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Sammler-Serie Tante Bärbel und ihre Kaffeekannen

In der Serie „Ich sammle ja so gerne ...“: Bärbel Struve aus Barby und ihre Kaffeekannen-Sammlung.

Von Thomas Linßner 15.09.2016, 01:01

Barby l Bärbel Struve besitzt derzeit 1240 Kaffeekannen. In Worten: Eintausendzweihundertvierzig. Dabei bewohnt sie mit ihrem Gatten Günter nur ein kleines Haus im Stadtgraben, dessen Kapazität eher für Briefmarken- oder Bierdeckelsammler geeignet wäre. „Bierdeckel! Das ist gut“, lacht Bärbel Struve, „die habe ich als Kind gesammelt.“ Und Ansichtskarten. Später kamen Mokkalöffel, Hummel-Kinder, Setzkastenfiguren und, und, und ... hinzu. Die ehemalige Kindergärtnerin also nur auf die Sammelei von Kaffeekannen zu reduzieren, wäre zu kurz gegriffen.

Doch die sind ihr ganz persönlicher Hit. „Auf dem Tisch meiner Eltern stand immer so eine große, schwere Keramikkanne für 20 Tassen“, weiß die Barbyerin noch genau. Die nahm sie als junge Kindergärtnerin mit zur Arbeitsstelle, worin Milch oder Muckefuck für die kleinen Geister war. Im trubeligen Kita-Betrieb ging das Teil aber recht bald zu Bruch. Vielleicht lag es an dieser banalen Misere, dass sich die Barbyerin im Seniorenalter an die Familienkanne erinnerte (ein Psychologe wüsste dazu bestimmt etwas Kluges zu sagen).

So richtig los ging es nämlich bei Eintritt in die Altersteilzeit vor elf Jahren. Bärbel pinnte damals in ihrer Gnadauer Kita einen Zettel an die Wand, als das Abschiedsgeschenk Thema wurde: „Tante Bärbel freut sich über Kaffeekannen.“ Womit sie eine Lawine lostrat. Jeder scheidende Kollege kam mit einer Kanne, die Kinder stellten sie danach zuweilen beutelweise vor ihre Haustür.

Bärbel Struves Sammlung umfasste vor sechs Jahren 381 Exemplare. Heute sind es mehr als dreimal so viele. Für sie ein kleiner Schatz, der die Kaffeetrink-Kultur des Landes erhellt.

Es sind nicht nur wohlmeinende Freunde und Bekannte, die ihren netten Spleen nähren: Die 73-Jährige tummelt sich mit Vorliebe auf Flohmärkten oder leiert gerne anderen Sammlern Objekte ihrer Begierde aus den Rippen. Wobei sie die knallharte Geschäftsfrau raushängen lässt. Will ein Floh-Händler einen Euro haben, handelt sie den Preis schon mal um die Hälfte herunter.

Was natürlich nur bei Allerweltskannen klappt. Anders ist es bei Erzeugnissen von energiebewussten Herstellern, die ihrer Zeit voraus waren. So gibt es seltene Kannen, die von einem Filzgehäuse umschlossen sind. Ihr Material erinnert an die gleichnamigen Stiefel. Heute würde man das Wort Thermo gebrauchen. Früher waren sie jedoch die Ausnahme. Dauerte die Feier länger, bediente sich die Hausfrau normalerweise einer dämmenden „Kaffeemütze“. Sie war zwar wirkungsvoll aber recht klobig. Der Inhalt blieb zwei Stunden warm. Die Filzgehäusebehälter kamen aber eleganter daher. „Für so ein Ding muss man heute schon mal 25 Euro hinlegen“, stöhnt die Sammlerin.

In Zeiten von futuristisch wirkenden Kaffee-, Espresso- und Kaffeekapselcomputern sei daran erinnert, dass die Kannenkultur vor 80, 90 Jahren sehr von häuslicher Ästhetik geprägt war. So verschenkte man Kannen zur silbernen- oder goldenen Hochzeit. Das Ereignis steht in edelmetallfarbenen Lettern auf dem Porzellan (wobei die „Goldene“ seltener ist, weil Paare sie nicht so oft wie heute erlebten).

Bärbel Struves originellstes und lustigstes Stück ist jedoch eine Katzenkanne. „Das gehört sich auch so. Schließlich haben wir zwei Miezen im Haushalt“, lächelt die Barbyerin, während die Samtpfoten über den lauschigen Hof schleichen. Die treu blickende Porzellan-Mieze mit dem dicken Bauch und der feschen Schleife um den Hals sieht aus, als wäre sie wenig benutzt worden. Was offenbar von der guten Qualität des kaiserlichen Materials abhängt. Denn so alt wird sie sein.

Die herzige Katzenkanne wird Generationen von Kindern entzückt haben, wenn sie daraus eingießen durften. Die originelle Form motivierte und Inhalte traten in den Hintergrund (was heute in jeder Werbesendung das A und O ist). Daraus hätte das Kind sogar klebrigen Lebertran getrunken, der normalerweise mit Widerwillen geschluckt wurde. Warum sind eigentlich heutige Produkt-Designer noch nicht auf diese Idee gekommen?

Eine von Bärbels Kannen lässt sich der Form wegen eindeutig der wilhelminischen Zeit zuordnen. Doch Pustekuchen: Ein Blick auf den Boden verursacht Stielaugen: „Spülmaschinenfest“ steht da. Ein Plagiat heutiger Tage also. Warum auch nicht. Was schön ist, ist zeitlos.

Wenn Kaffeekannen erzählen könnten, würden sie davon berichten, was ihnen im Laufe ihres mitunter langen Lebens so alles aus der Tülle floss. Echter Bohnenkaffee, solcher aus gerösteten Eicheln, Zichorie oder der gefürchtete Kaffee-Mix aus den späten 1970er Jahren. Letzterer brachte das DDR-Kollektiv mehr in Harnisch, als 14 Jahre auf ein Auto warten zu müssen. Ehemann Günter – im Berufsleben war er Böttcher – muss immer mal wieder ein Regal oder einen Schrank bauen. Denn ein Ende der Sammelwut ist nicht abzusehen. „Immer wenn ich eine neue Kanne erworben habe, drücke ich sie ans Herz und freue mich“, gesteht Bärbel Struve lächelnd. Und es ist wissenschaftlich nachgewiesen, dass Freudenhormone das Leben verlängern. Wer die Sammelleidenschaft von Bärbel Struve unterstützen möchte: Sie ist erreichbar unter der Rufnummer (03 92 98) 35 67.