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Interview Schellenberger: Aus dem Salzland an die Spitze des Landtags

Ein Salzländer steht an der Spitze des Landtags. Im Interview mit Volksstimme-Chefreporterin Sabine Lindenau spricht Gunnar Schellenberger (CDU) über seine neue Macht und seine Herzensangelegenheiten im Kreis.

Aktualisiert: 27.07.2021, 08:14
Verwurzelt im Salzlandkreis, aktiv  darüber hinaus? Der neue Landtagspräsident Gunnar Schellenberger, hier  vor der Kirche in seinem Heimatort Biere, geht die neue Aufgabe gelassen an.
Verwurzelt im Salzlandkreis, aktiv darüber hinaus? Der neue Landtagspräsident Gunnar Schellenberger, hier vor der Kirche in seinem Heimatort Biere, geht die neue Aufgabe gelassen an. Foto: privat

Volksstimme: Herr Schellenberger, wie waren die ersten Wochen als Landtagspräsident?

Schellenberger: Spannend. Ich kenne natürlich das Haus, auch viele Mitarbeiter. Aber bei 130 kennt man nicht alle und auch nicht jede Ecke. Letzte Woche habe ich einen großen Rundgang gemacht, war an jedem Arbeitsplatz und bei den Mitarbeitern. Wir haben uns über viele gemeinsame Zeiten unterhalten. Zum Beispiel habe ich vor wenigen Tagen Pressesprecherin Ursula Lüdkemeier verabschiedet. Sie war 19 Jahre hier, ich bin 19,5 im Haus. Es sind viele Dinge, die ich kenne, aber von einer anderen Seite. Ich habe immer in der zweiten Etage gesessen, jetzt sitze ich in der ersten. Es sind jetzt plötzlich meine Mitarbeiter, für die ich mitverantwortlich bin. Es herrscht eine sehr freundliche, aufgeschlossene Atmosphäre und es gab ein herzliches Willkommen von vielen, von fast allen eigentlich.

Das klingt ja nach einem guten Start ...

Ich denke schon. Die Aufgaben kenne ich ja. Nur von einer anderen Position. 14 Jahre habe ich Sitzungen als Ausschussvorsitzender geleitet. Die vielen Jahre haben mir auch viel gebracht. Um das Haus kennenzulernen, um zu wissen, wie ein Parlamentsbetrieb läuft, wie die Ausschüsse laufen. Noch einmal in die Staatskanzlei zu wechseln, das war auch eine ganz spannende Zeit für mich. Das ist ja doch immer noch einmal eine besondere Position. Legislative, Exekutive und jetzt wieder zurück. Und dann in der Position. Ich glaube, ich habe einen guten Lernprozess auf dem Weg gemacht. Da hat der Spruch „Lebenslanges Lernen“ sehr viel Sinn. So habe ich es in meinen Etappen auch immer empfunden und bin auch sehr froh, dass ich jetzt diesen Schritt noch einmal gehen kann.

Wie zufrieden waren Sie mit Ihrem Abschneiden bei der Wahl zum Landtagspräsidenten?

71 Prozent von einem Parlament zu bekommen, ist nicht schlecht. Man kann auch sagen gut. Es ist schon beachtlich. Zum Schluss weiß man ja nicht, wer einen gewählt hat. Eine Stimme kenne ich, das ist meine. Ich denke, das ist eine ganz breit vernetzte Zustimmung. Und das finde ich ganz gut. Da sehe ich auch meine Aufgabe. Man wird mit den Jahren ja ruhiger, sieht Dinge gelassener. Vor 19 Jahren hätte ich bei manchen Positionen auch anders reagiert. Heute weiß ich, wie das Geschäft funktioniert, man ist über- legter. Und das ist schon wichtig.

Glauben Sie, das war vor allem eine Personenwahl, bei der dasParteibuch nicht so ausschlaggebend war?

Das hat sicher weniger was mit der CDU, sondern eher was mit der Person zu tun. Sie müssen ja auch in mich das Vertrauen setzen, dass ich in der Lage bin, egal welche Farbe, mir auch die Anliegen anderer Parteien anzuhören, mitzuhelfen, diese umzusetzen. Ich glaube, da braucht man schon ein breites Vertrauen.

Als Landtagspräsident sind Sie ja ohnehin überfraktionell aktiv. Und auch dazu, um im Parlament mal zur Ordnung rufen ... Wie stellen Sie sich die Arbeit als Moderator vor?

So, wie ich es in meiner Antrittsrede formuliert habe: das Parlament in seiner Gesamtheit zu leiten und zu lenken. Und die Frage, wie die Wahrnehmung der Demokratie und des Parlaments nach außen und nach innen ist, mit zu beeinflussen. In dem Bereich haben wir noch ziemlich viele Möglichkeiten, das bisherige Gute zu verbessern. Denn die Öffentlichkeitsarbeit ist schon ein wichtiger Punkt. Gerade in der Pandemie war das sehr eingeschränkt. Ich darf das Gesetz unterschreiben. Aber das Gesetz wird im Parlament gemacht. Also bin ich gut beraten, mir die Mehrheiten zu holen. Ich sitze seit ewigen Zeiten im Kreistag, bin Kreisentwicklungsausschussvorsitzender. Eine Ausschussarbeit effizient zu leiten, das traue ich mir zu. Man muss ein bisschen aufpassen, dass man auch die kleinen, feinen Töne immer mithört, dass man da nicht so schnell drüberweggeht. Aber ich denke, das kriege ich gut in den Griff.

Rechnen Sie mit großen Streitdebatten in der bevorstehenden Legislaturperiode, bei denen Sie schlichtend eingreifen müssen?

Wir sollten nicht miteinander streiten, sondern miteinander reden. Und sicherlich wird es auch mal in einer Streitdebatte dazu kommen, dass man versucht, die Möglichkeiten auszuschöpfen. Aber das ist genau das Spannende, wo man aufpassen muss, dass das Ausschöpfen nicht dazu führt, dass der andere beleidigt oder diffamiert wird. Das ist eine Frage des Umgangs miteinander. Wenn wir da relativ schnell darauf hinweisen, wird es schon gelingen. Ich hoffe, dass wir solche Eklatsituationen nicht bekommen. Das ist mein Ziel. Wenn es passiert, muss man handeln, das ist auch völlig klar. Ich hoffe schon, dass wir ein gutes demokratisches Miteinander hinbekommen.

Wie viel Zeit bleibt Ihnen da noch für den Salzlandkreis?

Mein Wahlkreis ist natürlich wichtig. Dort liegen meine Herzensangelegenheiten, die ich auf jeden Fall weiter verfolge. Da bin ich da, da kann man sich drauf verlassen. Wie ich das in den bisherigen 19 Jahren gemacht habe, so wird es auch weiter bleiben. Und ich werde mir auch wöchentlich ein Zeitfenster organisieren, dass ich in meinem Wahlkreis bin. Was ich noch nicht geschafft habe, ist, dass ich weiß, wann das Zeitfenster sein wird. Aber eingeplant ist es. Ich muss erst sehen, wie die Abläufe hier effizient organisiert sind. Ab 15. August ist mein Wahlkreisbüro wieder besetzt. Ich glaube, das kriegen wir gut in den Griff. Der Wahlkreis wird gut betreut. Ich bleibe auch im Kreistag. Das ist meine Basisarbeit.

Im jüngsten Kreisentwicklungsausschuss wurden Sie von einem Abgeordneten der Linken angesprochen, ob Sie weiter für das Ringheiligtum da sind. Ist das schön, wenn diese Wertschätzung für Sie aus der linken Ecke kommt?

Sie sehen ja, wie breit die Basis ist. Egal, ob FDP oder links oder was auch immer, die sehen die Sache an sich. Da fühlt man sich schon stolz. Vor 10 oder 12 Jahren, als wir damit an- gefangen haben, haben sie gesagt, lasst uns das Geld in andere Sachen investieren. Inzwischen haben sie alle eingesehen, dass die Arbeit nicht nur regional, sondern auch national und international anerkannt ist. Da sind wir als Region sehr bekannt geworden. Wir müssen das noch wesentlich besser vermarkten. Es kann nicht sein, dass es am Ringheiligtum – abgesehen vom Probe-Imbissangebot im Juli – kein Catering gibt. Da muss man flexibler werden. Da kümmere ich mich drum. Genauso wie um das Pretziener Wehr. Das hat auch nichts mit Wahlkampf zu tun. Das sind strategische Dinge, die für das Land richtig wichtig sind.

Könnte Ihre Position als Landtagspräsident mit Ihrer Arbeit im Kreistag kollidieren?

Ich glaube nicht. Wir sind auf Kreisebene ja sehr sachbezogen. Da gibt es keinen politischen Streit an sich bei uns im Kreistag, zumindest habe ich das noch nie so erlebt. Das ist eine Sachdebatte. Das macht ja auch Spaß, viele Dinge anzuschieben. Ich brauche sogar die Kreisarbeit. Ich denke nur an das Projekt „IT macht Schule“. Das habe ich damals mit angestoßen, das finde ich einfach wichtig. Das sind strategische Entscheidungen, die man da treffen kann, die fürs Land auch entscheidend sind. Jetzt gerade gibt es eine neue Idee: eine Kulturabgabe. Wenn der Landkreis eine bestimmte Investition im Bereich Kultur hat, könnte man sagen, wir können einen Ansatz im Finanzausgleichsgesetz finden, einen gewissen Obolus zu zahlen. Das gibt es in Thüringen, ich halte das für eine gute Idee, bin jetzt mit in der Verhandlungsrunde für Kultur. Auf CDU-Seite. Aber da sind die Annäherungspunkte auch recht groß mit den Partnern. Wenn wir diese Kulturabgabe mit in den Koalitionsvertrag reinkriegen, könnte der Salzlandkreis profitieren.

Wie ist es eigentlich in Ihrer CDU-Landtagsfraktion aufgenommen worden, dass Tobias Rausch (AfD) gesagt hat, Sie arbeiten auf Kreisebene so gut zusammen?

Das ist eher nicht thematisiert worden. Der Fraktionsvorsitzende im Kreis, Gerald Bieling, hat ja noch einmal deutlich gesagt, wie die Zusammenarbeit mit der AfD auf Kreisebene ist. Nämlich: Wir haben keine. Ich glaube, das war ein deutliches Zeichen. Es ist dann immer am besten, wenn Leute wie er das noch mal erklären. Ich muss mich da auch nicht verbiegen. Wie schon am Anfang gesagt, die Zustimmung kam von allen Teilen. Und Sie haben es selber gerade gesagt, wenn ein linkes Kreistagsmitglied meine Arbeit so lobt und sagt, hoffentlich bleibt er uns erhalten, dann sieht man ja, wie breit die Palette ist. Inzwischen bin ich fast 20 Jahre in der Politik. Da macht man solche Fehler nicht, dass man exorbitant auf eine Seite driftet. Ansonsten wäre ich nicht da gelandet, wo ich gelandet bin. Natürlich habe ich bei den Vorstellungen gesagt, ich habe meine eigenen Ideen und werde für meine Ideen streiten. Es ist nur die Frage, wie man das macht.

Welche Ideen sind das konkret?

Na zum Beispiel, wie man die Öffentlichkeit mit einbezieht. In der Kultur sind wir mit Unesco neue Wege gegangen. Das hat am Anfang nicht allen gefallen, inzwischen schon. Hier wollen wir jetzt neue Wege suchen, auch mal in sozialen Medien wie Instagram aufzutreten. Auch mit einer breiteren Meinungsmöglichkeit. Man muss aber genau überlegen, wie man das macht. Man muss ja alle mitnehmen. Da sind wir gerade am Tüfteln. Im September möchte ich das im Ältestenrat noch mal ansprechen. Ich hoffe, dass ich eine breite Mehrheit bekomme.

Das heißt also, Sie planen eine Social-Media-Kampagne für den Landtag?

Ja, für den Landtag, für die Fragen von Demokratie, für unsere Gesetze. Damit man auch mal die Gesetze erklärt; was hier passiert, womit wir uns beschäftigen. Da kommt wieder so ein Stück Lehrer in mir durch. Den Leuten das Komplizierte einfach erklären. Viele wissen doch gar nicht mehr, was hier geschieht. Wir müssen überlegen, wie man das einfach runterbrechen kann. Damit die Menschen wieder Interesse haben und nicht nur sagen: „die da oben“. Das ist Quatsch. Die da oben sind ganz normale Leute von da unten.

Sie sind ja sehr Social-Media-affin. Ich sehe immer wieder einen Hashtag #gibtSinn. Was steckt dahinter?

Es gibt inzwischen zwei, #gibtSinn und #wirdgemacht. Weil ich sage, wenn eine Sache Sinn gibt, dann muss man es machen, dann wird es gemacht. Das ist so mein Leitspruch. Das macht mir Spaß.

Machen Sie Ihre Posts auch auf allen Kanälen selbst?

Ich mache alles selber. Jetzt habe ich erst mal 14 Tage Pause eingelegt, um mich da noch mal zu prüfen: Wie kannst du das weiter organisieren, du bist jetzt eben Präsident. Deshalb habe ich es erst mal runtergefahren. Ich bin gerade dabei, das abzustimmen, würde es schon gern weitermachen. Aber man muss schon überlegen, wo man aufpassen muss, dass es nicht zu viel wird. Ich habe jetzt auch Mitarbeiter, die mir helfen können. Aber ich lege da schon Wert drauf. Es sind ja meine eigenen Erfahrungen, eigenen Gefühle, die ich da rüberbringe, darum mache ich das auch gern selber. Das abreißen zu lassen wäre falsch.

Tut solch ein Social-Media-Verzicht auch mal gut oder hat es gekribbelt, etwas zu posten?

Es tut schon gut. Auf der anderen Seite sollen die Leute ja schon sehen, was man gerade macht. Aber ich weiß eben, damit gewinnst du keine Wahl. Du hast aber ein gewisses Klientel, was du bedienst, das will auch informiert werden. Mein Schwiegervater liest zum Beispiel nur Zeitung. Die ganze Masse ist eine Vielfalt von ganz unterschiedlichen Positionen. Sie alle zu erreichen, ist schon spannend. Oder auf dem Markt freitags in Schönebeck. Da gibt es so eine Truppe mit fünf, sechs Leuten, da hat mich gerade erst einer angerufen und gesagt: „Jetzt kommst du wahrscheinlich gar nicht mehr.“ Da habe ich gesagt, nächsten Freitag komme ich mal rum. Das sind so Dinge, die Spaß machen.

Ist Ihre neue Aufgabe noch zeitintensiver als die vorherige als Staatssekretär?

Also ich glaube, mehr als ein Staatssekretär kann man gar nicht arbeiten. Die ersten drei Jahre waren echt hart. Locker 70 Stunden in der Woche. Hier wird es sicher auch anspruchsvoll sein. Aber mehr geht eigentlich nicht. Es ist nur die Frage, wie man das Feld ausfüllt. Ich möchte beispiels-weise auch Präsident des Deutschen Nationalkomitees für Denkmalschutz (DNK) bleiben. Wir prüfen gerade, wie das geht. Die Kultusministerkonferenz ernennt ja den DNK-Präsidenten. Vielleicht sagen sie, das DNK kann auch von einem Landtagspräsidenten geführt werden.

Woher nehmen Sie die Kraft für diese vielen Aufgaben?

Wenn es Spaß macht, hat man genug Kraft.

Wenn Sie freie Zeit haben, wie nutzen Sie diese?

Das sieht man an meinen Händen (lacht). Mit Gartenarbeit. Eine Stunde Mittagsschlaf mal am Wochenende: gern. Aber ansonsten treibt es mich hoch, ich muss raus, brauche frische Luft. Im Garten gibt es so viel zu tun. Und ich finde sogar noch Zeit, zur Jagd zu gehen. Aber gerade die Jagd brauche ich. Ich mache das ja nicht, um unbedingt Tiere zu schießen. Ich gehe auf die Jagd, um zu genießen, zu beobachten und zu überlegen. Da kommen mir immer die besten Gedanken. Neulich nach dem Mittagsschlaf ging es so los, da habe ich zu meiner Frau gesagt, ich mache gerade Koalitionsverhandlungen. Da war ich im Kopf total frei. So ist es mit der Jagd oder der Gartenarbeit. Ich sage immer: Unkraut widerspricht nicht.