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Oldtimer Eine Reise in die Auto-Geschichte

Die Ortschaft Biere entwickelt sich zum Oldtimer-Mekka. Am vergangenen Sonnabend fand im Park das 9. IFA- und Ostmobile-Treffen statt.

Von Olaf Koch 07.08.2017, 03:01

Biere l So roch die DDR. Für spätgeborene Fans alter Automobile war der Marsch über den Ausstellungsplatz in Biere vor allem etwas für das Auge. Ehemalige DDR-Bürger jedoch hielten manchmal freudig die Nase in den Wind, wenn ein alter Zwei- oder Viertakter brummend an ihnen vorbeizog. Was hinten aus dem Auspuff kam, erinnerte an längst vergangene Zeiten. Es war der Geruch vor der Zeit des Katalysators. Pure DDR.

Auch im Innenraum so eines alten Mobiles war die Zeit ebenfalls stehengeblieben. Liebevoll gepflegt mit Wackeldackel und selbstgestrickter Bommel für die Rolle Toilettenpapier. Kultur im Auto, Kult war das Auto. Und so drehten viele kleine und große, alte und junge Fans entzückt ihre Runden.

Die weiteste Anreise nach Biere hatte Marco Wolf hinter sich. Der junge Mann mit dem unverkennbaren Akzent aus dem „Pott“ kam knapp 400 Kilometer aus Gelsenkirchen. Und zwar mit einem Wartburg 353 und einer für einen Westler völlig untypischen Geschichte. Als Jugendlicher wurde bei ihm über einen benachbarten Antiquitätenhändler das Interesse an Fahrzeugen aus dem Osten geweckt. „Ich habe in die Materie reingerochen und mich interessiert. Schnell habe ich gemerkt, dass es ja nicht nur den Trabant, sondern auch andere Modelle gab. Total spannend“, so Marco Wolf. Sein Herz schlug für einen 353er Wartburg. Wolf nennt ihn den „Wartburg im Bauhausstil“, wegen seiner unverkennbaren Kastenform. Klar, die alte 311er-Serie ist schnittiger.

Abenteuerlich war später auch der Kauf des alten Wartburgs aus Ungarn, den er ohne Probefahrt erwarb und auf einem Bahnhof übernahm. Es handelte sich um jenen Wartburg, Baujahr 1983, von einem Vorbesitzer aus Ungarn. Ein Glücksfall, wie sich später herausstellte.

Noch heute rollt der Oldtimer durch Gelsenkirchen. Tief im Westen kann sich Marco Wolf der Blicke der Passanten ob des Autos sicher sein, wenn er beispielsweise qualmend an der Ampel steht.

Faszinierende Blicke erhascht auch Karl-Heinz Havlas. Wenn er irgendwo standesgemäß vorfährt, könnte man glauben, Walter Ulbricht und seine Gattin Lotte würden gleich dem Wagen entsteigen: aus einem Tatra, Baujahr 1974. Das imposante schwarze Gefährt fuhr „im ersten Leben“ im Forstministerium der Tschechoslowakei. 105 PS hat die Nobelkarosse, mit der früher auch Mitglieder der DDR-Regierung chauffiert wurden.

In dieser Zeit hatte Karl-Heinz Havlas auch seinen „Erstkontakt“ zu einem Tatra. Damals, als er noch Steppke war, rollte einmal im Jahr die Staatsführung der DDR in Rostock ein. In der Nähe des Theaters stiegen Ulbricht und seine Frau aus. Und der kleine Karl-Heinz drückte sozusagen seine Nase an die Scheibe dieses aus Kindersicht riesigen Autos.

Heute nennt er eines dieser Modelle, von denen in Deutschland nur noch schätzungsweise 50 bis 70 über die Straßen rollen, sein Eigen. Und nein, so hoch ist der Benzinverbrauch auch nicht. Gut 13 Liter schluckt der Motor. Aber was ist das schon im Vergleich zu den Fahreigenschaften? „Darin sitzt man wie auf der heimischen Couch“, verrät der Fahrer. Und außerdem: Für einen Oldtimer dürfte nichts zu teuer sein, auch der Sprit nicht.

Nicht nur zivile alte Wagen wurden am Sonnabend im Bierer Park präsentiert, sondern auch Armeefahrzeuge. Die „grüne Fraktion“ hat ebenso viele Fans. Zwei von ihnen füllten mit einem Trabant-Kübel ein Stück Ausstellungsfläche: Mike Zabel und Max Müller aus Parchau. Vieles, was der junge Mann und der Altgediente zeigten, war original: Nicht nur der Trabant fuhr früher bei den DDR-Grenztruppen. Auch das Nummernschild „GT 15-6178“ zeigt original Bataillon und Einheit an. Die Uniformen sind zudem aus dem Fundes der NVA. Lediglich ein Requisit war (zum Glück) unecht: die Kalaschnikow.

Zurückversetzt in die alte Zeit fühlten sich die Gäste bei Lutz Schmidt. Der Calbenser bot mit seinem Ikarus-Bus Rundfahrten durch das Bördeland an. Baujahr 1982 ist das Reisegefährt und wurde zuletzt im Havelland gefahren, hat hier Erntehelfer auf die Plan- tage gebracht. Lang ist es her.

Trotz der Regenschauer am Nachmittag hielten Besucher und Fahrzeugaussteller eisern durch. Dafür gaben die Organisatoren einen „Daumen hoch!“ Sie dankten vor allem den vielen, fleißigen Helfern vor Ort, den Sponsoren, dem Bierer Kulturverein 2004 und Ortsbürgermeister Peter Buchwald. Sie alle sorgten dafür, dass man am Sonnabend in Biere ein Stück DDR sehen und wieder riechen konnte.