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Kleine Elbe Flussidyll wurde zur Müllkippe

Im jüngsten Heimaträtsel war nach der Kleinen Elbe in Barby gefragt worden. Ein Altarm, der 1974 zugeschüttet wurde.

Von Thomas Linßner 30.12.2016, 18:29

Barby l Das Rätselfoto zeigte ein Lichtbild des Barbyer Fotografen Heinrich Viek, das vermutlich in den 1920er Jahren aufgenommen wurde. Es muss später als Ansichtskarte erschienen sein. Der Verleger Hermann Kropp gab handschriftlich auf der Rückseite des Fotos klare Anweisungen. „Aufdruck auf Bildseite: ‚Barby: Hochwasser‘, Aufdruck auf Adressenseite links unten: ‚Malerische Motive aus der Umgebung Barbys‘. Weiterhin gab Kropp Instruktionen, die „Nonpareille-Schrift“ (kleines Schriftmaß) zu verwenden und „dass, wo es nötig ist, retouchiert wird, damit eine sehr stimmungsvolle Karte mit guten Lichtreflexen zustande kommt.“

Heinz Warnecke (95) aus Pömmelte weiß noch, dass es bei Schlitzohr Albert Hofrecht „Lebensmittel hintenrum gab“. Wer gut mit ihm konnte, brauchte keine Bezugskarten.

„Das Schiff wurde später von meinem Onkel Herbert Natho betrieben“, reagierte Ute Gutkäse (66) auf das Heimaträtsel. Der sei „ein spaßiger Zeitgenosse“ gewesen und stets zu jedem Scherz bereit. Neben Stadtbote Paul Bringezu „bimmelte“ er in Barby auch amtliche Nachrichten aus. Beide machten sich auf den Straßen der Stadt mit einer Glocke bemerkbar, wenn die Verwaltung etwas Neues zu verkünden hatte. „Onkel Hermann hat immer erzählt, dass er schon damals Apfelkorn selbst machte“, so Ute Gutkäse. Das hob er besonders hervor, als man in den 1970er Jahren so tat, als sei der Apfelkorn eine neue Erfindung. Natho war später Schiffer und starb 1984 in Hamburg.

Volker Uhlmann (73) aus Dresden sieht noch die vielen Treibkähne vor seinem geistigen Auge, die in der Kleinen Elbe lagen. Warum diese Ansammlung zustande kam und sie bald wieder verschwanden, weiß er nicht.

Rüdiger Frenzel (61) stellte Fotos zur Verfügung, die das Verfüllen der Kleinen Elbe im Sommer 1974 zeigen. Zu sehen sind jede Menge Müll und Bauschutt, die über Jahre das Flussufer herunter gekippt wurde. „Das war ein richtiger Schandfleck“, sagt Rüdiger Frenzel. Er war der Stadt ein Dorn im Auge, die allerdings an diesem Zustand nicht unschuldig war, handelte es sich doch um eine öffentliche Kippe. So wurden die Schuttmassen des barocken „Kavaliershauses“ in der Zetkinstraße (heute Schloßstraße) im Flusslauf versenkt. Auch die Asche des Volksgut-Heizhauses und anderer Betriebe entsorgte man hier.

Renate Gerth arbeitete von 1968 bis 1977 im Volksgut (VEG). „Unser Chef, Horst Cierpka, hatte sich stark gemacht, dass die Kleine Elbe zugeschüttet wird“, sagt sie. Damit wurden zwei Fliegen mit einer Klappe geschlagen: der Schandfleck verschwand, es wurde zusätzlich Weideland gewonnen. Rudolf Otto (86) war VEG-Feldbaubrigadier: „Wir waren froh, dass die scharfe Ecke am Pegel durch Verfüllen des Altarms entschärft wurde.“ An dieser Stelle hatte sich eines Tages ein Pflug ausgehakt, der das steile Ufer herunter rutschte. „Der liegt da heute noch drin“, erzählt Rudolf Otto.

Dennoch bleibt die Frage: Woher nahm man die großen Mengen Erde und Kies, die zur Verfüllung des gut 400 Meter langen Altarms gebraucht wurden? Denn soviel Bauschutt fiel in ganz Barby über Jahrzehnte nicht an. Dieses Rätsel konnten auch ehemalige VEG-Leute wie Wilhelmine Cierpka, Karsten Schrader, Rudolf Otto oder Klaus Gerstenberg nicht lösen. Heimatgeschichtler Dieter Schlueter wusste Bescheid: „Der Abraum kam vom Kieswerk an der Straße nach Pömmelte, das gerade ein paar Jahre zuvor erschlossen wurde.“ Das bestätigt auch Karl-Joachim Blume, der von mehreren Abrisshäusern und „Kieswerk-Mutterboden zum Abdecken“ spricht.

Armin Wellnitz (72) wohnte damals auf dem Marktplatz. Für ihn und seine Kumpel war der kürzeste Weg zum Elbwerder und zur Kleinen Elbe durch das Fischertor. „Wir sind dort die Stadtmauer herunter geklettert.“ Was nicht immer zur Freude der Anwohner geschah, weil diese heikle Abkürzung für viele Kinder und Jugendliche zur Normalität geworden war. „Wir haben auf der Kleinen Elbe oft Eishockey gespielt. Die Jüngeren mussten immer ins Tor, weil sie keine Schlittschuhe hatten“, so Wellnitz. Die Eishockeyschläger schnitt man sich aus Weidenästen, „Luxus“ waren Wanderstöcke. Auch an die Rotarmisten und deren Schießplatz im „Eichelwald“ hat er noch Erinnerungen. „Die Russen haben mit Handgranaten gefischt“, erzählt der 72-Jährige. Wenn sie im Wasser explodierten, schwammen massenweise Fische an der Oberfläche, die betäubt oder tot waren.

Die richtige Lösung kannten auch Edwin Franke (sein Schwiegervater schob damals mit der Planierraupe die Kleine Elbe zu) und Melanie Schreiber aus Schönebeck.