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Stolpersteinkarte Abi 2020: Ein ganz besonderer Jahrgang

Corona hat viele Pläne durchkreuzt - aber wortwörtlich nachhaltige Spuren in Schönebeck hinterlassen.

Von Andre Schneider 02.11.2020, 23:01

Schönebeck l Sie werden wohl auf ewig der „Corona-Jahrgang“ bleiben. Ein Jahrgang, für den Schulleiter Ulrich Plaga viel Lob übrig hat. Der Abitur-Jahrgang des Dr.-Carl-Hermann-Gymnasiums zahlt es zurück. Mit besonderen Aktionen.

Eine davon: die interaktive „Stolpersteinkarte“. Das Projekt des von sieben Schülerinnen und Schülern, die gerade ihr Abitur bestanden haben, entstand in der Sozialkunde-AG. „Der Kerngedanke war, wie Erinnerungskultur aufrecht gehalten werden kann“, erklärt Eric Grube, der an der Erstellung der Karte beteiligt war. Das Dokument ist dabei interaktiv. Neben informativen Texten können mittels QR-Codes, die mit dem Handy gescannt werden können, weitere Informationen und Videos abgespielt werden. Die Karten sind sowohl im Salzlandmuseum als auch im Gymnasium erhältlich und können mit auf den Weg genommen werden. Genauer gesagt auf vier Wege. Vier Wege durch Schönebecks Geschichte und Gegenwart. Unter dem Motto: „Wandeln auf Scherbenrouten der Erinnerung“.

Betreut wurde das Projekt von den beiden Pädagogen Kevin Tschisgale und Gregor Mundt. „Bei uns in der Schule stellt die Karte eine sinnvolle Ergänzung zum Geschichtsunterricht dar“, kommentierte Tschisgale. Mundt erachtete vor allem die Arbeit mit Zeitzeugen als wichtig für den Dialog. „Wir haben drei Zeitzeugen befragt. Sie hatten einige eindrucksvolle Geschichten zu erzählen.“ Traurig: Einer der drei ist in der Zwischenzeit bereits verstorben.

Die längste, etwa sechs Kilometer lange Route führt die Besucher entlang goldener Plättchen, die im Pflasterstein integriert sind. „Die kleinen Flächendenkmäler sind allerdings nicht in öffentlicher Trägerschaft“, weiß Grube. Daher sucht der Kinder- und Jugendbeirat der Stadt, dessen Vorsitz Grube innehat, zurzeit Paten. Eine Idee: Die Fraktionen des Stadtrates kümmern sich (Volksstimme berichtete). Die zehn mal zehn Zentimeter großen Messingplatten erinnern an Menschen, vornehmlich Juden, die sonst wohl unlängst in Vergessenheit geraten wären. Diese Route kann an mehreren Punkten begonnen werden, zum Beispiel in der Ahornstraße (Bad Salzelmen), und erstreckt sich bis ans Elbeufer.

Diese Route ist deutlich kürzer als die der Stolpersteine. Sie führt entlang der Nicolaistraße bishin zur Barbyer Straße. Dort war einst die Außenstelle des Konzentrationslagers Buchenwald. Heute ist von den sieben Baracken am Elbdeich nichts mehr zu sehen. Das Junkers-Werk wurde gemäß des Potsdamer Abkommens nach Kriegsende demontiert und gesprengt. In den 60er Jahren entstand auf dem Fundament die Halle des IFA-Traktorenwerkes. In seiner aktiven Zeit beherbergte das KZ-Außenlager über 1500 Häftlinge für Zwangsarbeit.

Route drei ist die kürzeste Strecke. Sie führt vom Nicolai-Denkmal bis in die Salzler Straße. Doch ihre Geschichte hat es mehr als in sich. Die Schülerinnen und Schüler beschäftigten sich bei ihren Recherchen vor allem mit der Reichspogrom-Nacht, in der Schönebecks Einkaufslandschaft nachhaltig verändert wurde. Der Grund: Kaufhäuser wie Konitzer, Schlesinger wurden von Menschen mit fragwürdiger politischer Gennung überfallen, dem Erdboden gleich gemacht und für immer aus dem Stadtbild vertrieben.

Die erfolgreichen Kaufleute und ihre Geschäfte wurden für immer aus dem Stadtbild verbannt und der Kern Schönebecks veränderte sich nachhaltig bis heute.

Obwohl die Nationalsozialisten im dritten Reich ihr Übriges taten, Spuren jüdischen Lebens gibt es im Schönebecker Stadtbild noch heute – unabhängig von den neuen Routen auf der Karte. Davon handelt die vierte und letzte Strecke auf Schönebecks neuem Stadtplan. „Wir wollen damit auf das jüdische Leben heute hinweisen“, sagt Eric Grube. Oder besser gesagt, das, was davon übrig ist. Eine jüdische Gemeinde gibt es in der Elbe-Stadt nämlich nicht mehr.

Orte früheren jüdischen Lebens sind aber die ehemalige Synagoge, das Schalom-Haus und der jüdische Friedhof. Auf letzterem, am Ende der Dorotheenstraße, befindet sich noch heute ein Ort des Trauerns und des Gedenkens.