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Kanuten paddeln Wackere Eierfahrer

Freizeit-Kanuten sind Neujahr von Barby und Schönebeck nach Glinde gepaddelt.

Von Thomas Linßner 02.01.2018, 15:51

Glinde l Zu Beginn sei unseren jüngeren Lesern und denen, die keine Kreuzworträtsler sind, erklärt, warum man die vom Huhn gelegten Nahrungsmittel als „Schock“ bezeichnet: Schock ist eine alte Mengenangabe. Sie errechnet sich aus fünf Dutzend, eben 60 Stück.

Früher als sonst starteten die Dickboot-Männer gegen 8.45 Uhr an der Barbyer Fährstelle, um dank alter Tradition nach Glinde elbabwärts zu paddeln. Dabei ließen sie den Neujahrskater ganz entspannt hinter sich und keinen Stress aufkommen. Weil auch Hobby-Statistiker Dirk Trappe an Bord war, ermittelte der schnell mal das Gesamtgewicht von allen drei Bootsinhalten. Die 23 Paddler brachten zusammen 2107 Kilogramm auf die Waage und wiesen ein Alter zwischen 23 und 55 Jahren vor.

Bert Knoblauch hatte sich eine dicke Zigarre angesteckt, die - wie weiland bei Egon Olsen - in Glinde immer noch glimmte. Da zeigte die Uhr 10.08 und die drei Schönebecker Kajak-Fahrer Ralf Arndt, Markus Baudisch und Manfred Schübel waren schon eine Viertelstunde eher da. Sie mussten im Gegensatz zu den Barbyern stromaufwärts fahren, hatten dafür ein paar Kilometer weniger.

Der Respekt gebietendste Eierfahrer war Fritz Bertram aus Barby, der auf seinem aufgeblasenen „Kunststoffbrett“ die Enten erschreckte. Er hatte sein Vehikel allerdings nicht in Barby eingesetzt, sondern „ein paar hundert Meter vor Glinde“. Alles andere hätte mit diesem Mode-Sportmobil schon in Richtung Extremsport tendiert. „Alter schützt vor Torheit nicht!“, prustete Fritze Bertram (69) auf den letzten Metern, als er die eigenwilligen Strömungsverhältnisse eines überspülten Buhnenkopfes meisterte.

Motivierendes und finales Ziel war für alle Teilnehmer Glindes Wirtshaus Goldener Anker, wo es mit Eintreten der Paddelmänner so laut und lustig wurde, dass ein orientalischer Basar dagegen wie eine Klosterschule wirkt. Wochenend-Wirt Henrik Fabian musste von Null auf Hundert Bier zapfen und Würstchen wärmen. Kanute Berti Wegener unterstützte den Kneipensound mit seinem Messinghorn, das Jagdsignale schmetterte. Ob es sich dabei um „Begrüßung“, „Halali“, oder „Sau tot“ handelte, wusste keiner so richtig. Vermutlich bedeutete das Jagdsignal „Bier trinken“.

Diese schrägen Klänge ließen im Hinterkopf von Stand-up-Paddler Fritze Bertram Erinnerungen an die eigene musikalische Karriere aufgehen. „Anfang der 60er Jahre war ich bei Erwin Weber mal Tamburmajor.“ Gemeint war der Schüler-Spielmannszug der Polytechnischen Oberschule Barby, der von Lehrer Weber geleitet wurde. „In Wespen sind wir mal gefühlt 25 Mal um den Dorfteich marschiert, damit wir unser Repertoire schafften“, lachte Bertram. Heinrich Bernau ergänzte zu diesem Thema: „Damals hatten auch die Kanuten einen Spielmannszug, mit Walter Zehle an der Spitze.“ Heinrich Bernau gehört zu den Reaktivierern der Eierfahrten nach Glinde. Wie er sagt, sei man 2004 an einem Neujahrsmorgen zum ersten mal mit einem Dickboot nach Glinde gefahren.

Apropos, Historie: Henrik Fabians Urgroßvater Otto Fritze rief die Eierfahrten nach dem Ersten Weltkrieg ins Leben. Auch er war Wirt des „Goldenen Ankers“. Damals schuf die Eierprämie in ihrer Eigenschaft als begehrtes Lebensmittel besondere Anreize für die Kanuten. Weil man sich mit der Lichtmess in Glinde auf den nahenden Frühling freute, stellte das Ei als Fruchtbarkeitssymbol eine gute Ergänzung dar. Otto Fritzes Eierfahrt wurde sehr populär. Damals kamen sogar Paddler aus Magdeburg, Schönebeck und Breitenhagen. Besonders die beiden Ersteren mussten Muskeln machen, da sie ja stromaufwärts fuhren. Eines Neujahrmorgens klopften sogar superehrgeizige Kanuten nachts um 3 Uhr an die Tür. Der Eier und des gemütlichen Miteinanders wegen.