Obdachlosenheim Obdachlos in Schönebeck

Niemand muss in Schönebeck auf der Straße schlafen. Ein Obdachloser aus Schönebeck ist der 25-jährige Sascha*.

Von Bianca Oldekamp 10.09.2020, 01:01

Schönebeck l Die Dose mit dem Tabak und den Hülsen liegt neben ihm auf der Bank. Gekonnt stopft sich Sascha die ersten Zigaretten des Tages. Seit mittlerweile fast einem Jahr lebt der 25-Jährige in der Gemeinschaftsunterkunft für Obdachlose der Stadt Schönebeck an der Geschwister-Scholl-Straße. „Lieber hier als auf der Straße“, findet der junge Mann, zündet sich die Zigarette aber erst an, nachdem die Reporterin ihm sagt, dass sie das nicht störe.

Einige Nächte habe er schon auf der Straße verbracht. In Wolfsburg, aber auch in Schönebeck. In unbeobachtete Ecken habe sich der gebürtige Schönebecker in insgesamt vier Nächten zurückgezogen. „Damit mich niemand sieht“, sagt Sascha und beschreibt, dass er sich in diesen Nächten an sein weniges Hab und Gut, das in einem Rucksack verstaut war, geklammert habe. Auf der Straße schlafen zu müssen, sei ihm unangenehm gewesen.

Wie es dazu gekommen ist? Im Alter von 14 Jahren hat Sascha angefangen, Drogen zu nehmen. „Pep, Gras und Crystal“, zählt der junge Mann auf. Die Bezeichnung Pep (auch bekannt als Speed) steht in der Drogenszene für Amphetamine mit stark stimulierender und aufputschender Wirkung. Crystal (Meth), ebenfalls eine chemische Droge, erweckt im Konsumenten ein falsches Gefühl von Glücklichsein und Wohlergehen, ein starkes Gefühl der Zuversicht, Hyperaktivität und Energie. Hartes Zeug.

Sascha ist abgerutscht, wie man so schön sagt. „Ich bin dann irgendwann nach Wolfsburg gegangen, wollte weg aus Schönebeck, kam dann aber doch zurück“, erzählt er. Ein Dach über dem Kopf hatte er bei seiner Rückkehr allerdings nicht, wandte sich nach den Nächten auf der Straße an die Gemeinschaftsunterkunft für Obdachlose der Stadt Schönebeck.

Jede Kommune muss eine solche Unterkunft für Wohnungslose vorhalten. Das weiß auch Janine Zug. Sie leitet das Ordnungsamt der Stadt Schönebeck, das für die Einrichtung zuständig ist. Bewohner der Unterkunft bezeichnet sie als Eingewiesene, wie sie im Amtsdeutsch genannt werden. Denn bewohnen darf die Unterkunft nur, wer durch schriftliche Einweisungsverfügung in die Obdachlosenunterkunft eingewiesen worden ist.

Heißt: Prinzipiell dient die Einrichtung der Stadt der vorübergehenden Unterbringung Obdachloser und von Obdachlosigkeit bedrohten Personen. Zudem werden Menschen aufgenommen, die durch Naturgewalten und Katastrophen ihre Unterkünfte nicht mehr benutzen können. Was das angeht, erinnert sich Janine Zug an eine Familie, die nach einem Brand vorübergehend wohnungslos war und auch nicht woanders unterkommen konnte und deshalb in der städtischen Einrichtung ein temporäres Dach über dem Kopf gefunden hat.

Ein Bewohner der Unterkunft lebe zwar schon seit rund zehn Jahren in der Einrichtung an der Geschwister-Scholl-Straße, die aber am Streckenweg liegt, doch ist diese Art der Unterbringung für die allermeisten eingewiesenen wirklich nur eine temporäre Lösung.

So ist auch Sascha nicht untätig, versucht schon seit längerem, eine eigene Wohnung in Schönebeck zu bekommen. Sein Lebenslauf und seine derzeitige Anschrift sind, was das angeht, aber nicht gerade von Vorteil. Dass es trotzdem klappen kann, hat ein anderer mittlerweile ehemaliger Bewohner der Obdachlosenunterkunft gerade bewiesen. Er hat eine eigene Wohnung gefunden – die sich auch Sascha angeschaut, aber nicht bekommen hatte. Doch: „Ich freue mich, für jeden, der hier raus kommt“, sagt der 25-Jährige, während der andere Mann neben ihm sitzt. Noch seien nämlich keine Möbel in der Wohnung, und die Gesellschaft der Bekannten aus der Obdachlosenunterkunft fehle dann doch etwas, wenn man plötzlich allein wohnt, erklärt der andere Mann.

Die Gemeinschaft in der Obdachlosenunterkunft birgt allerdings auch Konfliktpotenzial. Sascha stört sich beispielsweise daran, dass sein Zimmerkollege – die Zimmer können mit bis zu vier Personen belegt werden – nicht immer so aufräumt, wie es sich nach Meinung des 25-Jährigen gehört. Sorgen müssen die Bewohner der Unterkunft für ihr Leben nämlich selbst. Und dazu gehört neben Aufräumen und Putzen auch Kochen. Personen, die sich beispielsweise aufgrund von körperlicher oder psychischer Krankheiten nicht eigenständig selbst versorgen, seien in der städtischen Unterkunft aber falsch untergebracht, erklärt Janine Zug. In solchen Fällen seien medizinische Einrichtungen die richtige Wahl.

Aktuell sind in der Unterkunft sechs Männer und eine Frau untergebracht, in der Regel in nach Geschlechtern getrennten Mehrbettzimmern. Theoretisch können in der Unterkunft insgesamt maximal 65 Personen Obdach finden. Die Gemeinschaftsräume, darunter Flure, Küche und Aufenthaltsraum werden videoüberwacht und von Wachpersonal beobachtet. Dieses achtet unter anderem auch darauf, dass die Ruhezeiten eingehalten werden.

Sascha hofft, dass die Suche nach einer eigenen Wohnung bald Erfolg bringt und er der städtischen Gemeinschaftsunterkunft endlich den Rücken kehren kann. „Aber wo wäre ich jetzt, wenn es sowas nicht geben würde“, fragt er sich selbst und ist froh, ein Dach über dem Kopf zu haben.

* Name von der Redaktion geändert