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Heimatgeschichte Alte Schleusenbrücke rettete Leben

Ernst Wolter aus Gottesgnaden hat ganz spezielle Erinnerungen an die Schleusenbrücke in Calbe.

Von Susann Salzmann 27.01.2018, 06:00

Calbe l Seine Feststellung äußert er trocken und nachdenklich: Die alte Schleusenbrücke habe ihm wohl das Leben gerettet, indem sie die rettende Flucht in Richtung Schwarz ermöglichte. Heute wohnt Ernst Wolter im Calbenser Ortsteil Schwarz. Aufgewachsen ist der heute 86-Jährige in Gottesgnaden.

Vor genau 80 Jahren eingeschult, hat er das Entstehen der Schleuse Gottesgnaden/Calbe inklusive des Baus der Brücke miterlebt. In den Jahren von 1939 bis 1941 wurde die Schleuse Calbe zur Umfahrung der Stromschnellen im Lauf der Saale gebaut. Damit wurde die Erreichbarkeit der Ortslage Gottesgnaden abgesichert.

Wolter erinnert sich an den 8. April 1945, als wäre das Geschehene erst gestern passiert. „Die Brücke sollte mal gesprengt werden“, erzählt der Senior. Weshalb es nicht dazu gekommen ist, kann er nicht mehr benennen. Da in den letzten Tagen des Nazi-Reiches laut Führerbefehl der Feind durch die Zerstörung möglichst vieler Schienen, Verkehrsmittel und Brücken am Vorrücken gehindert werden sollte, ist auch ein Befehl der regionalen Militärbehörden über die Zerstörung der Schleusenbrücke denkbar, heißt es von Heimathistoriker Dieter Steinmetz. Meist kam es dazu nicht mehr, weil die Alliierten schneller waren, sich die Behörden in Auflösung befanden und sich viele deutsche Soldaten trotz der drohenden Todesstrafe schon auf der Flucht befanden. „Chaos überall. Das rettete so manche Brücke“, resümiert Steinmetz.

Geknallt hat es aber: Die Spuren eines „Einschlages“ sind noch heute an der alten Schleusenbrücke erhalten. Sie stammen von Handgranaten. „Von den Nazis wurden mehrere Granaten dort angebunden, aber die Explosion hat ihr nicht viel ausgemacht“, kommentiert Ernst Wolter das Bild vom abgeplatzten und zum Teil gerissenen Beton an der Seite des Bauwerkes. Das war gut so, setzt er fort, denn auf der Calbenser Seite hatten vor allem amerikanische Soldaten Stellung bezogen. Unter dem anfänglichen Alliierten-Beschuss brannte ein Haus aus. „Die weiße Flagge wurde danach gehisst“, erklärt der Ruheständler. Plötzlich änderte sich alles: Eine deutsche Truppe der Wehrmacht mit rund zehn Armeeangehörigen bahnte sich von Rosenburg und Trabitz ihren Weg nach Gottesgnaden. Besetzt von den Deutschen, musste ein Gefangener die bereits wehende weiße Flagge herunternehmen. „Und dann“, holt Wolter Luft, „dann ging der Beschuss mit Panzergeschützen der Amerikaner erst richtig los.“ In dessen Folge sei das Gottesgnadener Gut getroffen worden und hernach ausgebrannt.

Zu diesem Zeitpunkt befand sich Ernst Wolter im Luftschutzbunker - und der lag unter dem Gut. Überall brannte es, erinnert sich der Mann aus Schwarz. Die Folge: Die Schutzsuchenden mussten die Räumlichkeit verlassen. „Dann haben wir die Brücke genutzt, um schnell ins Feld auf die Schwarzer Seite zu laufen“, erzählt er. In diesem Moment war die weitgehende Unversehrtheit der Schleusenbrücke lebensnotwendig und -rettend. Sicherheit bot ein Strohdiemen. Wolter denkt zurück an die regelrecht ins Stroh eingearbeiteten Höhlen, welche die Menschen zum Überleben bauten. Auch Wolter mit seiner Mutter und den sieben Geschwistern fand dort Schutz.

„Aber wir wurden entdeckt“, fährt er fort. Von einem permanent über dem Gebiet kreisenden Doppeldecker der Amerikaner. Via Fallschirm wurde vom Flugzeug aus ein Kuvert zu den Menschen in dem Strohdiemen heruntergelassen. Darauf stand: Ruhig verhalten und Armeeangehörige ausliefern. Fünf Tage lang - es könnten aber auch sechs gewesen sein - wurde der Strohhaufen zu einer Notunterkunft. Dann ging es wieder nach Hause. „Auf dem Damm lagen viele Tote und in unserem Haus hatte es sich eine sechsköpfige Truppe von Amerikanern bequem gemacht“, erzählt Ernst Wolter.

Für die Familie ein günstiger Zufall, denn die Alliierten ließen Kinder und Eltern von ihren Nahrungsvorräten zehren. Die amerikanische Truppe schlief mit im Haus. So ging es zehn Tage lang. Solange war der ausländische Besuch zu Gast im Hause Wolter.

Ansonsten war die Brücke als Treffpunkt für Jung wie Alt beliebt. Auch für Pärchen. Vor allem zum „Schiffeschauen“. Nach Ende des Zweiten Weltkrieges beobachtete er von dieser zahlreiche Schiffe, vor allem die durchziehenden Fracht- und Güterschiffe.