1. Startseite
  2. >
  3. Lokal
  4. >
  5. Nachrichten Schönebeck
  6. >
  7. Roman spielt auch in Barby

Geschichte Roman spielt auch in Barby

Vor wenigen Monaten erschien der Roman „Geht zurück nach Adenauer“ des Wahl-Berliner Autors Adolf Günter Bock.

Von Thomas Linßner 10.08.2016, 16:12

Barby l „Alle Aufgerufenen sollten sich fertig machen, in Kürze würde ein Bus vorfahren. Der brächte uns dann in ein Aufnahmeheim und zwar nach Barby, einer Stadt an der Elbe …“ Dieses Zitat stammt aus der Roman-Mitte, als die fünfköpfige Familie aus Wuppertal (BRD) Stunden der Ungewissheit auf dem Grenzübergangspunkt Marienborn (DDR) durchlebt.

Gab es bisher zahllose Veröffentlichungen über Menschen, die vor 1989 von Ost nach West gingen, ist es in Adolf Günter Bocks 419-Seiten-Roman umgekehrt. Seine Familie siedelte Ende der 60er Jahre in die DDR über.

In der ersten Hälfte des Buches wird die Kindheit im rheinisch-bergischen Milieu der 50er und 60er Jahre beschrieben. Dabei wird für Leser mit DDR-Biografie deutlich, wie schwer es auch Menschen im „gelobten Westen“ hatten. Hier spielten nicht nur Geldsorgen eine Rolle, sondern lastete eine verkrustete Intoleranz auf großen Teilen der Nachkriegsgeneration.

Weil die Eltern von Volker Krack - so nennt sich der Autor als Hauptfigur des Romans - nicht mit Geld umgehen können, bleibt der wirtschaftliche Bankrott nicht aus. Um aus der Misere herauszukommen, stellen die Eltern ihre drei Kinder vor vollendete Tatsachen: Wir siedeln in die DDR über. Der Vater ist ein selbstsüchtiger Tyrann, der auch vor Gewalt nicht zurück schreckt, die Mutter ist ihm hörig.

Schon die erste Begegnung mit dem real existierenden Sozialismus lässt den jungen Protagonisten des Buches ahnen, was auf ihn zukommen wird. In Marienborn lässt man die „Flüchtlinge“ ewig warten und verhört sie mehrmals.

Adolf Günter Bock erweist sich als sehr guter Beobachter und Erinnerer: „Der Bus, auf dem ‚Robur‘ stand, war zur einen Hälfte feuerrot und zur anderen weiß, und vorne, an der Windschutzscheibe, hatte er ein gelbliches Sonnenschild.“ Über Magdeburg und Schönebeck erreichten die BRD-Bürger Barby. „Als der Bus über den Marktplatz fuhr, vorbei an der Kirche, beruhigte mich dieser Anblick einer gut erhaltenen Kleinstadt“, heißt es. Kurz darauf wird das Schloss beschrieben, dessen Umfassungsmauer mit einen Bretterzaun erhöht war.

Hier wird die Familie die nächsten Wochen in politischer Quarantäne bleiben, bis geklärt ist, ob sie nicht etwa West-Spione sind. Es folgen zahllose Verhöre. Die Vernehmer sind Kriminalisten, die im Auftrag der Staatssicherheit arbeiten. Die Westdeutschen müssen sich aber noch weiteren unangenehmen Prozeduren hingeben. Das Gepäck wird desinfiziert, die Ankömmlinge nach Läusen abgesucht. Darüber hinaus herrscht ein rüder Ton im Aufnahmeheim.

Besonders für Barbyer Leser ist die detailreiche Innenbeschreibung des Schlosses interessant, das ja für die Öffentlichkeit absolut tabu war (und heute noch ist). Man liest vom Spielplatz mit Kletterpilz, der HO-Verkaufsstelle für Waren des täglichen Bedarfs, dem Küchentrakt mit Speisesaal oder einem Fernsehraum, in dem auch Kino stattfindet. Um sieben Uhr morgens wird per Lautsprecher geweckt, halb acht Frühstück, Nachtruhe 22 Uhr. Für das Reinigen der Zimmer müssen die Bewohner sorgen, einmal in der Woche steht Wischen und Bohnern auf dem Plan. Für die ordnungsgemäße Durchführung gibt es ein Punktesystem - die beste Familie darf mit einer kleinen Prämie rechnen.

Zitat: „Außer meinem Vater, der nach einigen Wochen fleißiger Arbeit als Gärtner und bei den Eisenbiegern des Öfteren das Objekt verließ - einmal war er sogar bis nach Schönebeck gekommen - durfte niemand vom Gelände.“ Ausnahmen wurden bei den Kindern gemacht. Bock schreibt von zwei Betreuerinnen, die mit den Kindern in Barby Eisessen gingen. „Die Einwohner von Barby, die mit Netzen und altertümlichen Einkaufstaschen unseren Weg kreuzten, sahen unserem bunten Kinderpulk neugierig nach.“

Der Roman „Geht zurück nach Adenauer“ beschreibt mit Zeit- und Lokalkolorit die Stationen einer zunehmenden Entwurzelung und Heimatlosigkeit. Dabei bietet die innere Dramatik eines anfänglichen Behütetseins des Erzählers innerhalb einer rheinischen Großfamilie und der immer tiefere Verlust an Geborgenheit einen Spannungsbogen: Immer neue, ruppige Lebenswendungen werden durchlebt, die der Vater des Erzählers, ein Charakter mit fast dostojewskischen Zügen - unbeherrscht, selbstsüchtig, brutal - inszeniert, die dann letztlich zu einer enormen Orientierungslosigkeit führen.

Was für den Vater als fundamentaler Neuanfang gedacht ist, erlebt der Rest der Familie als eine Entwurzelung größten Stils, bei der jeder auf seine Weise versuchen muss, wieder festen Boden unter die Füße zu bekommen. Am Ende gelingt das mehr oder weniger im Mansfelder Land.

Der Roman erschien im NOEL-Verlag. Er kostet 18,90 Euro. ISBN-13:978-3-95493-087-6

Am Sonnabend, 13. August, ist Adolf Günter Bock im MDR-Kultur-Radio zu Gast, wo es um den Autor und den Roman gehen wird. („MDR Kultur trifft“, 11 bis 12 Uhr)