Hobby Der Laden für Sammler

In der Volksstimme-Serie „Ich sammle ja so gerne ...“ geht es um Menschen aus der Region Schönebeck, die einer Sammelleidenschaft frönen.

Von Massimo Rogacki 21.07.2016, 16:41

Calbe l „Nach der Wende dachte ich für kurze Zeit, ich könnte damit reich werden“, sagt Helmut Kieschnik. Der 63-Jährige steht inmitten des großen Verkaufsraumes des A&V-Sammlermarkts in Calbe. Hunderte Bierdeckel an den Wänden, Mosaik-Comics in Regalen, die bis unter die Decke reichen. Dazu Eisenbahnzubehör, Abzeichen, Kronkorken, Kofferradios, Münzen, Biergläser, Playstation-Spiele, Zollstöcke, Überraschungsei-Figuren und Briefmarken. Es riecht angenehm, nach Papier, nach einer vergangenen Zeit. „In den Nachwendejahren lief es richtig gut“, sagt Kieschnik, der das Geschäft 2009 aus gesundheitlichen Gründen an seinen Sohn Karsten überschrieben hat. „In der DDR gab es ja wenig, da fing nach der Maueröffnung plötzlich jeder an, etwas zu sammeln.“

Bis zum heutigen Tag steht er ab und zu hinter der Ladentheke. Doch ohne die Firma „Glas- und Gebäudereinigung Calbe“, die ebenfalls sein Sohn übernommen hat, könnte das Geschäft nicht überleben. „Die Zeiten haben sich geändert“, sagt Kieschnik senior. Seine große Leidenschaft ist bis heute das Verwalten des unermesslichen Bestandes an allem, was sich irgendwie sammeln lässt.

Durch Zufall kam ihm die Idee, Sammlungen verschiedenster Art in einem Geschäft zusammenzutragen. „Mein Sohn hat sich Ü-Ei-Figuren zusammengekauft. Da habe ich mitbekommen, zu welchen Preisen die teilweise gehandelt werden“, erinnert sich Kieschnik. Ein Schlumpf mit einer Laterne in der Hand konnte Liebhabern schon mal einen vierstelligen DM-Betrag wert sein. Der gelernte Maler war Feuer und Flamme, verschaffte sich über Zeitschriften wie „Der heiße Draht“ und „Such und Find“ einen Überblick. Um dann in großem Stile Sammlungen jedweder Couleur zu erwerben. „Ich habe fast alles gekauft. Teilweise auch etwas kopflos“ gibt der Calbenser heute zu. Als sich die Pakete in seinen vier Wänden bereits bis unter die Decke stapelten, war es Kieschniks Frau, die ihm ein Ultimatum setzte. „Sie hat gesagt, entweder kommen die Sammlungen weg oder es passiert was.“

Und es passierte etwas. Kieschnik fand einen Laden. Seit fast genau 15 Jahren präsentieren die Kieschniks ihre Waren in einer ehemaligen Kaufhalle an der Nienburger Straße. „Ich habe dort selbst früher noch eingekauft. Das ich hier mal arbeiten würde, hätte ich nie und nimmer gedacht“, sagt der 63-Jährige lachend. 2001 hatte er den leerstehenden Flachbau von der Treuhand gekauft. Marode und von einem Brand gezeichnet. Die Fenster waren eingeschlagen, Heizungen funktionierten nicht mehr. Mit der Unterstützung von Freunden stemmte Kieschnik den Kraftakt von Renovierung und Einrichtung. Er war zur Stelle, als bei der Aufgabe eines Juweliers in Magdeburg Vitrinen zum Verkauf standen. „Für einen Appel und ein Ei gekauft. Ziemlich edel. Mit Füßen aus italienischem Marmor“, sagt der Calbenser.

Das Geschäft lief in den ersten Jahren gut, aus ganz Deutschland kamen Kunden zu Kieschnik. Komplette Sammlungen kaufte und verkaufte er. Darunter Kurioses: 1400 Zollstöcke kaufte er in Güsten auf, 500 Radios holte er in mehreren Fuhren in Zerbst ab. Eines Tages stand ein Mann bei ihm auf der Schwelle. Kofferweise Kondome bot ihm dieser an. Kieschnik lehnte ab. In einer Ecke seines Geschäftes hortet er individuell verpackte Zuckerstückchen aus verschiedenen Jahrzehnten. Einen Abnehmer dafür zu finden, werde schwierig, so Kieschnik. Ans Wegwerfen ist trotzdem nicht zu denken. Das merkt man an der Art, wie der 63-Jährige die einzeln verpackten Würfel versonnen taxiert.

Nach einem Boom Anfang der 1990er sei der Sammelwahn dann nach und nach abgeebbt. „Reich werden konnte man nicht mehr“, sagt Kieschnik. Was mit dem Laden wird, wenn er einmal nicht mehr dort sein kann, der Calbenser weiß es nicht. Er überlasse es seinem Sohn, wie es in zwei, drei oder fünf Jahren weitergeht. Hoffnung gibt Kieschnik die Mentalität vieler Sammler, die „nie fertig werden wollen“. Vielleicht komme der Tag, an dem das Sammeln von Brauerei-Trucks oder Nähmaschinen wieder einen Aufschwung erlebt.

Im alltäglichen Betrieb ist ihm heute der Kontakt zu seinen Stammkunden am wichtigsten.

Dass bei anderen Kunden das Geld nicht mehr so locker sitzt, merkt man am Monatsende. Dann kommen viele und wollen etwas verkaufen, um über die Runden zu kommen. „Wir sind aber keine Pfandleiher“ sagt der 63-Jährige.

Und was wird heute noch gesammelt? Bei Kieschnik gehen Playstation-Spiele im Moment ganz gut. „Und Schallplatten kommen wieder“, so sein Eindruck. Auch in Zukunft, so der Calbenser, sei davon auszugehen, dass die Menschen immer etwas sammeln werden. „Das gibt ihnen Halt“, sagt Kieschnik. Der ehemalige Chef des Sammlerladens lächelt zufrieden, er ist der beste Beweis für diese These.

 

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