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KammerphilharmonieGeschichte voller Geschichten

Seit 70 Jahren gibt es die Mitteldeutsche Kammerphilharmonie im Salzlandkreis. Orchestermitglieder erzählen die lustigsten Anekdoten.

Von Emily Engels 16.11.2018, 00:01

Schönebeck l Alexandru Apolzan spielt seit 1981 bei der Mitteldeutschen Kammerphilharmonie. Mit einem Schmunzeln im Gesicht erinnert er sich an seine Anfänge in Schönebeck zurück. „Was bist du?“, wurde der Violinist damals gefragt. „Ich bin Musiker“, so die einfache und ehrliche Antwort des mittlerweile dienstältesten Orchestermitgliedes.

Die Gegenfrage ließ jedoch nicht lange auf sich warten: „Hast du denn nichts gelernt?“ Solche Fragen sind noch heute nicht selten – und sie zeigen, dass viele nicht wussten oder noch immer nicht wissen, wie anspruchsvoll die langjährige Ausbildung und ein Studium sind, um überhaupt in einem Orchester spielen zu können.

Über diese zum teils amüsanten Anekdoten, über das Musikerleben zwischen Proben, (außergewöhnlichen) Konzerten oder Gastspielreisen berichteten Susanne Reichel-Visontay, Olaf Bartels und Alexandru Apolzan mit dem Pressesprecher der Kammerphilharmonie Mike Schmidt.

Ein Bus, der spiele bei den Gastspielreisen immer eine Rolle. So gab es, mit Ausnahme der Tournee in Portugal 2016, fast immer eine Panne, oder sogar 2015 einen Überfall in den Niederlanden. Nach den Auftritten in Garbsen, Den Haag, Ede und Brüssel hatten die Musiker ein Nachmittagskonzert in Amsterdam. Lediglich der Busfahrer war vor Ort, als fünf unbekannte Männer in den Bus stürmen und unter anderem ein Laptop, ein iPad und Taschen der Musiker mitnahmen.

Das Musikertrio erinnert sich noch an einen weiteren Vorfall: Auf der Fahrt in die damalige Tschechoslowakei, auf Kuba oder Litauen – immer hieß es: Bus defekt. In der litauischen Stadt Trakai, so erinnert sich Bartels, mussten wir den Bus sogar anschieben.

Auf der Fahrt in die Schönebecker Partnerstadt Pardubice (damals Tschechoslowakei) im Jahre 1981 mit zwei vollbesetzten Bussen gab es neben einer Panne noch eine weitere Begebenheit, die sich bei Alexandru Apolzan eingebrannt hat. „Wir sollten in Bungalows untergebracht werden. Das im November, ohne Heizung. Wir haben uns geweigert und konnten später ein Parteiobjekt beziehen“. „Wir haben schon verrückte Sachen erlebt“, meint Schlagzeuger Olaf Bartels.

Tournee-Erlebnisse gibt es viele, so auch die nach Südafrika, als eine Krankheit ausbrach. Violinistin Susanne Reichel-Visontay erinnert sich: „Ein Teil der Musiker hatte sich vermutlich durch ein Virus im Flugzeug infiziert. Mit einem Bus wurden die Orchestermitglieder dann zum Arzt in der Deutschen Botschaft gebracht.“ Eine andere Geschichte spielt auf Kuba, als plötzlich ein Castro in der Tür stand. Es war allerdings nicht Fidel, wie anfangs gedacht, sondern sein Bruder Raúl.

Eines stellte das Trio jedoch klar: „Die Landräte waren immer auf unserer Seite“. Namentlich genannt wurden von den drei langjährigen Kammerphilharmonie-Musikern Klaus Jeziorsky, Ulrich Gerstner, Erik Hunker und Markus Bauer.

Doch auch die Unterstützer und Fürsprecher für das Orchester aus der Bevölkerung blieben nicht aus. Olaf Bartels spielt dabei auf einen bis heute anonymen Freund des Klangkörpers an, der damals ein Fax an die damalige Rechtsamtsleiter gesendet hatte. Inhalt: In einer nicht-öffentlichen Kreistagssitzung im Museum stand die Abwicklung des Orchester auf der Tagesordnung.

Der Orchestervorstand machte daraufhin vor Ort „Krach“. Der entsprechende Vertrag wurde zum Glück nicht unterzeichnet, berichtet der Musiker heute lächelnd. Im Laufe der Jahre hat sich natürlich auch die Qualität des Protestes gewandelt, verdeutlicht Susanne Reichel-Visontay. „Die Verhandlungen verlaufen auf Augenhöhe.“ Geschichten gibt es, wen wundert es, auch „vom Berg“, der seit 1997 Schauplatz des Schönebecker Operettensommers ist.

So wie vom sechsten Schönebecker Operettensommer 2002, bei dem sich das Wasser den Weg aus allen Fugen in den Orchestergraben suchte. „Barfuß und im Schlamm sind wir zu den Autos gelangt“, erzählt Susanne Reichel-Visontay. Oder vom 22. Operettensommer, als über den Köpfen der Musiker im Orchestergraben Vögel brüteten. Und das ausgerechnet während der Aufführung von „Der Vogelhändler“.

Die ursprüngliche Idee für das beliebte Freiluftfestival hatte übrigens Musikdirektor Rolf Stadler, zusammen mit dem damaligen Geschäftsführer Thilo Hinkforth. „Doch das konnte von Stadler nicht mehr realisiert werden.“ Was vielleicht viele auch nicht wissen, ist die Tatsache, dass es die Musiker waren, die die Renovierung des heutigen Tolberg-Saals angeregt haben. Während der Zeit der Renovierung wurde dann zum Beispiel zwischen Traktoren bei Doppstadt geprobt.

Dirigenten kommen, Dirigenten gehen. Und jeder der Dirigenten hinterlässt in irgendeiner Form seinen „Dirigier-Abdruck“, erzählen die Musiker. So auch Musikdirektor Stefanos Tsialis, der damit angefangen hat, Dirigier-Assistenten einzusetzen. „Von denen sind alle etwas geworden“, stellt das Musikertrio klar und nennt dabei Namen wie Rustam Samedov oder Adrian Prabava. Letztgenannter hat das Orchester sogar ein halbes Jahr lang musikalisch geleitet.

Oder Musikdirektor Gerard Oskamp, der damit begonnen hat, Praktikaten im „Gesamtbild Orchester“ zu integrieren. „Das ist die beste Schule für junge Musiker. Das ist die Schule des Lebens. Und es ist eine Frischzellenkur für uns“, so Susanne Reichel-Visontay.

Abschiede sind nie einfach, auch nicht von Dirigenten. Susanne Reichel-Visontay, Alexandru Apolzan und Olaf Bartels plauderten abschließend noch mit Pressesprecher Mike Schmidt über Abschiedsgeschenke. Über einen liebevoll selbst hergerichteten Geigenkasten mit Uhr im Inneren, ausgeschmückt mit Samt und alten Notenblättern oder über einen nach unteren gewachsenen Kaktus. „Anschließend gab es aber noch von jedem Musiker ein Rose“, so Susanne Reichel-Visontay.

Ewig wird auch allen bei dem Gespräch anwesenden Zeitzeugen dieser Moment in Erinnerung bleiben, als ein Dirigent nach dem letzten Konzert seinen Stab zerbrochen hat. „Das ging mir sehr nahe“, so Alexandru Apolzan.