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Museumsschiff Breitenhagens Stolz jetzt indisch

Der Breitenhagener Museumskahn „Marie Gerda“ ist nicht mehr im Besitz von Barby. Neuer Besitzer ist ein Privatmann aus Sachsen.

Von Thomas Linßner 29.06.2018, 15:41

Breitenhagen l „Ja, was sollten wir denn machen …“, hebt Ortsbürgermeister Hans-Georg Buszkowiak (parteilos) die Schultern, um sie gleich wieder fallen zu lassen. Hinter diesem Satz steht keine Frage, eher ein Ausrufezeichen. Denn der Schleppkahn, der Mitte der 1990er Jahre wieder nach Breitenhagen zurück kam, war eine der ersten Immobilien, die die Einheitsgemeinde Barby anbot. Nach dem Verkauf des Lichtmessmuseums Glinde stand 2015 das Museumsschiff „Marie Gerda“ ganz oben auf der Liste der „Veräußerungen von kommunalem Vermögen“.

Bis vor drei Jahren beherbergte der malerische Kahn neben dem Schiffsmuseum auch ein Standesamt und Restaurant. Letzteres war Mitte 2013 an die Mitteldeutsche Camping- und Gastro GmbH verpachtet worden, die als Kaufinteressent auftrat und nach einigem Gezerre um den Preis den Zuschlag bekam. Der Verkauf erfolgte auf der Grundlage eines Verkehrswertgutachtens. Das Mindestgebot orientierte sich daran und betrug 100.000 Euro. Der damalige Barbyer Bürgermeister Jens Strube räumte einen gewissen „Reparaturstau“ des Kahns ein.

Die Breitenhagener sahen den Verkauf mit gemischten Gefühlen, war doch die „Marie Gerda“ zum Aushängeschild der ehemaligen Schiffergemeinde geworden. Aber klagen ist die eine, verantwortungsvoll mit den Finanzen umgehen die andere Sache.

So sieht es auch Ortsbürgermeister Hans-Georg Buszkowiak, nachdem sich auch sein Vorgänger Kurt „Bodo“ Kotzur der Haushaltsrealität gebeugt hatte. Er war es, der den Elbekahn 1995 nach Breitenhagen zurück holte.

„Wir sind froh, dass in der ‚Marie Gerda‘ wieder die Lichter angegangen sind“, so Buszkowiak. Damit meint er die Pachtübernahme durch den gebürtigen Inder Gurkamal Singh, der das Restaurant mit seiner Familie betreibt. Der 41-Jährige bietet indische und mediterrane Speisen an. Das Restaurant hat ganzjährig täglich ab 11 Uhr geöffnet, wenn nicht gerade Hochwasser den Zugang unmöglich macht. „Wir hoffen sehr, dass genug Gäste kommen und der Laden läuft“, sagt Hans-Georg Buszkowiak. Denn würde der neue Pächter ein Defizit einfahren, sähe es vermutlich schlecht um die Zukunft des malerischen Elbekahns aus. „Das Schlimmste wäre, wenn hier die Lichter ausgingen und die ‚Marie Gerda‘ zur Ruine würde“, gibt der Ortsbürgermeister zu bedenken.

Er versichert, bereits sein Lieblingsgericht auf Singhs umfangreicher Speisekarte gefunden zu haben: „Die Nummer 99 - Chicken Jalfrezi ist sehr lecker. Das hat schon meine gesamte Familie getestet.“ Bei diesem Gericht vom indischen Subkontinent werden marinierte Stücke von Fleisch, Fisch oder Gemüse in Öl gebraten. Gurkamal Singh hat für seine Speisen Grundzutaten aus seiner Heimat geordert, die in großen Tüten in der Küche lagern. Am Sonnabend will er ein Sommerfest geben. Los geht es um 12 Uhr; die Fähre pendelt deswegen sogar bis 22.30 Uhr, um den Gästen aus dem Raum Zerbst den Besuch zu ermöglichen.

Die „Marie Gerda“ ist der letzte Lastkahn, der auf der Breitenhagener Werft gebaut wurde. 1914 gab ihn der Elbschiffer August Clemens in Auftrag. Zu dieser Zeit gehörte die Schiffbauerei der Firma Kretzmann. Sie begann mit dem Bau des Plauer Maßkahns (eine Richtgröße, um den Plauer Kanal passieren zu können). Während der Bauphase ging Kretzmann in Konkurs. Der Kahn lag aber schon im Wasser. Damit er nicht in die Konkursmasse fiel, wurde er in einer Nacht-und-Nebelaktion heimlich zur Barbyer Weise/Wolter-Werft geschleppt. Dort baute man den Kahn fertig. 1915 lief er vom Stapel. Seine Fracht waren Getreide, Erze, Kohle, Schwefelkies und andere Massengüter.

1930 verkaufte August Clemens das Schiff an den Breitenhagener Eigner August Rehse, der ihn in „Marie Gerda“ umtaufte. Das waren die Vornamen von Frau und Tochter.

Der Kahn ist 68 Meter lang und acht Meter breit und hatte ein Fassungsvermögen von 700 Tonnen.

Aus wirtschaftlichen Gründen wurde er in den 1960er Jahren nach Vogelsang bei Pirna verkauft, wo man ihn als Lagerschiff nutzte.

Die damals noch selbständige Gemeinde Breitenhagen kaufte ihn 1995 zurück, um daraus eine touristische Attraktion zu machen, was auch gelang. Danach erfolgte der Um- und Ausbau zu einem Museumsschiff. Mitarbeiter der Beschäftigungsgesellschaft Gesas widmeten sich der Außensanierung und dem Innenausbau. Besonderes Augenmerk wurde auf die originalgetreue Wiederherstellung der Steuermannskajüte gelegt. Die ABM-Leute verlegten die Wandverkleidungen, den Fußboden, bauten Treppen und arbeiteten die Zustiegsluke auf.

Bei Einheitsgemeinde-Gründung ging die „Marie Gerda“ in die Verantwortung der Stadt Barby über.