Von Beruf Besamerin Die Kälbchen-Macherin

Einen eher ungewöhnlichen Beruf hat Ulrike Heuer: Die 32-Jährige aus Plötzky ist Besamungstechnikerin für Rinder.

Von Heike Liensdorf 13.02.2019, 05:00

Plötzky/Zerbst l Wenn Ulrike Heuer sagt, als was sie arbeitet, huscht bei den meisten ein Schmunzeln übers Gesicht. Wie – Besamerin? Die 32-Jährige aus Plötzky kennt die Reaktionen. Und wenn einmal die Frage im Raum steht, klärt sie gern auf. Da sich dafür die Praxis am besten eignet, begleitet die Volksstimme sie an einem Arbeitstag.

Der frühe Vogel fängt den Wurm ... Um kurz nach 5 Uhr startet Ulrike Heuer in Plötzky. Der erste Betrieb erwartet sie eine gute Stunde später in Zerbst. „Wir sollen vor oder nach den Melkzeiten da sein.“ Sie ist putzmunter. Das zeitige Aufstehen macht ihr nichts aus. Und auch nicht die Minusgrade. Die Heizung im Auto läuft auf Hochtouren, die dicke Jacke liegt griffbereit. Zeit, über ihren Beruf zu plaudern. Sie hat sich schon immer für Tiere interessiert und deshalb tiermedizinische Fachangestellte gelernt. Doch sie merkt schnell, die Arbeit in der Kleintierpraxis ist nicht so ihrs. Die großen Tiere faszinieren sie. Schweine, Rinder. Sie hat gesunden Respekt, aber keine Angst vor ihnen. Sie sucht eine neue berufliche Herausforderung. Ihr damaliger Partner Andreas Pfanne, Landwirt und Tierzüchter in Ranies, bringt sie auf die Idee, sich ein Bild von der Arbeit als Besamerin zu machen. Um genau zu sein Besamungstechnikerin für Rinder. „Zu DDR-Zeiten nannte man das ,Rucksack-Bulle‘“, sagt sie schmunzelnd. Sie arbeitet Probe und ja, das kann sie sich gut vorstellen. Seit fünf Jahren ist Ulrike Heuer nun im Auftrag der Rinder-Allianz als Kälbchen-Macherin unterwegs, ihr zugeteilter Bereich ist der Burg-Zerbster Raum.

Besamungstechniker führen bei Schweinen, Ziegen und Kühen künstliche Besamungen durch, erklärt sie. Vorteile seien, dass als Vatertiere besondere Vererber genutzt werden können. Die Kühe seien zudem vor Deckinfektionen und Verletzungen geschützt, und in kürzester Zeit können viele weibliche Tiere besamt werden.

Ankunft auf dem Hof von Uwe Sens. Der Zerbster hat 60 Fleckvieh-Tiere im Nebenerwerb. Hauptberuflich leitet er die Werkstatt einer Firma für Landmaschinentechnik. Deshalb beginnt Ulrike Heuer ihre tägliche Runde bei ihm. Er muss dann zu seiner eigentlichen Arbeit. „Die erste, die wir uns bitte anschauen, ist die 455. Sie hat gerindert. Dann noch die 458 und die 651“, sagt er. Die Plötzkyerin nickt. Alles klar. Die Nummer steht für die Kuh, zu finden auf der Ohrmarke. Rindern steht für Brünstigsein, sprich Tage, an denen ein Rind trächtig werden kann. Somit gute Chancen für eine Befruchtung. Ulrike Heuer kontrolliert Kuh für Kuh. Handschuh an, der fast bis zur Schulter reicht. Die Untersuchung erfolgt rektal. Sie fasst in den Mastdarm und fühlt die Gebärmutter ab, ob das Tier empfängnisbereit ist. Ist es und deshalb gibt es eine Portion Sperma. Dies passiert dann schonend mit dem Besamungsgerät – das sind zarte Röhrchen – über die Scheide. „Für die 455 nehmen wir Caesar, für die 458 Stanley“, sagt Irmtraud Sens. Sie und ihr Mann wissen genau, von welchem Fleckvieh-Bullen ihre Kühe künstlich befruchtet werden sollen. Auf der Internetseite der Rinder-Allianz haben sie sich die potenziellen Väter angesehen. Dort ist alles hinterlegt: Bilder, Eigenschaften, Zuchtwerte ...

Ulrike Heuer geht zum Auto. In einem unscheinbaren Behälter lagert das wichtige Gut bei -196 Grad Celsius in flüssigem Stickstoff. Dann muss alles ganz schnell gehen. Nach der Entnahme aus dem „Tiefkühler“ dürfen die 0,23 Milliliter verdünntes Sperma in einem 38 Grad Celsius Wasserbad nur elf Sekunden aufgetaut werden. Eine Portion – sie enthält rund 15 Millionen Spermien – kommt dann in das Besamungsgerät. Wieder bahnt sich der Handschuh-Arm den Weg über den Mastdarm zur Gebärmutter. Die Röhrchen mit dem Sperma folgen über die Scheide. Von außen drückt sie ab, auf das von innen die Befruchtung gelingt. Die Kuh selbst lässt sich davon nicht beirren. Sie frisst ihr Heu.

Und die Besamungstechnikerin fährt nach getaner Arbeit weiter. Zum nächsten Betrieb. Acht an der Zahl fährt sie jeden Tag an. Und zwar tagtäglich, sieben Tage die Woche. Dazu kommen die, die sie anrufen. Da ist der Betrieb mit 1.000 Milchkühen ebenso dabei wie der mit 40 oder 100 zu melkenden Tieren. „Eine Kuh ist etwa alle 21 Tage brünstig. Somit habe ich in großen Betrieben jeden Tag zu tun“, erzählt sie. Aber bleibt bei so viel Einflussnahme von außen nicht die Natürlichkeit auf der Strecke? Kuh plus Bulle gleich Kälbchen ... Ulrike Heuer lacht. Auf diese romantische Schiene könne kein Rinderzuchtbetrieb setzen, wenn er wirtschaftlich sein will. Nur sehr wenige Milchbauern würden auch Bullen haben. „Er ist ein nicht unerheblicher Kostenfaktor. Denn ob sein Vererbungsmaterial in die Herde passt, sieht man erst, wenn seine Kälber kalben. Da vergeht also viel Zeit“, sagt sie. Zudem seien Bullen sehr dominant. Wenn man einen halte, müsse man ihn separieren. „Wenn er mitten bei den Kühen steht, ist jeder von außen ein Feind. Er würde einen locker an die Wand drücken.“

In Eichholz wartet schon Wolfgang Gabriel. 120 Kühe hat er, Rasse Fleckvieh Milch, Mast- mit Milchproduktion. Vor dem Stall steht eine „Tankstelle“, bei der sich jeder rund um die Uhr mit frischer Milch versorgen kann. Drinnen im Stall geht es gemütlich zu. Eine Hälfte der „Belegschaft“ tummelt sich auf dem Stroh, die andere frisst auf dem Nebenplatz. Wer zum Futter will, muss durch den Milchroboter. Der Computer steuert nicht nur das Melken, sondern findet auch heraus, wann welche Kuh besamt werden kann. Und ja, für Ulrike Heuer gibt es etwas zu tun. Handschuh übergezogen und ab auf Tuchfühlung.

„Wir sind ja ein Familienbetrieb. Früher gingen wir morgens und abends zum Melken. Jetzt kann die Kuh selbst entscheiden, wann sie gemolken wird. Der Roboter arbeitet 24 Stunden“, erläutert Wolfgang Gabriel und ist immer noch fasziniert von dem Können des Systems. „Die Kühe sind total entspannt – und für uns ist die Arbeit natürlich auch entspannter geworden.“

Die Fahrt geht weiter. Es ist 7.40 Uhr. Langsam wird es hell. Zur Tour übers Land gibt es einen traumhaften Sonnenaufgang. Margitta Steinz, Geschäftsführerin der Landwirtschaftlichen Produktions- und Handelsgesellschaft Walternienburg mbH, empfängt sie. Dies ist ein Betrieb mit 240 Färsen, also Rinder, die noch nicht gekalbt haben. Holstein-Friesian. „Die Jungtiere sind drei Monate alt, wenn sie zu uns kommen, und bleiben bis sechs Wochen vor dem Kalben“, erzählt Margitta Steinz. Im Schnitt seien sie zwei Jahre im Walternienburger Stall, werden also auch dort besamt – durch Ulrike Heuer. „Bis April vergangenes Jahr hatten wir auch noch Milchproduktion. Doch wir haben keine Leute zum Melken gefunden, deshalb mussten wir umstrukturieren. Wir haben uns einen Partner gesucht, für den wir die Nachzucht übernehmen können. Die Tiere gehen also wieder dahin, wo sie herkommen“, erklärt sie und merkt augenzwinkernd an: „Wir sind hier sozusagen der Kindergarten.“

Ulrike Heuer schaut sich sechs Tiere an, ob sie rindern beziehungsweise tragend sind. Eine Färse besamt sie. Während sie dick eingemummelt ist, finden die Kühe die frostigen Temperaturen ideal. „Da Rinder nicht schwitzen können, haben sie bei Wärme mit ihrem Stoffwechsel zu kämpfen und dann rindern sie auch schlechter“, sagt sie.

Nächste Station ist die Bäuerliche Erzeuger-Gemeinschaft (BEG) in Moritz 300 Milchtiere der Rasse Holstein Friesian mit Nachzucht, um die 300 Kälber, stehen dort. Die Besamungstechnikerin untersucht nicht nur rektal durch Ertasten, sondern auch mit einem sogenannten Spekulum, ein Glasröhrchen. Damit kann sie sehen, ob der Muttermund geöffnet ist. „Wir wissen, dass wir mit dieser Methode Einzelgänger sind. Zu DDR-Zeiten war es aber gang und gäbe. Und wir finden es gut und möchten es so beibehalten“, sagt Ingolf Linsdorf, Stallleiter und Herdenmanager. Durch das Spekulum könne man auch Entzündungen sehen, dann werde das Sperma überhaupt nicht aufgenommen.

Wenn es um die Milchproduktion, also um die Kühe geht, was passiert dann eigentlich mit den Bullenkälbern? 14 Tage nach Geburt würden sie meist zum Mäster und dann zum Schlachthof gehen, so Ulrike Heuer. Es sei denn, sie werden zur Zucht gebraucht. Übrigens: Aus einem Ejakulat können 200 bis 800 Sperma-Portionen gewonnen werden.

Es ist kurz nach 9 Uhr. Sechs Betriebe sind schon besucht, fünf stehen noch an. „Vielleicht ruft noch einer an, dann werden es noch mehr“, sagt sie. Die Plötzkyerin ist entspannt, strahlt Ruhe aus. Die Tiere spüren das, nehmen sie nicht als Gefahr wahr. So richtig glücklich sei sie, wenn sie da ist und eine Kuh kalbt. „Da helfe ich auch gern mit“, sagt sie und meint mit leuchtenden Augen: „Dann weiß ich: Ich habe einen tollen Beruf.“