Schlosspark Ein Ort, der tabu ist

Im Heimaträtsel der Volksstimme war nach dem Schlosspark in Barby gefragt worden. Der gesuchte Teil ist für die Öffentlichkeit tabu.

Von Thomas Linßner 27.01.2017, 16:39

Barby l „Postkarte Kgl. Lehrerseminar Barby a. d. Elbe. Schöner Ausblick vom Park. Mit Blick auf die kleine Elbe. Die Mauer und der Park sind noch vorhanden, aber eben nicht mehr zugänglich“, schreibt Rüdiger Frenzel im Telegramm-Stil. Der Barbyer Historienfreund, der auch eine umfangreiche Sammlung alter Ansichtskarten besitzt, von denen einige auch in der Chronik von 2008 veröffentlicht sind, liegt vollkommen richtig. Die gesuchte Perspektive mit dem Mann auf der Bank und dem Kind davor wurde im Schlosspark aufgenommen. Und zwar auf dem Gelände des heutigen Grundbucharchivs. Im Hintergrund schimmert das Mauertürmchen „Prinzeßchen“ ein wenig durch die Laubbäume. Es ist also nicht der heute begehbare Teil des Schlossparks. Rüdiger Frenzels Bemerkung „nicht mehr zugänglich“ muss relativiert werden. Das Gelände des Barbyer Schlosses war in seiner 300-jährigen Geschichte noch nie öffentlich zugänglich. Weder bei Herzog Heinrich, den Herrnhutern, des königlichen Lehrerseminars, der Herzog-Heinrich-Schule, der Sowjet-Kaserne, des Aufnahmeheims und schließlich des Grundbucharchivs gab es immer mehr oder weniger strenge Regelungen, die die Öffentlichkeit fern hielten. Ebenso verhielt es sich übrigens mit dem Schlosspark, der heute zugänglich ist. Er gehörte bis 1945 zum Rittergut und wurde von der Familie von Dietze privat genutzt. Erst mit der Tausendjahrfeier 1961 stand der Park jedermann offen.

Das gesuchte Foto wurde kurz nach der Wende vom 19. zum 20. Jahrhundert aufgenommen. Zu jener Zeit bildete der preußische Staat im „Seminar“ Lehrer aus. Der junge Mann auf der Bank, der „ganz zufällig“ sein Gesicht verdeckt, wird so ein Seminarist gewesen sein. Um das Bild „zu beleben“, dürfte Fotograf Heinrich Viek ihn gebeten haben, Platz zu nehmen. Denn eine leere Bank hätte sich gestalterisch „schlecht gemacht“. Eine spätere Aufnahme Vieks zeigt einen älteren Mann darauf sitzend. Das Schema war das gleiche. Schon damals galt das Motto „Menschen wollen Menschen sehen“, wenn es Zeitungs- oder Ansichtskartenveröffentlichungen betraf.

Die nahezu richtige Lösung wusste auch unser treuer Heimaträtseler Armin Wellnitz aus Schönebeck, der seine Kindheit in Barby verbrachte. Er tippte allerdings auf den Schlossparkteil am Pegelhäuschen. „Den hatten die Russen auch besetzt und mit einem hässlichen, blickdichten Bretterzaun eingezäunt“, sagt Wellnitz. In der Nähe habe es ein fahrbares Sägewerk gegeben, wo die Soldaten aus Stämmen Bauholz schnitten. „Da haben wir so manches Brett, so manchen Balken gemaust. Es gab ja nichts zum Verheizen.“ Einmal wurden die zwölfjährigen Jungen von einem Offizier dabei erwischt. Sie mussten mit auf die Kommandantur und wurden „verhört“. Was eher eine erzieherische Maßnahme war, um dem Holzklau Einhalt zu gebieten. Denn den Rotarmisten war nicht entgangen, dass die Bevölkerung fror und es kaum Kohlen gab.

Klaus Merker aus Barby vermutete den ähnlichen Standort des Fotografen wie Armin Wellnitz. Der pensionierte Polizeibeamte gab noch einige Episoden aus seiner Jugendzeit zum Besten, die dieses Terrain betrafen. „Unser Zeichenlehrer hatte uns die Aufgabe erteilt, vom Elbwerder aus ein Panorama der Stadt zu zeichnen. Er hatte nur übersehen, dass gerade Hochwasser war“, lacht Merker. So blieb den Jungen weiter nichts übrig, als die Hosenbeine hochzukrempeln und die Aufgabe zu erfüllen. (Was für eine beeindruckende Einsatzbereitschaft damals, wenn der Lehrer etwas sagte …) Eine andere Geschichte rankt sich um ein „Westpaket“, in dem eine Flasche Franzbranntwein war. Die neugierigen Knaben nahmen dabei allerdings nur die letzte Silbe wahr und ließen sie kreisen. Denn „Wein“ und „West“ mussten ja gut sein.

Franz-Günther Knopf aus Schönebeck verbrachte in den 1960er Jahren oft die Sommerferien bei seinen Großeltern in Barby. „Für uns Jungen war es sehr spannend, die Stadtmauer hochzuklettern und nach den Westautos zu gucken.“ Bundesdeutsche Übersiedler kamen ja zuweilen mit dem eigenen Wagen. Die Autos standen dann auf der Rückseite des Schlosses. „Es war dann immer der Blick in eine fremde Welt, die unsere Fantasie anregte“, erzählt Knopf. Die Kletterei wurde von der Volkspolizei allerdings nicht gerne gesehen. „Die haben uns dann von der Mauer gejagt, wenn wir es übertrieben.“

Und bei dieser Beobachtung schließt sich der Kreis. Die munteren „Westauto-Spanner“ lugten dort über die Mauer, wo Heinrich Viek vor rund 110 Jahren den Mann auf der Bank ablichtete.