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Landgericht Mann zu fünfeinhalb Jahren Haft verurteilt

Weil er einen Mann gefährlich verletzt hat, wurde ein Obdachloser vom Landgericht Magdeburg zu fünfeinhalb Jahren Haft verurteilt.

Von Emily Engels 24.02.2016, 16:58

Magdeburg/Bernburg l Torsten K.* fällt es nicht leicht, hier zu sein und dem Mann gegenüber zu sitzen, der ihn im November attackiert hat. „Bei mir bleibt die Frage nach dem Warum“, lauten seine Worte vor dem Magdeburger Landgericht, nachdem er die Ereignisse des Morgens, der für ihn in einem künstlichen Koma in der Intensivstation endete, noch einmal erzählen musste. Während er spricht, sitzt eine Mitarbeiterin der Opferhilfe neben ihm, streicht ihm manchmal fürsorglich über die Schulter, spricht ihm beruhigende Worte zu.

Eigentlich habe er an dem Novembermorgen gar keinen Dienst gehabt, beginnt Torsten K. zu berichten. Er habe die Schicht eines Kollegen übernommen, der Geburtstag hatte. Der 51-Jährige, der als Hausmeister im Bernburger Rathaus tätig ist, habe kurz vor 6 Uhr mit seinem Fahrrad eine Runde über das Gelände gedreht, als ihm unter einem Carport ein Pappkarton aufgefallen sei. „Ich habe mit meinem Fuß dagegengestupst, um zu schauen, was es mit dem Karton auf sich hat“, fährt Torsten K. fort. Als er sich umdrehte, stand plötzlich ein Mann hinter ihm und schrie ihn an, sagt er. Es folgte eine Auseinandersetzung, die schnell eskalierte. „Zunächst mit Fäusten“, so der Bernburger. Ob er oder der Angeklagte damit angefangen habe, wisse er nicht mehr genau. Der Täter, Samuele P.*, habe ihm im weiteren Verlauf die Brille von der Nase geschlagen. „Ohne meine Brille konnte ich in der Dunkelheit kaum mehr etwas erkennen“, so der Hausmeister. Er habe plötzlich ein lautes Klirren gehört und einen „heftigen Schlag in der linken Nierengegend“ gespürt. Mit all seiner Kraft habe er es geschafft, sein Fahrrad zwischen ihn und Samuele P. zu stellen. „Der Mann hat daraufhin von mir abgelassen“, erzählt er. Torsten K. habe sich an seinem Fahrrad abgestützt und sei Richtung Rathaus gegangen. Erst da habe er „ein warmes, nasses Gefühl“ in seiner Nierengegend gespürt und gemerkt, dass er blutet.

Der Bernburger hatte Glück, denn Jochen L.* beobachtete die Szene von Weitem. „Ich hörte Schreie und sah, wie sich ein Mann mit schmerzverzerrtem Gesicht auf seinem Fahrrad abstützte“, beschreibt der Zeuge vor Gericht. Er sei Torsten K. in sein Büro gefolgt und habe gefragt, ob er medizinische Hilfe brauche. Schnell verständigte er Polizei und Notarzt.

Einen Arzt brauchte der Hausmeister dringend, denn was er als Faustschlag in seinen Bauch, war tatsächlich der Stoß mit einer Glasscherbe, die der Täter mit voller Wucht in seine linke Körperhälfte gerammt haben muss. Den enormen Kraftaufwand, der nötig gewesen sein muss, bestätigt die Rechtsmedizinerin Kerstin Janke. „Eine 4 mal 6 Zentimeter große Glasscherbe steckte etwa 14 Zentimetern tief im Körper fest“, erklärt sie. „Da Torsten K. an dem Morgen ein T-Shirt, einen Pullover, eine Fleecejacke und eine Winterjacke getragen hat, kann man sich die Kraft vorstellen, die Samuele P. aufgebracht haben muss“, führt sie den Gedanken fort.

Torsten K. hatte Glück im Unglück, dass er am Leben blieb. Seine Nierenkapsel, seine Lunge sowie seine linke zwölfte Rippe waren verletzt. Einen Tag lag der Mann im künstlichen Koma. „Es hätte auch schlimmer ausgehen können“, sagt Janke, die ihn am Tag des Vorfalls untersucht hat.

Dank der schnellen Reaktion des Zeugen Jochen L. habe die Polizei den Täter in der Umgebung des Rathauses ausfindig machen und verhaften können.

Im Landgericht steht die Frage im Raum, ob in dem Fall versuchter Totschlag oder gefährliche Körperverletzung vorliege. „Der Angeklagte hat sich eines gefährlichen Werkzeuges bedient und damit massiv auf sein Opfer eingewirkt“, sagt Oberstaatsanwältin Martina Klein. Sie sehe sein Verhalten nicht als Notwehr, seine Handlung reiche in ihren Augen für einen versuchten Totschlag aus. Sie beruft sich nicht zuletzt auf die authentische, sehr ehrliche Beschreibung des Opfers. Das Gericht entscheidet sich dafür, dass es sich um gefährliche Körperverletzung gehandelt hat, nicht um versuchten Totschlag. Der Grund: Der Tatverdächtige habe zwar die eventuelle Tötung billigend in Kauf genommen, sei jedoch nach dem einmaligen Angriff freiwillig zurückgetreten.

Samuele P., bei dem es sich um einen 43-jährigen Obdachlosen handelt, wird zu fünfeinhalb Jahren Haft verurteilt. Dass sich für Torsten K. jemals die „Frage nach dem Warum“ klären wird, ist eher unwahrscheinlich. Denn Samuele P. schweigt. Nur eine Sache ist für den 51-jährigen Bernburger gewiss: „Verzeihen kann ich ihm nie.“

*Namen von der Redaktion geändert