Hochwasser Barby Dramatik vor 15 Jahren

Auf den Tag 15 Jahre ist es her, dass die erste „Jahrhundertflut“ besonders die Elbanrainer in Angst und Schrecken versetzte.

Von Thomas Linßner 17.08.2017, 01:01

Barby l In und bei Barby sind über 3000 Helfer im Einsatz, um die Deiche zu retten. Die Menschen reisen sogar aus mehreren Bundesländern an, nachdem sie die Bitte um Hilfe im Radio gehört hatten. In Breitenhagen stehen 190.000 Sandsäcke bereit. Die Bundeswehr hilft. Der aus Breitenhagen stammende Leutnant Tino Grötschel schreibt in sein Tagebuch: „Die Präsenz des Militärs hat eine positive psychologische Wirkung auf die Zivilbevölkerung.“

Einige hundert Menschen sind kurz vor Mitternacht dabei, den Deichfuß von Barbys Rosenburger Damm mit tausenden Sandsäcken zu beschweren. Der Grund: stellenweise austretendes Sickerwasser. Zwischen dem Breiten Tor und dem Fahrtweg schleppen und buckeln sie schwere Sandsäcke. Der Einsatz wird von THW-Verbänden geleitet, die schon bei der Oderflut Erfahrungen sammelten. Plötzlich werden die Leute lautstark durch Hans Pohlenz – er ist Bereichsleiter im Amt für Hochwasserschutz – aufgefordert, die Arbeiten einzustellen. Der Mann teilt kurz mit, dass das Packen der Säcke mehr Schaden anrichtet als Nutzen. Die Helfer sind sprachlos und frustriert. Keiner versteht, was los ist. Kurz darauf rückt die Bundeswehr an, weil angeblich in Richtung „Eschen“ der Deich zu brechen droht.

Sofort macht wieder ein Gerücht die Runde, das man in Breitenhagen, Glinde oder Barby in den letzten drei Tagen oft hörte: Ihr jeweiliger Ort solle „geopfert“ werden, damit Schönebeck und Magdeburg nicht absaufen. Man kann es den Leuten nicht verdenken, die einen Tag lang an mehreren Stellen zwischen Cerestar und dem Rosenburger Damm geschuftet haben und nun alles für die Katz’ sein soll.

Ordentliche Informationen gibt es nicht. Die Stadt, die ja nicht Leiter des Katastropheneinsatzes ist, sondern sich mit logistischen und organisatorischen Dingen ‘rum quälen muss, kann auch keine befriedigende Auskunft geben. Ein Dutzend Helfer dringt wutentbrannt bis zu VG-Leiterin Ines Schlegelmilch vor. Es ist 0.45 Uhr. Die Anspannung der vergangenen Tage und der Zorn der Bürger zerren an ihren Nerven, dass sie beinahe in Tränen ausbricht.

Auf dem Rosenburger Damm ist erneut Bewegung. Die Säcke werden von den Helfern wieder aufgenommen und abtransportiert. Zwei Reporter der Volksstimme, die mit dem Paddelboot die Szene von der Elbseite aus fotografieren, werden für Katastrophentouristen gehalten und übel beschimpft. Auch die Nerven der Freiwilligen liegen blank.

Die täglich im Rathaus einberufene Katastrophenrunde wird zum ersten Mal fachlich informiert. Christian Jung, Leiter Amt für Hochwasserschutz Schönebeck: „Was bei Oderdeichen richtig war, ist bei unseren Deichen falsch und schädlich.“ Während in Brandenburg zum Deichbau vorwiegend Sand benutzt wurde, sind es hier schwere und lehmige Böden. Mit dem zu hohen Stapeln von Sandsäcken wird die Sickerlinie immer höher verlagert, was zur Folge hat, dass der Damm wie Pudding wird. Klares Sickerwasser ist normal, nur wenn es trübe wird, ist der Deich in Bewegung, Wasser und Erdreich machen ihn immer schwerer und er „rutscht ab“. Fazit: Die am Sonnabend von rund 3000 Freiwilligen gestapelten Säcke werden wieder abgetragen.

Rekapituliert man die Geschichte, stellt sie sich wie folgt dar: Das an der Oder erprobte THW handelte - in Ermangelung fachlicher Hinweise des Kreiskatastrophenstabes – nach eigener Erfahrung, als es Anweisungen gab. Bei der Beratung wird deswegen die Kreiskatastrophenstelle wegen offensichtlicher Fehlkoordination harsch kritisiert. Christian Jung weist aber auch darauf hin, dass die Kommunen schon lange per Gesetz verpflichtet sind, eine Wasserwehr zu bilden …

Die Flutwelle mit einem Scheitel von 7,01 Metern am Pegel Barby erreicht unser Gebiet in der Nacht vom 18. zum 19. August. Durch das steigende Drängewasser laufen die Hausabwässer und Fäkalien nicht mehr überall ab. Zuvor wurde mit tausenden Sandsäcken die Stadtmauer gesichert. Der Wasserstand auf der Elbseite ist dort höher als das dahinter liegende Gelände. Durch den Druck könnte sie umstürzen. Von außen recht ansehnlich, ist sie auf der Stadt zugewandten Seite zum Teil marode.

Sanierungsforderungen wurden von Jahr zu Jahr immer wieder wegen Geldmangel verschoben. Nach Auskunft von Bürgermeister Jens Strube soll sie aber „im kommenden Jahr gemacht werden.“ Das Kind musste erst in den Brunnen fallen …

Die Barbyer Stadtmauer wurde mit einem Millionenaufwand saniert. 2013 kam erneut ein Hochwasser, das die Menschen „zweite Jahrhundertflut“ nannten. Die Behebung der Schäden hält heute, 2017, immer noch an.