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Politik Schuld ist „Liebling Kreuzberg“

Dreimal pro Jahr werden politisch Interessierte auf Einladung des Bundespresseamtes aus Magdeburg zu einer Fahrt nach Berlin eingeladen.

Von Thomas Linßner 10.06.2017, 01:01

Berlin/Barby l Der Busfahrer. Er kommt aus der Altmark, man hört es. Er ist freundlich, meistert souverän die Widrigkeiten des Berliner Stadtdschungels, hat ein Maß Routine, dass einem schwindlig wird. Und er wendet sein riesiges Mobil schon mal da, wo die Ordnungshüter in Schnappatmung verfallen würden, wenn sie es sähen. Im schicken, neuen Reisebus sitzen gut gelaunte Damen und Herren, die von Burkhard Lischka eingeladen wurden: aus Barby, der Börde, Brumby, Calbe und Magdeburg. Erwartungsvoll haben sie ein Zweitagesprogramm vor sich, dessen erster Termin der „Tränenpalast“ am Bahnhof Friedrichstraße sein wird. Doch erstmal müssen wir in Berlin sein. Das Navi unseres Busfahrers zeigt Unfälle auf der A2 und kurz vor Michendorf an. „Ick glaube, Michendorf können wir knicken“, sagt er. Dort ist eine kurze Pause eingeplant. Doch damit wäre der Zeitplan in Gefahr. 10.45 Uhr sollen wir in der Friedrichstraße sein. Also weiter. Der Bus hat schließlich eine Klo-Box an Bord.

Auf der zweispurigen Avus (ohne Standstreifen!) ist ein Pkw liegen geblieben, der den halben Verkehrsfluss blockiert. Wie muss sich dessen Fahrer fühlen, zum Radio-Star aller hauptstädtischen Verkehrsmeldungen zu werden?! Am „Tränenpalast“ erwartet uns Indira Sonnadara, die Betreuerin des Bundespresseamtes. Ihre indischen Wurzeln erkennt man nicht nur am Namen. „Die Ausstellung ‚Alltag der deutschen Teilung‘ zeigt am historischen Ort, wie es zur Gründung der zwei deutschen Staaten und zum Bau der Berliner Mauer kam, wie die Zoll- und Passkontrollen im Tränenpalast und die Überwachung am Grenzübergang Friedrichstraße funktionierten“, erzählt sie.

Der Museums-Führer heißt Andreas und begrüßt uns mit Berliner Schnodderigkeit: „Wo kommt Ihr her? Aus Sachsen-Anhalt? Ahh, ick sage immer AfD-Land dazu.“ Ehe wir uns darüber ein bisschen aufregen können, zieht Andreas sein Programm durch, nachdem er unverblümt Werbung für den Audioguide gemacht hat, der uns auf den Ohren klemmt. Im Tränenpalast können die Besucher den Ablauf der Grenzabfertigung nachvollziehen und durch eine Original-Passkontrollkabine gehen. Im Mittelpunkt der Ausstellung stehen die persönlichen Geschichten der Menschen, die die deutsche Teilung am eigenen Leib erlebt haben.

Weiter geht es zum Reichstag. Dort ist leider keine Parlamentsdebatte. Wir kriegen eine Führung und erfahren einige Details zur parlamentarischen Arbeit, zur Größe und Besetzung des Bundestages mit derzeit 630 Abgeordneten, zur Sitzordnung der Fraktionen im Plenarsaal. Wohl am meisten sind die Besucher von der Leistung der Bundestags-Stenografen beeindruckt. Die schreiben nicht nur die Worte des Redners mit, sondern notieren gleichzeitig auch Beifall und Zwischenrufe. Dabei müssen sie den Namen des Redners oder Rufers zuordnen können. Die Stenografen wechseln sich nach fünf Minuten ab und diktieren anschließend das Mitgeschriebene einer Schreibkraft. Wahnsinn. Dann steht ein Treffen mit Burkhard Lischka auf dem Plan. Der 52-Jährige schwingt sich in Jeans und dem geliebten blau karierten Hemd auf einen Tisch und lässt die Beine baumeln. Die Besucher sitzen ihm wie Studenten eines Auditoriums gegenüber.

Der gebürtige Sauerländer hat das Talent, die Leute sofort in ein Gespräch zu verwickeln. Warum er Jurist geworden sei? „Schuld ist Liebling Kreuzberg“, gesteht er. Gemeint ist die Fernsehserie mit Manne Krug, die ihn in seiner Studium-Findungszeit beeindruckte. Lischka plaudert gerne aus dem Nähkästchen. Viele seiner Bundestagskollegen würden „einen anständigen Job“ machen, einige möchte man aber nicht zum Nachbarn haben. Was in etwa dem Querschnitt der Bevölkerung entspräche. Die Arbeitszeit in den Berliner Sitzungswochen betrage 60 bis 80 Stunden. Da sei man „gut eingespannt“. Sein bester Freund ist Mitglied der CSU, erzählt der Sozialdemokrat.

Dann gibt Lischka eine Story zum Besten, die ihm sein Kollege Wolfgang Bosbach erzählte. Dem hatte ein Wut-Bürger vorgeworfen, „sich nur die Taschen zu füllen und zu wenig zu arbeiten“. Woraufhin Bosbach den Briefschreiber gegen 23 Uhr anrief, als er aus einer Bundestagssitzung kam. Als der Angerufene sich wegen der Nachtzeit aufregte, sagte Bosbach: „Was, Sie schlafen schon? Also ich bin noch im Dienst!“

Nach Stadtrundfahrt und einem Besuch im Auswärtigen Amt gleich neben dem ehemaligen Staatsratsgebäude steht das Stasi-Museum in Lichtenberg auf dem Programm. Es ist die ehemalige Höhle des Schakals. Hier hatte Erich Mielke seine Büro-Etage. Auch während der Inbesitznahme des MfS-Gebäudekomplexes durch Demonstranten am 15. Januar 1990 blieb dieser Bereich unangetastet. In den Räumen wurden Filmszenen zu „Das Leben der Anderen“ oder „Weissensee“ gedreht. Der Minister für die Staatssicherheit war einer der mächtigsten Männer der DDR. Zu ihren größten Zeiten beschäftigte die Stasi allein 90.000 hauptamtliche Mitarbeiter, dazu noch einmal doppelt so viele inoffizielle. Gemessen an der Zahl der zu Überwachenden war es der größte Geheimdienst weltweit.

Zu den Büros gehörte auch ein kleiner Wohnbereich, in dem Mielkes Sekretärin das Frühstück servierte. Der Minister wies per Dienstanweisung an: links der Eierbecher, Salz rechts, die Serviette zum Dreieck gefaltet. Kaiser Wilhelm hätte seine Freude gehabt. Die Stasi war Erich Mielke, und Erich Mielke war die Stasi. „Genossen, wir müssen alles wissen“ war sein Credo, und nach diesem formte er „sein“ MfS. Die Besucher wundern sich über die biedere Ausstattung. „Naja, Luxus sieht anders aus“, bemerkt einer aus unserem Bus. Er hätte zu DDR-Zeiten ein „besseres Bad als der Minister gehabt“. Der Museumsführer bemerkt dazu: „Wichtigstes Kriterium war nicht die Ästhetik, sondern die Aufklärungseffektivität.“ Keine weiteren Fragen. Die Zweitagesfahrt endet für uns auf dem Schönebecker Busbahnhof. Wir sind uns einig: Es waren interessante, bildungsreiche Stunden!