Operettensommer Die Fledermaus ist aus

Am Sonntag ging die letzte Aufführung der „Fledermaus“ auf dem Bierer Berg über die Freilichtbühne.

Von Ulrich Meinhard 26.07.2016, 01:01

Schönebeck l Es ist Sonnabend, der 23. Juli. 14.45 Uhr auf dem Bierer Berg bei Schönebeck. Heute läuft die vorletzte Aufführung der „Fledermaus“. Nach vier Wochen geht der 20. Schönebecker Operettensommer zu Ende. Um 16 Uhr ist Spielbeginn. Die ersten Darsteller haben sich bei der Maskenbildnerin eingefunden. Rebekka Schwark steckt Haare hoch, zieht vorsichtig Perücken über, trägt mal mehr, mal weniger dezent Schminke auf die Gesichter auf. Gail Gilmore legt unkompliziert selbst Hand an. Sie wird gleich - und zwar zum 22. Mal während dieses Festivals - den Prinzen Orlofsky spielen. Ist das nicht ungewöhnlich, eine Frau in einer Männerrolle? Die 65-jährige renommierte Opern-, Jazz- und Gospelsängerin belächelt die Frage. Sie habe, sagt Gail Gilmore, an vielen Häusern völlig unterschiedliche Rollen gespielt. „Das muss man können, das wird verlangt.“ Heute in „Hänsel und Gretel“, morgen in „Aida“... „Ich glaube, die Hälfte der Rollen, die ich gespielt habe, habe ich vergessen“, gesteht die gebürtige US-Amerikanerin.

Die Reihen der Freilichtbühne sind noch leer. Edith Wolter aus Neugattersleben und Anneliese Ziegler aus Bernburg sind die ersten Gäste. Sie probieren noch die mobilen hölzernen Rückenlehnen aus, die auf dem Bierer Berg angeboten werden. Immerhin dauert die Vorstellung drei Stunden. „Von der Volksstimme sind Sie? Na, dann können Sie gleich mal rein schreiben, dass das hier ganz schlecht ausgeschildert ist“, sagt Anneliese Ziegler. Beide Frauen haben eine kleine Odyssee hinter sich. Die Straße zwischen Biere und Schönebeck ist wegen Bauarbeiten gesperrt. Wer sich nicht auskennt, hat ganz schlechte Karten. In Bad Salzelmen gestrandet, fragten die Frauen eine Taxifahrerin nach dem Weg. „Sie war so freundlich und ist mit ihrem Auto vor uns hergefahren, bis zum Bierer Berg“, lobt Edith Wolter.

Weiter oben hat eine Gruppe Platz genommen. Auf Nachfrage stellt sich heraus, dass es sich um acht „Sternschnuppen“ aus Wien handelt. So heißt die Laien-Schauspieltruppe, in der sie Theater machen. Den weiten Weg extra für den Schönebecker Operettensommer? Genau, lautet die Antwort. Allerdings hat das Interesse einen ganz bestimmten Hintergrund. Katharina Kutil, die Wiener Regisseurin der Fledermaus-Inszenierung, ist und zugleich Leiterin der „Sternschnuppen“. Jetzt sind die Acht gespannt, wie ihre „liebe Freundin“ den Wiener Stoff an der Elbe umsetzt.

Zu diesem Zeitpunkt ist Katharina Kutil hinter der Bühne zu finden. Hier herrscht unter den Sängern, Tänzern und Chorleuten eine lockere, heitere Atmosphäre. Wer all‘ die Scherze und Anekdoten, die hier geäußert werden, zusammenträgt, kann ein Buch herausgeben. Dahinein gehören dürfte dann auch eine Geschichte, die Manuela Nedelko zum Besten gibt. Die Österreicherin sollte die Regieassistenz übernehmen, musste dann aber aus persönlichen Gründen absagen. Johann Strauß, der Schöpfer der „Fledermaus“, war zu seinen Lebzeiten eine Art Popstar und hatte sehr viele Verehrerinnen, beginnt Manuela Nedelko die Story. Einem Ehegatten passte die Schwärmerei seiner Frau für den Komponisten ganz und gar nicht, er ging zu Strauß in die Garderobe und forderte ihn zum Duell auf. Der wiederum reagierte gelassen. Er solle sich doch bitteschön die Blumen seiner Gattin heraussuchen, sagte er dem nach Satisfaktion dürstenden Mann. Angesichts eines Meeres von Blumensträußen zog der ohne weitere Worte zu verlieren von dannen.

Hans-Jörg Simon, der Geschäftsführer der Mitteldeutschen Kammerphilharmonie, sagt mit Blick auf die Darsteller-Truppe: „Für ein Späßgen sind sie immer gut.“ Für den letzten Operettensommer, den er in seinem Amt als Geschäftsführer vor dem Renteneintritt begleitet, zieht Simon eine positive Bilanz. Zum einen hebt er das „freundschaftliche Verhältnis“ zwischen den Ensemblemitgliedern während der Proben- und Spielzeit hervor. Zum anderen schaut er, beruflich bedingt, auch gern auf die Zahlen und die zeigen, dass mehr als 17 000 Besucher „Die Fledermaus“ auf dem Bierer Berg sehen wollten. Das sind 1000 Gäste mehr als im vergangenen Jahr.

„Noch 15 Minuten bis Spielbeginn“, ruft Katharina Kutil laut in die Runde. Wozu eine Regisseurin alles gut ist. Auch sie zeigt sich zufrieden mit dem Operettensommer 2016 - sie zeigt sich mit ihrer fröhlichen Art eigentlich immer zufrieden. „Die Schwüle der vergangenen Tage hat uns zugesetzt“, räumt sie für ihre Leute ein. Und ja, man nehme nun Abschied mit einem lachenden und einem weinenden Auge. „Dann ist es vorbei - und wir fahren nach Hause. Aber das“, meint sie, „ist das beste Ende. Viel besser, als wenn jeder sagen würde: ‚bloß gut, dass wir hier wegkommen‘.“

Gerard Oskamp, der Chefdirigent der Mitteldeutschen Kammerphilharmonie, hat heute Besuch von Ehefrau und Kind. Seine Bilanz fällt nicht minder positiv aus. Endlich, betont er, habe er einmal die Gelegenheit gehabt, die „Fledermaus“ als musikalischer Leiter zu inszenieren. „Es lief wie am Schnürchen“, freut sich Oskamp. Überhaupt sei das Werk auch in den Textpassagen so interessant, „dass ich mich keine einzige Sekunde gelangweilt habe“. Das Vorhaben, die Operette als Genre ernst zu nehmen und ihr dennoch eine Fetzigkeit zu verleihen, sei gelungen, sagt der Maestro.

Alexander Klinger, der den Notar Dr. Falke spielt, ist mal wieder das Auto kaputt gegangen. „Jedes Mal geht sein Auto kaputt, wenn er zum Operettensommer anreist“, klärt Katharina Kutil auf und sie fügt hinzu: „Er kommt immer nur bis Schönebeck.“ Klinger ergänzt: „Meine gesamte Gage geht jedes Mal für die Reparatur drauf.“ In einem Schönebecker Autohaus habe er quasi schon Freundschaften mit den Beschäftigten geschlossen.

Von der anderen Seite, nämlich aus der Perspektive der Zuschauer, erlebt Nadine Hammer in diesem Jahr den Schönebecker Operettensommer. Sie gehörte in den vergangenen zwei Jahren zum Ensemble, spielte zum Beispiel die Wirtin im „Weißen Rössl“. „Ich wäre auch in diesem Jahr gerne wieder dabei gewesen“, sagt sie. Aber für sie habe es keine passende Rolle gegeben.

Drei Reihen vor ihr sitzt Patricia Dietrich aus Biere. Sie ist bereits zum zweiten Mal in diesem Sommer in der Aufführung. „Das ist so schön, dass wir das hier haben in unserer Region“, freut sie sich.

Nach der Vorstellung liegt etwas Wehmut in der Luft ... Aber es gibt ja einen nächsten Operettensommer. Dann mit dem „Schwarzwaldmädel“, wie Katharina Kutil verrät.