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Konzert in St. Jakobi Der heitere und der düstere Mozart

In der Schönebecker St.-Jakobi-Kirche ist das Mozart-Requiem von der Schönebecker und Aschersleber Kantorei aufgeführt worden.

Von Dieter Horst Steinmetz 26.09.2016, 20:39

Schönebeck l Filmfreunde haben noch gut den Schluss des großartigen „Amadeus“-Films von Milos Forman vor dem geistigen Auge: Ein maskierter, schwarzgekleideter Unbekannter bestellt bei dem schwerkranken Wolfgang Amadeus Mozart ein komponiertes „Requiem“, ein großangelegtes Musikstück für eine katholische Totenmesse. Im Film spricht der unheimliche Fremde mit der Stimme Antonio Salieris. Eine Fährte war für die Zuschauer gelegt, die dadurch verstärkt wurde, dass im Film Mozarts Widersacher Salieri für den Sterbenden die Niederschrift des Requiems übernahm. Steckte aber wirklich Salieri hinter dem Auftrag, und war er schuld an Mozarts frühem Ableben?

Schon kurz nach dem Tod des 35-Jährigen am 5. Dezember 1791 kamen Gerüchte auf, der Komponist sei von Gegnern vergiftet worden, zumal Mozart auf dem Sterbebett solche Vermutungen geäußert hatte. Er glaubte auch, dass Mitglieder aus der Freimaurerloge, der er angehörte, bei ihm seine eigene Totenmesse bestellt hätten.

Die Wahrheit war eine andere: Es kam vor, dass reiche Kunst-Enthusiasten bei erfolgreichen Komponisten Musikstücke bestellten, die sie unter ihrem eigenen Namen aufführen ließen. Dafür bezahlten die Diebe geistigen Eigentums die Geschädigten gut, wenn diese den Frevel bei der damals recht schlechten Kommunikations-Lage überhaupt bemerken konnten. Seit dem Sommer 1791 wussten Kenner der Kulturszene von Mozarts schwerer Krankheit, die sich in heftigen Fieberschüben, Unterleibsschmerzen und Hautausschlag äußerte. Da war es, wenn man den baldigen Tod des Genies in Betracht ziehen musste, günstig, bei ihm schnell noch anonym ein Musikstück in Auftrag zu geben, das man dann als sein eigenes ausgeben konnte. Der exzentrische Graf Franz von Walsegg wollte eine Totenmesse vom Aller-Erlesensten für seine früh verstorbene geliebte Frau unter seinem Namen zur Aufführung bringen, und der Größte der Komponisten sollte ihm insgeheim die Musik dazu liefern. Der geheimnisvolle Anonyme, der Mozart so in Todesangst versetzt hatte, war lediglich ein Bediensteter des hinterlistigen Grafen gewesen.

Unter Aufbietung seiner letzten Kräfte schuf der Todkranke ein einzigartiges sakrales Musikwerk, das zwar nicht die Lebensbejahung und Leichtigkeit der allgemein bekannten Mozart-Musik atmete, das aber trotzdem ganz und gar vom humanistisch-aufklärerischen Geist des Genies beseelt war. Im Mittelpunkt des Mozart-Requiems d-Moll steht der Mensch mit seiner Angst, Verzweiflung und Trauer im Angesicht der Unfassbarkeit des Todes. Aber auch Hoffnung und Trost spendet das außergewöhnliche Stück. Keine himmlische, alles überstrahlende Musik des jenseitigen Paradieses erklingt hier. Es ist einfache, eindringliche Erdenmusik von einem verzweifelten Sterbenden für uns, die dagebliebenen, trauernden Menschen, die eines Tages an der gleichen Schwelle stehen.

In allen Takten dieser unvergänglichen Musik ist Mozart ganz und gar der menschliche Mozart geblieben. Noch vor dem Abschluss seiner Arbeit am Requiem starb der Komponist.

Die Vollendung übernahm nach mehreren Versuchen und Absagen Franz Xaver Süßmayr, ein Schüler des Meisters, denn Mozarts Frau Constanze hatte Angst, dem dubiosen Grafen die Anzahlung für die Komposition zurückgeben zu müssen. Dieser hatte nicht viel von seiner Maskerade, denn nach einer Aufführung unter Graf Walseggs Namen wurde öffentlich, dass das Requiem großenteils das Werk Mozarts war.

Am Sonnabend wurde dieses erhabene und menschlich-ergreifende Werk in der St.-Jakobi-Kirche zu Schönebeck/Elbe aufgeführt. Zum Ensemble der musikalischen Inszenierung gehörten die Schönebecker und Ascherslebener Kantorei, weitere Sänger aus dem Kirchenkreis, das Orchester „Saxiona Musik Company“ sowie Solisten. Die Gesamtleitung hatte Carsten Miseler. Als Solistinnen und Solisten konnten gewonnen werden: Conny Herrmann (Sopran), Inga Jäger (Alt), Paul Kauffmann (Tenor) und Michael Pommer (Bass).

Um den Zuhörenden den Kontrast akustisch nahezubringen, stellten die Künstler der Aufführung des Requiems die Darbietung der Mozartschen A-Dur Sinfonie KV 201 voran. Mit diesem Kunstgriff konnte man zuerst den heiter lächelnden 18-jährigen Mozart im musikalischen Serenaden- und Menuett-Gewand seiner Salzburger Zeit nacherleben, den Mozart, der geradewegs auf seine phänomenale Wiener Zeit zusteuerte und die viel zu früh mit dem Requiem des sterbenden Genies endete. So gegensätzlich die beiden Werke wirkten, zunächst das des Teenagers, dann das des angesichts des Todes fassungslosen reifen Mannes, so sehr tat sich den Zuhörenden andererseits das Gemeinsame der beiden Mozart-Stücke auf.

Dieses Verbindende war der vom praktischen Humanismus beseelte Geist der Aufklärungsbewegung. Später wurde diese Epoche des kulturellen Aufbruchs in das bürgerliche 19. Jahrhundert mit dem schönen Begriff „Klassik“ bezeichnet.

Sieben Monate hatten die Orchester-, Chor- und Solo-Künstler intensiv an Mozarts Requiem geprobt, wobei sich die Choristen erst einmal in das Besondere des Lateins, in Sinnhaftigkeit und Duktus der in der katholischen Kirche der damaligen Zeit üblichen Liturgie-Sprache einarbeiten mussten.

Der lang anhaltende Beifall des Publikums in der Schönebecker St.-Jakobi-Kirche bewies, dass sich ihre Mühe gelohnt hatte. Die großartige Gesamtleistung des Ensembles der professionellen und nicht professionellen Künstler hinterließ einen tiefen Eindruck.