seiner genauen Tätigkeit, gab der Forscher und Militär nicht all zu viel preis: „Oh ich tue nicht viel Schaden anrichten“, war seine Antwort.

Über Renate Häntschel, die dort im Haus an der Tolbergstraße 55 Jahre lang wohnte, schloss sich der Kreis später: Sie ermöglichte es Wolfgang Happ, dessen ehemaliges Kinderzimmer zu besichtigen.

Am Heimaträtsel haben in dieser Woche teilgenommen: Roland Wenzel, Christa Vredenburg, Henry Köppel, Wolfgang Stäker, Brigitte Kathke, Jürgen A. Schulz, Hannelore Berzbach, Mike Gulaz, Christel Altwasser, Lisbeth Manke, Harald Bahr von Ehrenberg, Gerhard Waldt, Familie Zimmermann sowie Helga und Simone Held.

Es gewinnt Renate Häntschel. Sie kann sich in der Redaktion ein kleines Präsent abholen.