Wilhelm Hellge Urenkel bleibt außen vor
Warum der Nachfahre des großen Sozialdemokraten nie eingeladen wird.
Schönebeck l Es war im Jahre 1959, als die Schönebecker Wilhelm-Straße in Wilhelm-Hellge-Straße umbenannt wurde. Denn zu DDR-Zeiten war selbst der Schönebecker Sozialdemokrat besser gelitten als sein Namensvetter, König Friedrich Wilhelm I. Zumal der von den Nationalsozialisten verfolgte Parteivorsitzende Wilhelm Hellge nach der Zwangsvereinigung von SPD und KPD 1946 bis zu seinem Tod immerhin noch ein Jahr in der Parteispitze der neugegründeten SED mitarbeitete.
Kleiner Schönheitsfehler bei der Straßenumbenennung knapp ein Jahrzehnt später: Die Nachfahren des ehemaligen Schönebecker SPD-Vorsitzenden und Stadtratsvorsitzenden Wilhelm Hellge wurden aus unerfindlichen Gründen nicht zu der Zeremonie eingeladen. Eine Ungehörigkeit, die vor allem bei Hellges Tochter Elisabeth zu einem lang gehegten Groll gegen die Verantwortlichen bei der SED führte.
Genau 60 Jahre später gelingt den Genossen der heutigen Schönebecker SPD tatsächlich das Kunststück, den Faux-Pas von damals zu wiederholen. Pünktlich zum 100. Geburtstag des Übervaters der Schönebecker Sozialdemokratie lobten die Sozis im vergangenen Dezember zum ersten Mal den Wilhelm-Hellge-Preis für gemeinnütziges Engagement aus, um ihn dann noch pünktlicher wenige Monate vor den Kommunalwahlen Ende Mai an die Wohn- und Sportgruppe (WSG) zu überreichen. Ein Schelm, wer Böses dabei denkt (oder zumindest ein zynischer Schreiberling).
Bei dieser Ehrung im Namen von Wilhelm Hellge verzichteten die Sozialdemokraten nun ihrerseits darauf, dessen Nachfahren einzuladen oder auch nur um Erlaubnis zu fragen, ob eine solche Auszeichnung im Namen des Urgroßvaters an eine rüstige Senioren-Sportlergruppe überreicht werden könnte. Zu einem handfesten Skandal reicht diese Geschichte allerdings nicht, höchstens zu einem kleinen Anekdötchen. Denn den Sozialdemokraten war bis heute überhaupt nicht bekannt, dass immer noch ein Nachfahre des großen Vorbildes in Schönebeck lebt.
Tatsächlich hält sich dieser Urenkel äußerst bedeckt. Denn er interessiert sich nicht sonderlich für Parteipolitik und möchte auch nicht im Rampenlicht stehen. In der Familie wurde kaum über den Urgroßvater gesprochen, den er auch nie kennengelernt hat. Mit dem nach seinem Vorfahren benannten Preis hat der Urenkel auch kein Problem, und er wäre vermutlich selbst bei einer Einladung nicht zu der Veranstaltung erschienen.
Aber es wäre halt trotzdem nett gewesen, wenn mal jemand gefragt hätte. Wobei sich der Urenkel allerdings auch ein bisschen wundert, dass einfach irgendwelche Preise nach verstorbenen Persönlichkeiten benannt werden können, ohne dass auch die Familie hinzugezogen wird.
Doch die Verschwiegenheit von Hellges Urenkel hängt möglicherweise mit einer Erfahrung aus seiner frühsten Kindheit zusammen. So berichtete seine Klassenlehrerin in der Grundschule den Schülern vom Leben von Wilhelm Hellge. Vorlaut rief der Knirps in die Klasse, dass das sein Uropa war. Von der Lehrerin gab es daraufhin einen Tadel: Er möge gefälligst keinen Unsinn erzählen. Am nächsten Tag begleitete die Oma den Jungen in die Schule – und gab der Lehrerin eine Nachhilfestunde in Sachen Familiengeschichte. Seit diesem Tag hält sich der Urenkel beim Thema Wilhelm Hellge lieber zurück. Jan Iven