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Züchter in Gnadau Tomatenernte in „schwindliger Höhe“

Bei Siegfried Blüthmann in Gnadau wachsen gegenwärtig 44 Sorten „Open Air“ und im Gewächshaus heran.

Von Thomas Linßner 28.08.2017, 15:54

Gnadau l Wenn Siegfried Blüthmann Tomaten ernten will, muss er auf die Leiter steigen.

Kein Scherz!

Einige seiner Sorten benehmen sich wie Wein und klettern an einem Spalier am Haus hoch. Und zwar bis in eine Höhe von 2,50 Meter! Um hier die Früchte seines Fleißes zu ernten, muss der ehemalige Gnadauer Ortswehrleiter Stufen steigen. Der Trick dabei: Die Hauswand wird tagsüber von der Sonne „aufgeladen“ und strahlt nachts die gespeicherte Wärme ab. So was liebt die Solanum lycopersicum, wie der vornehme Lateiner zur Tomate sagt.

Damit das mittel- und südamerikanische Nachtschattengewächs derart rekordverdächtig in Erscheinung treten kann, muss Siegfried Blüthmann erstmal den Boden bereiten. Das geschieht auf ziemlich nachhaltige Weise. „Ich hole mir Pferdemist für die Gurken in meinem Frühbeetkasten“, erzählt der 66-Jährige. Nach deren Ernte im Jahr eins wird die so veredelte Erde in Tomatenpflanzkübel, Gewächshäuser und Beete im Jahr zwei umgesetzt. Was die Gurken an Nährstoffen übrig lassen, reicht den Tomaten allemal für eine gedeihliche Entwicklung aus.

Bei Siegfried Blüthmann wachsen auch so seltene Sorten wie Möhrentomaten oder die Sorte Yellow Stuffer heran. Erstere macht ihrem deutschen Namen geschmacklich Ehre, letztere ist eine gelbe Tomatenpaprika, die eher zum Füllen geeignet ist. Um bei exotisch klingenden Sorten zu bleiben: Auch die Gelbe Dattel Orange, Green Zebra oder Blue Wonder sprießen im mitteldeutschen Örtchen Gnadau.

Damit er nicht die Übersicht verliert, hat der Hobbygärtner im Gewächshaus tomatenrote Zettel aufgehängt. Darauf stehen Zahlen mit Sortennamen dahinter. „Bei 44 verschiedenen Sorten muss ich das machen“, grinst der Gnadauer.

Samen kauft er schon lange nicht mehr im Laden. Er gewinnt sie aus Früchten des Vorjahres oder bekommt sie geschenkt. Wenn bei anderen Leuten die Urlaubsmitbringsel aus nutzlosen Nippes bestehen, bekommt Siegfried Blüthmann Tomatensamen. „Mein Bruder hat acht Sorten aus Rumänien, meine Schwester welche aus dem Kosovo mitgebracht“, freut sich der ehemalige Hausmeister der Gnadauer Anstalten. „2017 ist eigentlich kein gutes Tomatenjahr“, winkt er ab. Es sei zu extrem: viel Sonne, dann wieder zu viel Wasser. Dennoch erntet er an durchschnittlichen Tagen drei Kilogramm Carnica, Carotina, Casanova & Co. auf seiner Tomaten-Ranch.

Aber was macht man mit zentnerweise gelben, orangen, grünen, roten oder gestreiften Tomaten, die rund, eiförmig, gerippt, spitz, flaschen- oder birnenförmig an der Pflanze baumeln? „Die verwerten wir selbst, einen Großteil verschenke ich“, lächelt Blüthmann, der vor über drei Jahrzehnten von der Prignitz nach Gnadau kam. So kommt es vor, dass Beutelchen mit Tomaten schon mal an den Klinken der Heimbewohner hängen oder Freunde, Verwandte und Bekannte damit versorgt werden. Auch die Zinzendorf-Grundschüler kriegen etwas ab. Die staunen dann, dass es außer der flächendeckenden Sorte Harzfeuer sogar schwarze oder grüne Tomaten gibt, die weder „schlecht“ noch „unreif“ sind.

„Harzfeuer baue ich nicht an“, verzieht Siegfried Blüthmann das Gesicht. Dieses Allerweltsgemüse sei ihm zu profan. Die könne ja jeder ... Da seien die peruanische Zackentomate oder „Philovita“ eine ganz andere Herausforderung. Letztere sei „hochtolerant gegen die Kraut- und Braunfäule“ und somit bestens für den Anbau im Freiland geeignet.

Dem schwippen Gemüsegärtner geht es nicht in erster Linie um den Verzehr. Viel spannender sei es, neue Sorten auszuprobieren und sie wachsen zu sehen. Und die garantiert Bio sind.

Und noch was: Blüthmanns lauschiger Garten hinter der Gnadauer Kirche ist kein guter Ort für stechende Insekten: Mücken mögen den Geruch von Tomatenblättern nicht. Auch die nervenden Kohlfliegen machen lieber einen Bogen um Siegfrieds Kulturen. Sie reagieren empfindlich auf Gerüche. Ideale Pflanzpartner von Kohlgewächsen sind deswegen Tomaten.

Es muss also nicht immer Chemie sein.

Darauf eine Bananento! Was kein spanischer Gruß, sondern eine ... Sie ahnen es ... Tomatensorte ist.