Sommerserie ProBIERen wir es mal

Volksstimme-Mitarbeiter schnuppern für die Serie „Einen Tag als ...“ in interessanten Beruf hinein: Braumeister in der Elbbrauerei Frohse.

Von Olaf Koch 02.07.2019, 10:32

Frohse l Na dann los, probieren wir es mal! Als ich mich pünktlich um 9 Uhr in Blaumann, festen Arbeitsschuhen mit Stahlkappe und gold-gelben T-Shirt wie eines der Biere aus der Elbbrauerei Frohse melde, hat Braumeister Stefan Henning schon ein Stück Arbeitszeit hinter sich. So früh wollte er den „Praktikanten auf Zeit“ nun doch nicht an den Hacken haben. Denn wer weiß, wie sich der Volksstimme-Redakteur anstellt? Wir begrüßen uns mit festem Handschlag und duzen uns gleich – was zeigt: Hier geht es schon mal etwas rustikaler zu. Schön, das mag ich.

Dass ich mir den Beruf des Braumeisters für die Sommerserie ausgesucht habe, hat einen Grund: Bier liegt mir emotional irgendwie näher als Milch. Ich möchte wissen, wie viel Arbeit eigentlich in einer Flasche Holunder-Bier mit zwei Prozent Alkohol steckt, die ich im Hochsommer bei mehr als 30 Grad Celsius innerhalb von fünf Minuten meine Kehle hinunterlaufen lasse.

Doch bevor mich der großgewachsene Braumeister in die Geheimnisse seines Bierbrauens einweiht, habe ich profanere Aufgaben zu übernehmen: Ich muss Fässer spülen. Klingt cool, ist cool. Die leeren Fässer werden mit der Öffnung nach unten auf eine Maschine gestellt. Sie drückt das Fass fest und reinigt es automatisch innerhalb von knappen drei Minuten. Es ist heiß an der Maschine, zudem scheint die Sonne in die gläserne Brauerei in Frohse.

Mein Braumeister lächelt: Die erste Aufgabe habe ich ohne Schäden an meinen Fingern und seiner Brauerei geschafft. Sein Vertrauen wächst, dass so ein Volksstimme-Redakteur nicht immer zwei handwerklich linke Hände haben muss. Ich darf mehr machen. Und so langsam taut Stefan Henning wie das Packeis auf Grönland auf. Fragt man ihn nach der Geschichte des Bieres, nach Besonderheiten und vor allem nach seiner Elbbrauerei Frohse, fließt es wie aus einem offenen Zapfhahn, und man hört die Leidenschaft, mit der der 36-Jährige seiner Arbeit nachgeht. Denn wie das im Leben häufig ist, werden die Weichen oftmals erst durch einen Zufall in eine bestimmte Richtung gestellt, so auch bei Stefan Henning.

Er studierte erst Maschinenbau, was als selbständiger Bierbrauer nicht unbedingt unnötige Zeit gewesen sein muss. Ein Zivildienst-Mitstreiter brachte Henning später auf die Idee des Bierbrauens. „Ich war davon irgendwie angetan“, erzählt der Meister.

Die nächsten Schritte waren deshalb folgerichtig: Praktikum in einer nahen Brauerei in der Colbitz-Letzlinger Heide, Ausbildung zum Brauer und Mälzer, anschließend ein internationales Studium in Berlin zum Diplom-Braumeister und einen Meisterbrief.

Mit all dem Wissen in der Tasche machte sich Stefan Henning selbständig, denn es kann auch in der Börde klappen, was in Bayern funktioniert. In jenem Bundesland, wo bei Männern Lederhosen irgendwie Tradition sind. Dort hat jedes kleine Dorf seit Generationen eine Minibrauerei und das Geschäft läuft.

„Zunächst war ich ‚Gypsy‘-Brauer“, erzählt mein neuer Chef als wir die erste Pause an diesem Tag machen. „Gypsy“ klingt irgendwie nach Freiheit und großer, weiter Welt und steht eigentlich nur für das englische Wort „Zigeuner“. Als sogenannter Wanderbrauer tingelte Stefan Henning seit August 2015 von Brauerei zu Brauerei in Niedersachsen. Nordfranken und Mecklenburg-Vorpommern – ähnlich wie Gesellen, die auf der Walz sind. „Das sind Erfahrungen, die einem keiner nehmen kann“, berichtet der Frohsianer.

Das kurze Ausruhen für den schreibenden Brau-Praktikanten ist vorbei. Jetzt füllt Stefan Henning leichtes Grapefruit-Bier von einem riesigen Fass in handliche Fünf-Liter-Fässer um. Ich darf die Fässer anschließend mit Wasser abspritzen, mit einem Aufkleber der Elbbrauerei versehen und den Tragegriff aufstecken. Währenddessen reinigt Stefan Henning die leeren Tanks abwechselnd mit Wasser und Desinfektionsmittel.

Dabei wechselt er nach einer bestimmten Zeit jede Menge Schläuche, die das Wasser hin- und her- und abpumpen. Nach dem dritten Wechsel habe ich den Überblick verloren und mache wie eine Marionette nur das, was mein Boss mir sagt. Gründe hinterfragen ist nicht mehr.

Stefan Henning lächelt. „Das geht mir aber manchmal auch so. Mehr als zwei, vielleicht drei Dinge auf einmal kannst du nicht machen. Wenn dann ein Anruf kommt oder ein Kunde in der Tür steht, der Bier kaufen will, geht irgendwas schief.“

Stimmt. Wie auf Kommando kommt ein Mann aus Grünewalde durch die Tür. Er bringt leere Flaschen zurück und will neues Bier kaufen. „Wir haben hier auch ein Dunkles“, macht der Braumeister dem Kunden das Produkt interessant. Ohne eine Antwort abzuwarten, stellt Stefan Henning drei Gläser auf den Tresen und gießt für den Kunden, für sich und für mich eine kleine Probe ein. Ich darf mittrinken – das ist der Moment, warum ich diesen Job liebe.

Der Mann aus Grünewalde sagt genau das, was auch die Unternehmensphilosophie von Stefan Henning ist. „Das Bier hier aus der Elbbrauerei Frohse ist ein Genuss-Bier. Das ist teurer als aus dem Supermarkt, schmeckt dafür aber auch besser. Davon trinkt man abends nicht mehrere Flaschen, sondern erfreut sich bei jedem Schluck.“

Die kleine Bier-Manufaktur am Reuterplatz in Schönebecks Ortsteil ist längst kein Geheimtipp mehr und die einzige Brauerei im Salzlandkreis. 600 Hektoliter werden pro Jahr produziert, das sind umgerechnet rund 60.000 Liter – Bier und Biermischgetränke. Knapp 20 verschiedene Sorten, die teilweise nur saisonal gebraut werden. „Ich versuche, immer wieder neue Rezepte auszuprobieren“, erzählt der Braumeister, der Spaß daran hat, wie in einem großen Labor immer neue Biere mit anderen Geschmacksrichtungen zu konzipieren. Klar, manchmal geht geschmacklich auch etwas schief. Doch in der Regel hat Stefan Henning inzwischen die Erfahrung und weiß, welche Zutaten in welcher Menge notwendig sind. So dauert es manchmal mehrere Monate, bis das Bier oder Mischgetränk für ihn perfekt ist und in den Handel geht.

Dass Bierbrauer nicht nur Handwerk, sondern wie Koch oder Bäcker auch ein bisschen Kunst ist, merke ich schnell. Beim Abwiegen des Hopfens kommt es auf jedes Gramm an, Grobmotoriker hätten es schwer in einer Brauerei wie dieser in Frohse.

Stefan Henning befüllt die Tanks. Seine Maxime: „Mein Bier wird nicht pasteurisiert, nicht gefiltert und enthält keine Hilfsstoffe.“ Der Frohser Gerstensaft ist ein sogenanntes Frischebier, das im Kühlschrank aufbewahrt werden sollte und eine übersichtliche Haltbarkeit hat.

Alleinunternehmer zu sein, ist für ihn Fluch und Segen zugleich. „Angenehm ist, dass mir keiner reinredet und ich neue Rezepte ausprobieren kann, wie ich möchte“, erzählt er. Doch die Nachteile sieht selbst der „Praktikant auf Zeit“ schon in der ersten Stunde: Stefan Henning ist nicht nur Bierbrauer, sondern macht auch den Werksverkauf, ist seine eigene Sekretärin, sein Marketingchef – er macht alles, was anfällt.

Endlich bleibt mal Zeit, über Bier zu sprechen. Als mir Stefan Henning die vielen Prozesse des Bierbrauens erzählt, schwindet mein Interesse langsam – ich hatte es mir wesentlich einfacher vorgestellt. Beim Bierbrauen werden die Bierzutaten Wasser, Malz und Hopfen miteinander vermischt und durch Fermentation (üblicherweise mit Zugabe von Hefe) biochemisch verändert. Vom Grund her werden je nach Verhältnis von Gerstenmalz, Hopfen und Ablauf des Wasserzusatzes die Brauart unterschieden. Das ist Basiswissen, danach steige ich gedanklich aus. Wie viel Geduld aber erforderlich ist, um ein Bier zu brauen, das Durst löscht, schmeckt und Freude macht, verdient Respekt. In der Elbbrauerei Frohse sind es zehn bis zwölf Wochen: vorbereiten, ansetzen, umpumpen, gären, verfeinern, warten, warten und wieder warten.

Doch was am Ende aus den Tanks in die Fässer und Flaschen läuft, gefällt mir und lässt mir das Wasser im Mund zusammenlaufen: Frohser Elbröwer, Schwarzes Reuter, Frohser Sonnenstrahl, Frohser Früchtchen, Frohser Hell, Weihnachtsbier ... So schmeckt Heimat, die sogar schon bis nach Schweden von einem Kunden mitgenommen wurde.

Na dann: Prost!

Die nächste Folge der Sommerserie erscheint am kommenden Dienstag, 9. Juli: Dann arbeitet Enrico Joo als Bademeister.