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Heimatgeschichte Lebensabend eines Aktionärs in Klosterzelle

Einen Nachtrag zum Volksstimme-Heimaträtsel in der vergangenen Woche hat Egon Schnürpel zu machen.

Von Andreas Pinkert 29.04.2017, 01:01

Calbe l Egon Schnürpel wohnt seit langem in einem Brandenburger Städtchen südlich von Potsdam. Dennoch hält der gebürtige Calbenser so gut es geht den Kontakt zu seiner Heimatstadt aufrecht. Seine Schwester Regina wohnt in der Saalestadt und „versorgt“ ihn regelmäßig mit Zeitungsartikeln. „Nicht wenig erstaunt und mit großen Freuden“ habe Egon Schnürpel das Heimaträtsel verfolgt. Erinnerungen wurden wach gerufen und als einstiger Redakteur der Volksstimme in Schönebeck setzte er sich daran, sie aufzuschreiben. Demnach handelte es sich bei der alten Darre keineswegs um ein kleines Häuschen. Dort wohnten einst mehrere Familien und 1933 erblickte Egon Schnürpel dort das Licht der Welt.

„Die Darre gehörte seit den 1920er bis in die 1930er/1940er Jahre meinem Großvater Otto Schnürpel“, sagt der Enkel heute. Bereits in den Goldenen Zwanzigern habe sich sein Großvater ein Denkmal gesetzt, als er in der Großen Deichstraße – auf der rechten Seite aus Richtung Schloßstraße kommend – ein schmuckes Mehrfamilienhaus erbaute, das auch heute noch bewohnt ist. Otto Schnürpel agierte zudem als Mitaktionär eines Calbenser Maschinenbaubetriebs mit Gießerei. Mit der verheerenden Weltwirtschaftskrise kam für den Betrieb das Aus und für seinen Großvater der wirtschaftliche Ruin. Daraufhin verkaufte er das Wohnhaus und erwarb die Darre, „wohl in dem Glauben, die größere Anzahl an Mietern dort würde auch größere Mieteinnahmen generieren und seine finanzielle Lage aufbessern“, sagt Egon Schnürpel. Ein Fehler, wie sich später zeigen sollte, denn in Zeiten hoher Arbeitslosigkeit waren auch Mieter wenig zahlungskräftig. Darunter waren auch die Eltern von Egon Schnürpel, die Mitte der 1930er Jahre schließlich mit anderen ins Vorwerk Grizehne in Calbe/Ost zogen. Neues Zuhause wurde ein Gebäude der ehemaligen Domäne, die im Volksmund „Schnitterkaserne“ genannt wurde, da dort bis zum Erstarken des Nationalsozialismus hauptsächlich polnische Schnitter lebten, die im Sommer das reife Getreide per Hand mit der Sense mähten. In diesem Haus verbrachte Egon Schnürpel mit der 1937 geborenen Schwester Kindheit und Jugend.

1952 musste es wie der benachbarte Schlachthof dem Aufbau des Niederschachtofenwerks weichen. In diesem weltweit einmaligen Industriebetrieb fand er später Arbeit. Seine Großeltern zogen hingegen in eine sehr bescheidene Unterkunft in der Magdeburger Straße um, wo sie eine kleine Feldwirtschaft, einen Garten und eine Stallung hatten, mit der sie sich finanziell über Wasser halten konnten. Nach dem Tod seiner Großmutter wurde der Großvater von seiner ältesten Tochter und Schwiegersohn, die einen Kolonialwarenladen betrieben, nach Bernburg geholt, wo er sich wenig später im ehemaligen Kloster in einer winzigen Mönchszelle bis zum Lebensende einquartierte. Sein Sohn kehrte erst nach dem Tod des Vaters 1948 aus der Kriegsgefangenschaft zurück und starb zehn Jahre später. Lediglich eine kostbare Spieluhr, die Egon Schnürpel mit elf Jahren erhielt, erinnert noch heute an die gutbürgerlichen Zeiten im Leben des Otto Schnürpel.