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Soziallotsen Mehr Bürokratie für Integrationshelfer

Der Schönebeck Walter Görgens betreut seit vier Jahren Füchtlinge bei der Integration. Wie lange noch, ist unklar.

Von Jan Iven 17.06.2019, 19:37

Schönebeck l Wenn man Walter Görgens fragt, warum er sich um Flüchtlinge kümmert, sucht er einen alten Evakuierungsbefehl vom Januar 1945 raus. In dem alten Schriftstück wird die deutsche Bevölkerung von Breslau, wie die heute polnische Stadt Wroclav damals noch hieß, aufgefordert, sich zur Flucht Richtung Westen bereit zu machen. „Meine Mutter ist mit meinem Bruder und mir zu ihrer Familie nach Schönebeck flohen“, sagt der 75-Jährige, der damals kein Jahr alt war. Sein Vater musste an der Ostfront gegen die anrückenden Russen kämpfen, kehrte aber nie zurück.

Grögens erinnert sich noch daran, wie schwer es für ihn als junger Mensch auch Jahre dem Kriegsende war, in Schönebeck heimisch zu werden. „Wir waren Jahre lang Außenseiter“, sagt er. Und dass, obwohl sein Großvater Pastor in der St. Johannieskirche in Bad Salzelmen war. Doch gerade seine Fluchterfahrung und seine christliche Erziehung haben ihn dazu bewegt, sich vor vier Jahren nach einem Zeitungsaufruf als Soziallotse zu melden und sich ehrenamtlich um Flüchtlinge zu kümmern. „Man möchte etwas zurückgeben, wenn es einem gut geht“, sagt der Mathematiker, der früher ein Rechenzentrum im Traktorenwerk aufgebaut hat, nach einigem Nachdenken.

Doch eigentlich kann er mit der Frage nach seinen Motiven gar nicht so viel anfangen. „Warum sollte ich den Menschen in Not den nicht helfen?“ fragt er zurück. Als Soziallotse wurde er vom Landkreis beauftragt und hilft den neuangekommenen Flüchtlingen bei den ersten Behördengängen. Beantragung von Papieren, Anmeldung bei der Krankenkasse und den Ärzten, Schultauglichkeitsprüfung für die Kinder und Deutschkurse für die Erwachsenen – gerade wenn die Neuankömmlinge am Anfang noch kein Deutsch sprechen, ist der Soziallotse für die Fremden wichtig, um ihnen den Weg durch den Alltag zu erleichtern. In den vergangenen vier Jahren hat Walter Görgens schon Dutzende von Flüchtlingen betreut, darunter viele Familien. Viele stammen aus Syrien, aber er hat sich auch schon um Menschen aus Afghanistan, Serbien oder Tschetschenien gekümmert. Wobei seine Hilfe vor allem in der Eingewöhnungsphase in Deutschland benötigt wird.

Einer seiner ehemaligen Schützlinge ist der 26-jährige Kurde Fadel Moslem, der vor drei Jahren mit seiner Frau Edela aus Syrien nach Schönebeck geflohen ist. Trotz seines Namens ist er nicht religiös und trinkt auch Alkohol. Das Ehepaar wohnt mit seinen zwei kleinen Töchtern im Haus von Walter Görgens zur Miete. „Wir sind dankbar, dass es uns ermöglicht wurde, in Deutschland zu leben“, sagt der Kurde, der seine Heimatstadt Kobane wegen des Krieges verlassen musste. Im nächsten Jahr möchte er eine Ausbildung zum Krankenpfleger beginnen.

Die Universität, an welcher der Kurde zuletzt Jura studiert hat, wurde zerstört. Auf seinem Handy zeigt er Luftaufnahmen seiner völlig verwüsteten Heimatstadt – die Bilder erinnern an deutsche Großstädte nach dem zweiten Weltkrieg. Die kurdische Stadt liegt wenige Kilometer von der Türkei entfernt und wurde sowohl von Extremisten als auch von der türkischen Armee angegriffen.

„Wir sind froh, dass Opa sich um uns kümmert“, sagt Fadel Moslem und meint damit Görgens. Er hat das Ehepaar während der Schwangerschaften zum Frauenarzt gefahren und zu den Geburten ins Krankenhaus. Denn die beiden kleinen Mädchen wurden in Schönebeck geboren. Inzwischen kommt die zweijährige Tochter schon mal bei „Opa“ in der Wohnung zum Spielen vorbei.

Für ihr Engagement erhalten die Soziallotsen eine monatliche Aufwandsentschädigung von 150 Euro. „Das reicht aber gerade fürs Benzingeld“, sagt Görgens, der mit den Flüchtlingen immer wieder zu Behörden nach Bernburg fährt. Insgesamt gibt es im Kreis derzeit 28 Soziallotsen, davon vier in Schönebeck. Der Salzlandkreis wurde für das Konzept 2016 mit dem Politik-Award ausgezeichnet. Um den Förderrichtlinien des Landes Sachsen-Anhalt gerecht zu werden, hatte der Kreistag bei seiner jüngsten Sitzung die Satzung für die Soziallotsen angepasst. Wichtigste Änderung: Die Ehrenamtlichen sollen nun halbjährig einen Bericht über ihre Arbeit anfertigen. Damit soll die reibungslose Vergabe und Abrechnung der Fördergelder gewährleistet werden, heißt es in der Begründung der Vorlage, die im Kreistag einstimmig beschlossen wurde. Zudem sollen im Haushalt in den kommenden Jahren nur 52 000 Euro eingeplant werden, statt bisher 75 000 Euro. Allerdings ist die Zahl der neuangekommenen Flüchtlinge und Soziallotsen zuletzt auch gesunken.

Walter Görgens hält von der Änderung wenig. „In den vergangenen Jahren habe ich nur einen einzigen Bericht angefertigt. Nun soll ich das zwei Mal im Jahr machen“, sagt er wenig begeistert. Ob er deswegen als aufhören möchte? Nun, mit seinen 75 Jahren müsse er sowieso überlegen, wie lange er das Ehrenamt noch übernehmen könne. Doch auch wenn derzeit eventuell weniger Flüchtlinge nach Deutschland kämen, würden die Soziallotsen sicher auch noch in Zukunft benötigt. Denn die Welt, befürchtet Görgens, werde wohl nicht friedlicher. Und so haben die Soziallotsen wohl auch weiterhin genug zu tun.